Siemens

Anteilseigner revoltieren gegen die Verwaltung

Die Siemens-Aktionäre haben sich gegen die Verwaltung aufgelehnt. Knapp 58% des anwesenden Ka­pitals stimmten für ein Fragerecht auch bei Online-Hauptversammlungen. Der Antrag scheiterte jedoch an der Dreiviertel-Hürde für eine Satzungsände­rung. Niedrige Zustimmungs­quoten erhielten auch Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe und Adidas-Chef Kasper Rorsted.

Anteilseigner revoltieren gegen die Verwaltung

mic München

Die achtstündige Siemens-Hauptversammlung endete mit einer Revolte der Aktionäre gegen die Verwaltung des Unternehmens. Bei einer extrem hohen Präsenz von gut 56% stimmten 57,8% des Kapitals für das Ergänzungsverlangen der Belegschaftsaktionäre, ein Recht der Anteilseigner in der Satzung zu verankern, dass sie künftig auch während virtuell stattfindenden Versammlungen noch Fragen stellen können. Der Vorstoß scheiterte lediglich an der Regelung, dass für eine Satzungsänderung eine Zustimmungsquote von mindestens 75% erforderlich ist.

Institutionelle Investoren nutzten damit die Siemens-Hauptversammlung, die in diesem Jahr den Reigen der Aktionärstreffen hierzulande eröffnet, für ein Zeichen an die deutschen Aktiengesellschaften. Fondsgesellschaften wie Union Investment und Deka Investment hatten bereits in den vergangenen Tagen erklärt, für den Vorstoß der Belegschaftsaktionäre zu stimmen. Die DWS hatte ihre Meinung mitgeteilt, dass die Handhabung des Hauptversammlungsformats verbesserungswürdig sei. Die Stimmrechtsberater ISS und Glass Lewis hatten den Antrag ex­plizit unterstützt (vgl. BZ vom 29. Ja­nuar).

Mit der Abstimmung stellte sich die Mehrheit der Siemens-Aktionäre auch gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden Jim Hagemann Snabe. In der Abstimmung über seine Person erhielt er trotz erfolgreichen Konzernumbaus und eines Aktienkurses auf Allzeithoch einen Denkzettel: Er wurde mit nur 85,9% der Stimmen für weitere vier Jahre wiedergewählt. Im Jahr 2016 hatte Snabe, dem Investoren teilweise zu viele Aufgaben bei Firmen vorhalten, noch 93,7% der Stimmen erhalten.

Snabe hatte zuvor erklärt, Siemens stehe für einen offenen Austausch mit den Aktionären. Eine Satzungsregelung würde jedoch einen einzelnen Aspekt einer virtuellen Hauptversammlung festlegen, bevor eine gesetzliche Lösung gefunden sei. Der nach Ablauf der Hauptversammlung ausscheidende Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser blies in das gleiche Horn: „Dies hat neben der Technik mit einem dafür ungeklärten Rechtsrahmen zu tun.“ Sollte es Online-Hauptversammlungen auch nach Covid-19 geben, müsse man Lösungen finden, den Dialog in Echtzeit zu ermöglichen.

Denkzettel für Rorsted

Gegen den Widerstand von Fondsgesellschaften wie DWS, Union und Deka stimmte zwar eine Mehrheit für die Wahl von Adidas-Vorstandschef Kasper Rorsted in den Aufsichtsrat. Er erhielt aber nur 76,5% der Stimmen – noch ein Dämpfer für die Verwaltung. Snabe betonte, Rorsted vereine im Sinne des Deutschen Corporate Governance Kodex nicht zu viele Mandate auf sich. Kritisch äußerte er sich dazu, dass Fondsgesellschaften für diese Frage ihre eigenen Richtlinien entwickelt haben: „Ich finde nicht zielführend, wenn einzelne Investoren eigene Kriterien für Overboarding definieren.“ Dies gelte insbesondere, wenn es keine Fakten gebe, dass Mitglieder nicht ihre Aufgabe im Aufsichtsrat wahrnähmen. Airbus-Technologievorständin Grazia Vittadini erhielt 99,2% bei ihrer Wahl in den Aufsichtsrat.

Die Präsenz, die zeitweise 62,1% erreichte, sei beeindruckend, sagte Snabe. 86 Aktionäre hätten 347 Fragen teilweise mit Unterfragen vorab eingereicht. Kaeser erklärte, für die Hauptversammlung habe Siemens 1,9 Mill. Euro ausgegeben – die letzte Präsenz-HV zwölf Monate zuvor habe 3,8 Mill. Euro gekostet. Der größte Ausgabenblock sei der Versand der Unterlagen. 550000 Aktionäre hätten sie per Post und 300000 elektronisch erhalten.

Busch gibt Ziele im Juni

Sein Nachfolger Roland Busch sagte zu seinem Amtsantritt, im kommenden Jahrzehnt werde sich die ganze Wirtschaftswelt neu erfinden: „Nur wer sein Unternehmen, seine Geschäftsmodelle und seine ganze Industrie neu erfindet, wird zu den Gewinnern dieser großen Transformation gehören.“

Busch warb für die Digitalisierung als Antwort auf die großen Fragen unserer Zeit wie Klimawandel oder Urbanisierung: „Die Digitalisierung wird uns allen helfen, Wachstum und Wohlstand zu schaffen und gleich­zeitig weniger Ressourcen zu verbrauchen.“

Konkrete Ziele oder ein Unternehmensprogramm blieb Busch schuldig. Er verwies vor gut 7000 Aktionären, die sich über Internet eingewählt hatten, auf ein Treffen mit Investoren im Sommer: „Mit welchen Strategien unsere Geschäfte dabei vorgehen werden, das werden wir Ihnen im Juni auf unserem Kapitalmarkttag genauer erläutern.“

Geteilter Meinung waren die Aktionärsvertreter, inwieweit die Dividende (3,00 Euro plus 0,50 Euro) angemessen ist. Deka-Portfoliomanager Winfried Mathes rechnete vor, erstmals seit dem Amtsantritt von Joe Kaeser seien die Aktionäre mit einer Dividendenkürzung konfrontiert. Es sei zu hoffen, dass die Zusatzdividende im neuen Geschäftsjahr nicht unter den Tisch falle: „Ansonsten wäre dies schon der erste Paukenschlag zum Amtsantritt des neuen CEO Busch.“

DSW-Vizepräsidentin Daniela Bergdolt dagegen erklärte, sie könne sich über die Dividendenkürzung nicht beschweren. Immerhin seien jenen Aktionären, die die ihnen zugeteilten Siemens-Energy-Aktie behalten hätten, rund 15 Euro pro Aktie geschenkt worden: „Das wiegt den Rückgang der Dividende ohne Weiteres auf.“

Finanzvorstand Ralf Thomas erklärte, die Gesamtausschüttung von 2,8 Mrd. Euro sei bei einem Bilanzgewinn von 3 Mrd. Euro auf einem sehr hohen Niveau. Die Dividendenrendite betrage 3,2% und sei sehr attraktiv im Branchenvergleich. Die Aktienrückkäufe würden so dosiert, dass sie die künftige Dividende nicht negativ beeinflussten.

Thomas verteidigt EY

97,2% des anwesenden Grundkapitals stimmten für EY als Abschlussprüfer. EY steht als Prüfer des insolventen Dax-Wertes Wirecard in der Kritik. Thomas lobte dagegen die Fachbranchenkompetenz des Siemens-Prüferteams. Er verwies zu­gleich auf die schärferen Regeln für die Prüferrotation. Spätestens stehe dieses im Fall von Siemens zum 1. Oktober 2023 an.

Abwägend beurteilte Thomas mögliche neue Aufsichtsregeln. Reformen müssten zu einer Stärkung der Integrität des Finanzmarktes führen: „Hier sind klare Rationalität und Umsicht gefragt.“ Die Vorteile müssten in einem angemessenen Verhältnis zu den Belastungen für die Unternehmen stehen: „Die im Wirecard-Fall nach derzeitigem Kenntnisstand vorhandene kriminelle Energie darf nicht zu einer praktischen Bestrafung aller ordnungsgemäß bilanzierenden Unternehmen führen.“

Siemens winkt ein Sondergewinn, wenn der Konzern wie geplant einen Teil seiner Siemens-Energy-Aktien verkauft. Ende Dezember habe der Buchwert für den Anteil von 35% rund 6,6 Mrd. Euro betragen, sagte Thomas. Zu diesem Wert habe der Börsenwert des Anteils bei 7,6 Mrd. Euro gelegen, so dass die stille Reserve 1 Mrd. Euro betragen habe. Aktuell notiert die Aktie leicht über dem Niveau von Ende 2020.

Kaeser sagte, dass der geplante Kauf des US-Krebsspezialisten Varian überaus gut vorankomme – „so, wie es heute aussieht, eher besser als ursprünglich geplant“. Die Transaktion soll offiziell in der ersten Jahreshälfte vollzogen werden.

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