China testet Reits als neues Anlagevehikel
Von Norbert Hellmann, Schanghai
Als chinesische Finanzregulatoren erstmals über Wünschbarkeit und Machbarkeit der Auflage von börsennotierten Real Estate Investment Trusts zu diskutieren begannen, schrieb man das Jahr 2005. Zu diesem Zeitpunkt war die US-amerikanische Erfindung zur Mobilisierung von privaten Geldern für eine fungible Immobilienanlage, die Dividenden abwirft, auch im asiatischen Raum schon popularisiert worden. Die Börse Tokio hatte bereits rund 20 Reits auf dem Kurszettel, während in Singapur eine Handvoll am Start war.
Kein Vertrauen
Die chinesische Regierung hat den Instrumenten nie so richtig über den Weg getraut, weil sie vermutete, dass diese Investmentform lediglich dazu beitragen würde, die allfällige Problematik einer Immobilienpreishausse am Wohnungsmarkt wie auch im gewerblichen Sektor zu verschärfen. So ist sehr viel Wasser den mächtigen Jangtse heruntergeflossen, bis sich Pekings Finanzmarktplaner überhaupt wieder ernsthaft mit dem Thema beschäftigten.
Im Frühjahr 2020 aber ist Peking dann recht plötzlich mit einem Konzept für die Entwicklung von „Reits mit chinesischen Charakteristika“ aus dem Wald gekommen und hat auch gleich ein entsprechendes Pilotprojekt auf den Weg gebracht. Unter der Ägide der Wirtschaftsplanungskommission „National Development and Reform Commission (NDRC)“ wurden nach einem sorgfältigen Auswahlprozess eine Reihe von öffentlichen Infrastrukturprojekten unter der Obhut von staatlichen Assetmanagementgesellschaften in börsengängige Trusts eingebracht und dem privaten Investorenpublikum angeboten.
Ultravorsichtiger Staat
Der in Sachen „Finanzinnovationen“ ultravorsichtige chinesische Staat hat freilich nichts anbrennen lassen und für die ersten Vehikel Aktiva ausgesucht, die mit herkömmlichen Reits wenig gemeinsam haben. Unter den insgesamt neun Gesellschaften befinden sich Mautstraßenbetreiber, Industrieparks, Logistikeinrichtungen, ein Klärwerk, eine Müllverwertungsanlage und ein Biomasse-Energieerzeugungsprojekt. Damit wurden die ersten chinesischen Reits mit Assets unterlegt, denen man in jedem Fall geringe Risiken zuschreiben kann, weil sie stabile Erträge erwarten lassen, von herkömmlichen Immobilienmarktschwankungen völlig unberührt sind und zudem ein öffentlich-rechtliches Stützwerk aufweisen.
Die neun neu kreierten Immobilientrusts wurden zeitgleich am 21.Juni in den Handel an den Börsen in Schanghai und Shenzhen geschickt und sind von Retailinvestoren gierig aufgeschnappt worden. So waren von 1,5 Millionen Anlegerkonten entsprechende Zeichnungswünsche eingegangen und haben für eine ansprechende Performance in den ersten Handelswochen gesorgt. Mit der ersten Reits-Welle wurden 30Mrd. Yuan beziehungsweise 4,6Mrd. Dollar (3,9 Mrd. Euro) eingesammelt, mittlerweile hat ihr Marktwert auf rund 5 Mrd. Dollar angezogen.
Noch ein Winzling
Der chinesische Reits-Markt ist auch im asiatischen Vergleich noch ein Winzling, aber Analysten bei Goldmans Sachs messen ihm ein enormes Potenzial bei, mit dem auf längere Frist sogar die USA in den Schatten gestellt werden könnten (siehe Grafik). Dafür braucht es freilich nicht nur eine massive Ausdehnung im Infrastrukturbereich, sondern die sukzessive Einbeziehung von Assets, die in westlichen Ländern typischerweise in Frage kommen. Dazu zählen Bürokomplexe, Shopping-Malls, Industrie- und Logistikgebäude und letztlich auch Wohnimmobilien.
Man muss allerdings davon ausgehen, dass die chinesische Regierung eine langsame Gangart anschlägt und auf absehbare Zeit verhindern wird, Reits mit einem riskanteren Risikoprofil und entsprechend auch höherem Kursschwankungspotenzial in den Markt kommen zu lassen. Das hat eine ganze Reihe von Gründen in einem Land, dessen wirtschaftliches Wachstumspotenzial ganz wesentlich vom Immobilienmarkt geprägt wird, aber gleichzeitig mit Finanzstabilitätsgefahren durch Vermögenspreisblasen am Immobilienmarkt zu kämpfen hat.
Ernste Sorgen als Auslöser
Dass man nun überhaupt mit Reits an den Start gegangen ist, hat in erster Linie damit zu tun, dass sich die Regierung nach dem Ausbruch der Corona-Epidemie ernste Sorgen über die Erlahmung der Anlageinvestitionen als einem wesentlichen Wachstumstreiber für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) macht. Das weckt das Interesse an neuen Finanzierungsmechanismen, die mehr private Investoren einbinden und bereits hoch verschuldete Lokalregierungen entlasten. Auf der Suche nach gesünderen Finanzierungsmodellen für Infrastrukturinvestments sind die chinesischen Reits also eine willkommene Abwechslung – und dazu noch ein Versuchskaninchen zur Beobachtung des Investorenverhaltens im Umgang mit einer neuen Anlageform.
Ungewisse Zukunft
Ob Chinas Reits-Markt eine große Zukunft bevorsteht, ist noch ungewiss. Es gibt eine ganze Reihe von Hindernissen zu überwinden, damit die chinesischen Strukturen sich denen auf etablierten Märkten angleichen können. Bei den kürzlich aufgelegten Reits findet man seltsam verschlungene Eigentümerschafts-Konstrukte vor, die verhindern sollen, dass die Trusts die zugrundeliegenden Assets tatsächlich besitzen – schließlich handelt es sich um öffentliche Infrastrukturanlagen. Auch weisen die neuen Reits – ganz im Einklang mit Pekings extremer Vorsichtshaltung – sehr geringe Verschuldungshebel auf, was ihr Wachstumspotenzial durch Akquisitionen stark limitiert.
Abgesehen davon hat man sich in Peking noch nicht näher mit steuerlichen Anreizen befasst, die in westlichen Märkten das Reits-Thema sowohl aus Emittenten- wie auch Anlegersicht erst richtig attraktiv machen. Es wird noch weiterhin viel Wasser den Jangtse herunterfließen müssen, bis chinesische Reits auch nur annähernd eine wesentliche Rolle bei der Vertiefung des heimischen Kapitalmarktes spielen können.