Stefan Zeidler

„Diese Krise wirft uns nicht um“

Stefan Zeidler betrachtet die Wirtschaft in der Region Stuttgart trotz Corona als robust. „Diese Krise wirft uns nicht um“, sagt der CEO der Volksbank Stuttgart im Interview mit Blick auf die Resilienz der Betriebe im mittleren Neckarraum als auch die seines Instituts.

„Diese Krise wirft uns nicht um“

Herr Zeidler, warum hat es Sie nach einer Karriere bei Großbanken wieder an den Neckar zurückgezogen?

Nun, in unserer überregulierten Welt sieht man den Kunden und seine Bedürfnisse vielfach kaum mehr. Die Bank wird dabei vielfach zum Portfoliomanager. Ich arbeite aber gern mit Kunden zusammen. Mich hat es stets fasziniert, Firmen bei der Transformation in neue Welten zu unterstützen. Das kann ich mit einer Organisation in der Größenordnung der Volksbank Stuttgart gut umsetzen. Als sich dann vor drei Jahren die Möglichkeit ergeben hat, an den Neckar zurückzukehren, habe ich gerne die Chance beim Schopf ergriffen. Zumal ich als gebürtiger Stuttgarter bei der Cannstatter Volksbank, eine unserer Vorgängerbanken, meine Lehrzeit verbracht habe.

Die Volksbank Stuttgart hat sich vor Kurzem doch dazu durchgerungen, Minuszinsen für Privatanleger zu berechnen.

Wir gehen mit Bedacht vor und gestalten das Ganze als einen zweistufigen Prozess. Zunächst haben wir im April Negativzinsen für Neukunden mit einem Guthaben über 100000 Euro eingeführt. Wer also auf Giro- und Tagesgeldkonten insgesamt mehr als 100000 Euro anlegt, dem werden oberhalb dieser Grenze ein Verwahrentgelt von 0,5% per annum berechnen. Das ist genau der Satz, den wir wie alle Geschäftsbanken für eigene Guthaben bei der Europäischen Zentralbank entrichten müssen.

Und wie gehen Sie bei Bestandskunden vor?

Hier haben wir noch keinen Schwellenwert festgelegt. Allerdings steckt bei diesem Thema der Teufel im Detail. Denn wir werden mit Bestandskunden Einzelvereinbarungen treffen, welche sich nach dem Umfang der Geschäfte richten, die die Kunden mit uns machen. Auch die Mitgliedschaft spielt eine Rolle. Ziel ist es, das Thema Verwahrentgelte in unserem Hausbankmodell zu verankern. Um dies zu regeln, haben wir uns ein Jahr Zeit vorgenommen.

Was geschieht mit Spargeldern?

Das Sparkonto, das es bei uns weiterhin geben wird, ist für Negativzinsen tabu. Allerdings sollte das Sparkonto nicht ersatzweise als Girokonto benutzt werden.

Ihr neues Gebührenmodell für das Girokonto begünstigt all jene, die geschäftlich sehr aktiv sind, während Kunden mit wenig Mitteln zur Kasse gebeten werden.

Wir sehen Kunden mit kleinen Vermögen nicht als benachteiligt an. Dazu ist eine Monatsgebühr von 4,90 Euro zu wenig. Es stimmt aber, dass diejenigen, die viel Bankgeschäfte mit uns machen, belohnt werden. Das Gegenmodell wird von den Sparda-Banken praktiziert, die eine Pauschale von fünf Euro für alle verlangen.

Haben Sie denn infolge des neuen Gebührenmodells Kunden ver­loren?

Wir hatten lediglich rund 100 Kündigungen. Es wird in der Breite von den Kunden akzeptiert, dass ein Girokonto auch Geld kostet.

Wie hoch setzen Sie denn den Ergebniseffekt an, der sich durch Minuszinsen ergibt?

Unsere Branche hat jahrelang die Minuszinsen, die ihr die EZB seit 2014 abverlangt, aufgefangen und nicht an die Kunden weitergeben. Inzwischen sind unsere Zinserträge aus Altkrediten derart abgeschmolzen, dass dies immer schwerer fällt. Hinzu kommt ein enormer Einlagenzuwachs, den wir ja ebenfalls geschickt anlegen müssen. Je nach Fristentransformation und Bonität der Wertpapiere, in denen wir anlegen, errechnet sich für uns ein Minuszinseffekt von 0,3%. Durchgerechnet schlagen damit die Negativzinsen bei uns bereits jetzt mit rund 10 Mill. Euro zu Buche.

Wie ist das Jahr 2021 bei Ihnen angelaufen?

Erstmals seit Langem übertreffen die Firmenkredite mit einem Wachstum von 4 bis 5% wieder die Zuwächse bei den Einlagen mit einem Plus von 2 bis 3%. Letzteres liegt auch daran, dass Privatkunden stärker in Wertpapieren anlegen.

Inwieweit schlägt sich die Pandemie auf Ihr Geschäft nieder?

Wir haben es mit extrem wenig Stundungen zu tun. Es sind weniger als 100 Privatkunden betroffen und unter einem Prozent Firmenkunden.

Dennoch haben Sie die Risikovorsorge 2020 verdreifacht.

Die 15 Mill. Euro, die wir dafür vorgesehen haben, stellen ja keine Ausfälle dar, sondern entsprechen dem Handeln des vorsichtigen Kaufmanns. In Relation zu einem rund 5 Mrd. Euro schweren Kundenkreditportfolio und weiteren 2 Mrd. an Wertpapieren sind 15 Mill. Euro gering. Wir waren die vergangenen zehn Jahre, in denen es praktisch keine Ausfälle gab, auch sehr verwöhnt. Natürlich sind wir immer wachsam, aber es sind kaum Sorgenkinder in Sicht. In den vergangenen Jahren haben die meisten Firmen Substanz angehäuft. Die Eigenkapitalquoten sind im Schnitt vom unteren einstelligen Prozentbereich auf deutlich mehr als 20% gestiegen. Die Coronakrise wirft uns nicht um – weder die Firmen noch uns als Bank.

Wie schlägt sich nach Ihrer Beobachtung die Wirtschaft im Kernland der Automotive-Industrie?

Die Angst abgehängt zu werden, hat sich gelegt. Daimler oder Bosch haben die Zeichen der Zeit der E-Mobilität erkannt. Zulieferer, die bisher Präzisionsteile hergestellt haben, sind in der Lage, dies auch für neuartige Antriebstechniken zu tun. Natürlich wird es einige Verschiebungen der Lieferketten geben. So dürften deutsche Automobilkonzerne verstärkt in dem Riesenmarkt China Produktionsstätten aufbauen. Die Frage wird dann sein, ob alle unsere Zulieferer ihnen dorthin folgen können.

In Ihrem Marktgebiet, der Stadt Stuttgart sowie dem Rems-Murr-Kreis, gibt es immer noch eine Reihe von Genossenschaftsbanken, die fast alle sehr viel kleiner als die Volksbank Stuttgart sind. Böten sich da nicht gleich mehrere Fusionen an?

Das Geschäftsmodell dieser Institute beruht wie bei uns auf sehr, sehr engen Kundenbeziehungen. Unsere Politik ist es aber, keine Übernahmeversuche zu starten. Sofern wir angesprochen werden, sind wir natürlich für Gespräche immer offen. Es ist auch nichts in der Pipeline. Dafür muss die Zeit reifen. Ohnehin befinden wir uns in einer komfortablen Situation, in der wir auf absehbare Zeit keine Fusionen brauchen.

Ende 2021 werden weitreichende Anforderungen der Taxonomie- und der Offenlegungsverordnung in Kraft treten, die die Einhaltung der Nachhaltigkeitsaspekte Um­welt, Soziales und Unternehmensführung (ESG-Kriterien) sichern sollen. Banken müssen in der Anlageberatung die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden abfragen. Was erwarten Sie sich von dieser sogenannten ESG-Regulierung?

Regulatorisch steht uns der Sturm noch bevor. Ich fürchte, dass es mal wieder ein riesiges Bürokratiemonster sein wird, das da auf uns zurollt. Wir werden einen entsprechend hohen Schulungsaufwand haben. Dabei sehen wir nachhaltiges Wirtschaften schon immer als eine zentrale Aufgabe unserer Gesellschaft an, die wir Genossenschaftsbanken in unserer DNA ohnehin fest verankert haben.

Mit welchen Erwartungen blicken Sie auf den weiteren Jahresverlauf?

In Abhängigkeit von der dritten Coronawelle ist es nur eine Frage der Zeit, wann der Wirtschaftsaufschwung kommen wird. Es ist möglich, dass sich an manchen Stellen lückenhafte Lieferketten als Bremsfaktor für das Wachstum auswirken. Und natürlich werden einige Firmen die Krise nicht überleben. Einen gewissen Aufwärtstrend bei Neugründungen im digitalen als auch im klassischen handwerklichen Bereich beobachten wir bereits heute.

Welche Zukunft sehen Sie denn für Regionalbanken wie die Ihre?

Wir müssen uns verändern, um das weiterhin tun zu können, was wir seit Jahrzehnten tun: in engem Kontakt mit den Kunden bleiben. Daher müssen wir unsere Anpassungsfähigkeit bewahren. Dafür gilt es, die analoge mit der digitalen Welt noch stärker zu verknüpfen.

Das Interview führte Thomas Spengler.