Absicherung und Ertragsquelle zugleich

Risiko-Overlay intelligent erweitern

Absicherung und Ertragsquelle zugleich

Dr. Daniel SeilerHead of Multi Asset, Vontobel Asset ManagementAnleger wollen sichere Portfolios. Und zwar am liebsten solche, die an Marktgewinnen partizipieren und in Zeiten von Markt­unruhen vor Wertverlusten geschützt sind. Wunschdenken? Nicht unbedingt. Overlay-Management-Konzepte bieten die Lösung, denn anstatt als unerwünschter Kostenfaktor zur Last zu fallen, können sie, intelligent angewendet, sogar zur Ertragsquelle avancieren. Finanzmärkte sind schwierige Gewässer mit oft ungeahnten Untiefen. Kurzzeitige Volatilitätsausschläge und sich plötzlich verändernde Korrelationsmuster zwischen verschiedenen Anlageklassen erschweren es Anlegern häufig, die Segel richtig zu setzen. Gerade in langanhaltenden Bullenmärkten, die wie aktuell von hohen Bewertungen gekennzeichnet sind, ist die Risikoaversion der Anleger besonders anfällig für plötzliche Stimmungsumschwünge, die sich oft in kapitalgefährdenden V-förmigen Korrekturen niederschlagen. Solche Korrekturen sind für Anleger besonders problematisch, weil sie typischerweise renditeschmälernde Verkaufs- oder Absicherungsmechanismen auslösen.Die Marktbewegungen im letzten Quartal 2018 und zum Jahresauftakt 2019 zeugen davon. Das letzte Quartal 2018 vernichtete größtenteils die Aktienmarktgewinne, die die Märkte im Laufe des Jahres angesammelt hatten, da Aussichten auf weniger Zentralbankenliquidität, ein stotternder globaler Wirtschaftsmotor und ein drohender chinesisch-amerikanischer Handelskrieg die Anleger auf dem falschen Fuß erwischten. Die Stimmungswende ließ dank einer sanfteren Zentralbankenrhetorik und weiterhin solider Unternehmensdaten nicht lange auf sich warten und leitete zu Beginn des Jahres eine Markterholung ein. Schwankungen wie diese demonstrieren die Wandelbarkeit der Märkte, die vor allem mit V-förmigen Korrekturen das Durchhaltevermögen der Anleger unweigerlich immer wieder auf die Probe stellen.Hinzu kommt, dass durchschnittlich steigende Korrelationen die Portfoliodiversifikation im Rahmen einer Minimum-Varianz-Optimierung als traditionelles Mittel der Risikoreduktion untergraben. Die Portfoliooptimierung im Sinne der Modernen Portfoliotheorie baut auf unterschiedliche Korrelationsgrade zwischen verschiedenen Anlageklassen. Gleichen sich diese an, kann das Konzept nicht mehr greifen. Steigende Korrelationen können sogar so weit gehen, dass normalerweise negativ korrelierte Instrumente plötzlich zusammen auf Talfahrt gehen, wie z. B. im zweiten Quartal 2013. Damals brachten Anzeichen, dass die US Notenbank die Zügel ihrer Geldpolitik straffen könnte, Aktien- und Anleihenmärkte stark in Bedrängnis. Beide Anlageklassen mussten Verluste hinnehmen. Aufgrund solcher Vorkommnisse ist eine statische strategische Asset-Allokation, die sich auf Portfoliodiversifikation als Risikomanagement-Tool stützt, zunehmend ungeeignet, um Anlegerportfolios in negativen Marktspiralen abzusichern. Während Diversifikation lange als der einzige “Free Lunch” an den Finanzmärkten galt, kosten zusätzliche Wertsicherungskonzepte in der Regel Geld. Wertsicherungsstrategien, wie statische Stop-Loss-Strategien, Constant Proportion Portfolio Insurance (CPPI), Dynamic Proportion Portfolio Insurance (DPPI), synthetische Puts und Value-at-Risk-(VaR-)basierte Ansätze, sind gängige Konzepte, welche die Anlagestruktur auf Gesamtfonds­ebene steuern. Es handelt sich dabei um regelbasierte Strategien, die vollkommen frei von diskretionären Elementen sind. Dank ihrer Transparenz und Systematik sind sie weit verbreitet, verstecken jedoch hinter dem vermeintlichen Nutzen der Verlustminimierung langfristig eine schleichende Renditeerosion. In Krisenzeiten sind die diversen Strategien zwar in der Lage, die Wertuntergrenze zu sichern, verursachen aber hohe Opportunitätskosten, vor allem in V-förmigen Marktkorrekturen, da diese schnell Teil- oder sogar Vollabsicherungen des Portfolios auslösen und eine volle Partizipation am nachfolgenden Marktaufschwung unmöglich machen. Statische Stop-Loss-Strategien schneiden hierbei besonders schlecht ab, da sie an eine Wertuntergrenze des Portfolios gebunden sind, deren Unterschreitung die Veräußerung der gesamten Aktienposition des Portfolios auslöst. Das hat zur Folge, dass in volatilen Zeiten Markteinbrüche überbewertet werden und positive Marktaufschwünge ungenutzt verstreichen. CPPI-Strategien schlagen sich etwas besser. Sie stützen sich auf eine Quantifizierung der persönlichen Risikoneigung des Anlegers und eine dynamische, auf den Markt abgestimmte, Portfolioumschichtung zwischen risikobehafteten und risikolosen Anlagen. Dies erlaubt es ihnen, positive Marktphasen nicht gänzlich brachliegen zu lassen ohne in Marktstresssituationen die Wertuntergrenze zu gefährden. Die vergleichsweise geringsten Opportunitätskosten weist der Synthetische Put auf. Diese Strategie erzeugt eine künstliche Verkaufsoption auf die risikoreiche Anlage des Portfolios über stetige Positionsumschichtungen, welche sich durch den Deltawert der jeweiligen Verkaufsoption ergeben. Häufige Umschichtungen bedeuten jedoch hier wie bei den CPPI-Strategien hohe Transaktionskosten. Zusammengefasst haben statische Wertsicherungskonzepte die Tendenz, Gewinnteilnahmen in Markterholungsphasen zu verhindern, während dynamische Strategien hohe Transaktionskosten verursachen. Alpha wird jedoch durch keine dieser Strategien generiert. Das Hauptaugenmerk liegt dagegen auf der Reduzierung der Opportunitätskosten.Zuverlässiger Kapitalschutz bei absoluter Transparenz ohne Renditeerosion scheint also ein hoch gestecktes Anlegerideal, dem herkömmliche Wertsicherungskonzepte nicht genügen können. Sollen Anlegererwartungen nicht mehr enttäuscht werden, muss das kostenintensive Risiko-Overlay mit einer intelligenten Erweiterung versehen werden, in dem es um ein modular strukturiertes, taktisches Ertrags-Overlay ergänzt wird. Ziel hierbei ist die Entkopplung des regelbasierten Risiko-Overlays von der Gesamtfondsebene und seine Verknüpfung mit taktischen Meinungen, die das Potential haben, ein Alpha zu generieren, dass den Anleger über die Opportunitätskosten hinaus mit einer positiven Nettorendite kompensiert.Als Beispiel dient eine VaR-basierte Wertsicherung eines Multi-Asset-Portfolios, die zusätzlich taktisch gesteuert wird. Anstatt das Risiko auf Gesamtfondsebene zu steuern, wird Risikobudget auf die einzelnen Anlageklassen des Portfolios verteilt und kontinuierlich mit dem VaR der jeweiligen Anlageklasse abgeglichen. Dadurch wird die Einhaltung der Risikobudgets gewährleistet. In einem zweiten Schritt werden die frei verfügbaren Risikobudgets mittels taktischer Signale angepasst. Abgeleitet werden diese Signale von einer quantitativen Auswertung des Marktumfelds, das für die jeweilige Anlageklasse von Relevanz ist. Positive taktische Signale erhöhen das verfügbare Risikobudget einer Anlageklasse, während negative Bedingungen das Risikobudget entweder unangetastet lassen oder reduzieren. Wird das Risikobudget in einer positiv bewerteten Anlageklasse aufgestockt und entwickelt sie sich wie erwartet, führt das zu einem überschüssigen Risikobudget für diese Anlageklasse. Mit einem signalbasierten, taktischen Risikobudgettransfer kann dieser Überschuss anderen Anlageklassen zur Verfügung gestellt werden. Das macht dann Sinn, wenn eine Anlageklasse sich aufgrund von vorangegangenen negativen Wertentwicklungen in einer Teilabsicherung befindet, jedoch positive taktische Signale des ökonomischen Umfelds einen Ausbau der Position empfehlen. Mittels des Risikobudgettransfers können diese Signale genutzt werden und ineffiziente Absicherungsmechanismen aufgrund von kurzzeitigen V-förmigen Korrekturen vermieden werden. Das Resultat ist ein Overlay-Konzept, das mittels seiner dynamischen Konditionierung auf das vorherrschende Marktumfeld nicht nur die Falle der Portfolio-Vollsicherung umgeht, sondern auch eine Partizipation an steigenden Märkten über antizyklischen Handlungsspielraum ermöglicht. Anstatt von Opportunitätskosten belastet zu werden, kann die Portfoliorendite mittels einer taktischen Komplementierung von Risiko- und Ertragsoverlay, welches die Übergewichtung einzelner Anlageklassen erlaubt, sogar noch gesteigert werden. Die erfolgreiche Umsetzung eines solchen Konzepts erfordert eine präzise Analyse des zugrundeliegenden Portfolios und eine exakte risikotechnische Messung der einzelnen Positionen. Dies erlaubt eine enge Abstimmung des Overlays mit dem Basisvermögen. Wird das Overlay zu eng gefasst, befindet sich das Portfolio zu oft im Absicherungsmodus und kann sein Renditepotential nicht ausschöpfen. Ist das Overlay zu weit definiert, ist die Wertuntergrenze gefährdet. Daher sind erfolgreiche Overlays massgeschneiderte Lösungen, deren Umsetzung ausgeprägte Ingenieurskunst und taktisches Geschick erfordert.