LEITARTIKEL

Das blau-gelbe Phantom

Lange nichts gehört von der Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank. Es muss schon ganze zehn Tage her sein, dass sich ein bei beiden Häusern in doch überschaubarer Höhe beteiligter Investor wichtig nahm, indem er verlautbaren ließ, er unterstütze...

Das blau-gelbe Phantom

Lange nichts gehört von der Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank. Es muss schon ganze zehn Tage her sein, dass sich ein bei beiden Häusern in doch überschaubarer Höhe beteiligter Investor wichtig nahm, indem er verlautbaren ließ, er unterstütze den Zusammenschluss der zwei verbliebenen Frankfurter Großbanken. Seitdem herrscht Stillstand der Gerüchtspflege. So eine lange Phase der Nichtspekulation ist ungewöhnlich in dieser Sache. Denn in aller Regel produziert die von Märkten und Medien veranstaltete Jagd nach dem blau-gelben Phantom täglich nicht nur zuweilen heftige Kursausschläge, sondern vor allem auch Schlagzeilen.Zunächst: Das Thema ist nicht brandneu. Zum Beispiel geisterte es 2016 mit bemerkenswertem Beharrungsvermögen durch Handelssäle und Gazetten. Und noch zehn bis 20 Jahre früher, in der ganz wilden Zeit, war sowieso alles möglich. Da sprach – so lautete die Standardauskunft – “jeder mit jedem” und wurden auch tatsächlich Bankfusionen in allen erdenklichen Farbkombinationen ersonnen, beschlossen und wieder verworfen beziehungsweise aufgelöst. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) versuchte sich bereits 2004 an einer Industriepolitik für den Finanzplatz. Eine seiner bevorzugten Kombinationen war gelb-weiß-blau.Olaf Scholz (SPD) ist noch nicht Bundeskanzler, aber Bundesfinanzminister. Und seit er im vergangenen Sommer in diesem Amt über “so etwas wie eine Standort- oder Industriepolitik” für den Finanzsektor philosophierte, ist die Fusion, die nicht kommt, endgültig zum Running Gag am Bankenplatz geworden. Zwar findet allem Anschein nach ein reger Pendelverkehr zwischen der politischen Hauptstadt und der Kapitale des Kapitals statt, und die Beteiligten treffen sich nicht nur zum Kaffeeklatsch, sondern auch, um über “wirtschaftlich sinnvolle Optionen” zu reden (solchen steht die Bundesregierung erklärtermaßen offen gegenüber – könnte sie das Gegenteil behaupten?). Gleichwohl muss der Verdacht nicht völlig abwegig sein, dass die Causa Analysten und Journalisten mehr umtreibt als die Strategen in Berlin und Frankfurt. Womöglich lachen die sich über das teils kursrelevante Geschreibsel kaputt, denken weiterhin nicht im Traum daran, irgendetwas zu bestätigen oder zu dementieren, und machen ansonsten einfach ihren Job? Aber gehen wir mal erstens von der Annahme aus, über die sicher weithin Konsens besteht, dass die Republik im Allgemeinen und die Realwirtschaft im Besonderen einen starken und soliden Finanzsektor brauchen. So sagt man ja gemeinhin. Unterstellen wir zweitens, worüber man schon eher geteilter Meinung sein kann, wenn man die Analyse nicht unzulässigerweise auf die Großbanken beschränkt, dass es diesen starken und soliden Finanzsektor hierzulande nicht gibt. Dann lässt doch die Tatsache, dass in den überlieferten rund zwei Dutzend Gesprächen zwischen hochrangigen Vertretern der Deutschen Bank und des Finanzministeriums, darunter nicht zuletzt Scholz und sein Staatssekretär Jörg Kukies, nichts Ad-hoc-Pflichtiges zustande gebracht wurde, im Wesentlichen nur zwei Schlussfolgerungen zu. Entweder ist der Handlungsbedarf wider Erwarten doch nicht allzu dringlich; dem deutschen Kreditgewerbe als Ganzem geht es gar nicht schlecht, die Konsolidierung ist weit fortgeschritten, und Deutschlands Unternehmen und Verbraucher sind prima mit Finanzdienstleistungen aller Art versorgt. Das wäre eine gute Nachricht. Oder, das wäre dann die schlechte: Die Protagonisten sind, so wird in ähnlichen Fällen in Bayern formuliert, zu blöd, zwei Banken zu fusionieren. Nebenbei: Die Kreditgenossen haben, als sie noch ein paar mehr Zentralbanken ihr Eigen nennen durften, auch mal locker zwei Fusionen in kurzer Zeit gestemmt. Nur die letzte brauchte zugegebenermaßen auch etwas länger.Außerhalb Bayerns würden wir natürlich nie auf die Idee kommen, die Vorstände bedeutender Banken der Blödheit zu zeihen. Unwillen wäre in diesem Kontext das Äußerste, das wir den Verantwortlichen vorhalten würden. Das Problem im aktuellen Fall ist, dass es vermutlich nicht nur eine Braut gibt, die sich nicht traut, sondern gleich zwei Runaway Brides. Aber wäre es nicht endlich an der Zeit, sich zu entscheiden und dies zu kommunizieren, bevor noch mehr überflüssige Analysen und Kommentare geschrieben werden? Gibt es in Deutschland wirklich nicht Wachstums- und Ertragspotenzial genug für zwei private Großbanken? Dann tut es! Mit Julia Roberts und Richard Gere hat es am Ende ja auch noch geklappt. Aber vor allem: Bringt es bitte zu Ende. So oder so.—–Von Bernd WittkowskiIn dem Film mit Deutscher Bank und Commerzbank in den Hauptrollen gibt es vermutlich nicht nur eine Braut, die sich nicht traut, sondern deren zwei.—–