Neuer Crash durch entfesselte US-Banken droht
Neuer Crash durch entfesselte US-Banken droht
Risikofreude der Wall Street weckt Sorgen um Finanzstabilität – Aufweichung von Kapitalvorgaben und Wachstumsbeschränkungen bergen Gefahren
Die US-Großbank Wells Fargo darf nach Jahren enger Kontrolle wieder wachsen – und meldet gleich hohe Ambitionen im Investment Banking und den Private Markets an. Dabei ist die Risikofreude an der Wall Street ohnehin gewachsen. Die bereits großen Sorgen von Ökonomen um die Finanzstabilität nehmen noch zu.
Von Alex Wehnert, New York
Auf der Westseite Manhattans knallen am vergangenen Dienstag die Sektkorken. Vor einem Eckbüro des Hochhauses an der Adresse 30 Hudson Yards hat sich die Führungsriege von Wells Fargo versammelt. Die Manager der viertgrößten US-Bank um CEO Charlie Scharf stoßen darauf an, dass die Federal Reserve nach sieben langen Jahren Wachstumsbeschränkungen für das Geldhaus aufgehoben hat.
Hohe Ambitionen im Investment Banking
Regulatoren hatten die Bilanzsumme von Wells Fargo 2018 bei 2 Bill. Dollar gedeckelt – zuvor war aufgeflogen, dass Mitarbeiter des Finanzinstituts ohne Autorisierung Millionen von Kundenkonten eröffnet hatten, um hohe Vertriebsziele zu erreichen. Nun will die Bank, befreit von ihren Fesseln, über alle Geschäftsbereiche hinweg kräftig wachsen. Scharf, 2019 zu Wells Fargo gestoßen und seither hauptsächlich mit der Aufarbeitung von Skandalen beschäftigt, lässt hohe Ambitionen im Corporate und Investment Banking durchblicken, wo sein Haus Adressen wie Goldman Sachs und Morgan Stanley weit hinterherhinkt. Zudem fasst Scharf in Interviews mit US-Medien wie dem „Wall Street Journal“ Möglichkeiten ins Auge, die nun vor einer Ausweitung stehenden Mittel auf der Bilanz für Vorstöße in den stark gewachsenen Private-Credit- und Direct-Lending-Markt einzusetzen.

picture alliance / Pacific Press | Lev Radin
Doch was in der Chefetage von 30 Hudson Yards Jubel auslöst, weckt bei Analysten große Sorgen. Denn Amerikas Banken haben ihr Engagement an den schwach regulierten und illiquiden Private Markets im Streben um höhere Renditen ohnehin bedeutend ausgeweitet. So vergaben sie laut S&P Global 2024 erstmals Kredite im Volumen von über 1 Bill. Dollar an Intermediäre ohne Einlagengeschäft, um ihre unter Druck geratenen Zinsmargen zu stützen.
„Die gewachsene Bedeutung dieser Anbieter ist nicht zwangsläufig ein Problem, aber die Ansteckungsgefahren für das traditionelle Finanzsystem sind zweifelsohne gewachsen“, sagte Michael Theurer, Vorstandsmitglied der Bundesbank, der Börsen-Zeitung am Rande einer Diskussionsrunde mit Vertretern des American Council on Germany sowie der amerikanischen und deutschen Wirtschaft Ende Mai in New York.
Strukturiertes boomt wieder
Zugleich legen die Geldhäuser etwas mehr als 16 Jahre nach der Finanzkrise wieder im großen Stil strukturierte Finanzprodukte jeglicher Couleur auf: Die Emissionen von Asset-Backed Securities (ABS) haben im vergangenen Jahr mit 335 Mrd. Dollar ein Rekordvolumen erreicht – bei Collateralized Loan Obligations (CLOs), in denen eine Vielzahl an Unternehmenskrediten gepoolt werden, schoss die Begabe mit 201 Mrd. Dollar ebenfalls auf das höchste Niveau jemals. Das Ende der Fahnenstange ist dabei wohl noch nicht erreicht, S&P Global rechnet für 2025 erneut mit Spitzenwerten.

Die Expansion erfolgt allerdings zu einem Zeitpunkt, zu dem Ökonomen die Finanzstabilität in so großer Gefahr sehen wie seit der Krise 2008 nicht. Der ehemalige US-Finanzminister Lawrence „Larry“ Summers warnte zuletzt öffentlich vor gestiegenen Rezessionsrisiken und neuerlichen Inflationssprüngen – die es der Federal Reserve wiederum erschwerten, der Wirtschaft wie während der Hochphase der Corona-Pandemie mit einer umfangreichen Liquiditätszufuhr unter die Arme zu greifen. Die erratische Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump mache es dabei praktisch unmöglich, auch nur für die kommenden Monate zu planen.
IWF fürchtet Deleveraging-Spirale
Der Internationale Währungsfonds (IWF) betont, dass die Volatilität an den Finanzmärkten Banken unter Druck setze – insbesondere solche mit hohem Leverage. Denn im Gleichschritt mit den verwalteten Mitteln der Hedgefonds- und Assetmanagement-Branche seien auch ihre Verschuldungsgrade und Vernetzungen mit dem traditionellen Finanzsektor gewachsen. Im bisherigen Jahresverlauf mussten Hedgefonds den umfangreichsten Margin Calls, also Nachschusspflichten auf Kredite, seit dem Corona-Crash nachkommen. Der IWF warnt vor einer „Deleveraging-Spirale“, in deren Zuge die Schieflage von Risiko-Vehikeln das Finanzsystem auf die Belastungsprobe zu stellen drohe.
In diesem Umfeld setzen US-Regulatoren in der Amtszeit Trumps allerdings nicht auf striktere Regulierung, sondern auf laxere Kontrollen. So wollen die Fed, die Einlagensicherung FDIC und das für die Überwachung des Kreditwesens zuständige OCC offenbar die Supplementary Leverage Ratio (SLR), die Anforderungen für das Tier-1-Kapital von Finanzinstituten im Verhältnis zu den Fremdmitteln auf und abseits der Bilanzen festlegt, deutlich aufweichen. Bei global systemisch wichtigen US-Instituten (GSIBs) lag sie zuletzt bei durchschnittlich 6,1% und damit nur knapp über dem von Regulatoren angepeilten Mindestwert von 6%.
Unsicherheit um globale Regulierung
Noch vor zwei Jahren sprachen sich die Regulatoren unter dem Eindruck der US-Regionalbankenkrise, in deren Zuge es 2023 binnen zwei Monaten zu drei der vier größten Zusammenbrüche von Finanzinstituten in der Historie der Vereinigten Staaten kam, für deutlich härtere Kapitalvorgaben aus. Gemäß damaligen Plänen sollten die Mindestanforderungen für das harte Kernkapital globaler, systemisch wichtiger US-Institute um 20% steigen. Nach heftigem Gegenwind aus der Branche ruderten sie bereits im vergangenen Jahr allerdings zurück – seither herrscht große Unsicherheit um das „Basel III Endgame“, die Umsetzung des globalen Bankenpakets in den USA.

Theurer zeigt sich im Gespräch mit der Börsen-Zeitung „nicht beunruhigt“ über das Vorgehen der amerikanischen Regulierungsbehörden bei der Umsetzung von Basel III . „Dass Fragen der Bankengesetzgebung mitunter erhitzte Diskussionen auslösen, kennen wir aus der EU“, sagte Theurer, der „vom multilateralen System der Bankenaufsicht überzeugt“ ist. Entscheidend seien nicht aktuelle Wasserstandsmeldungen zum „Basel III Endgame“, sondern die Signale aus Washington, gemäß denen US-Behörden grundsätzlich zur Umsetzung des globalen Bankenpakets bereit seien. Noch sei abzuwarten, zu welcher genauen Regelumsetzung der amerikanische Konsultationsprozess führe – Ziel sei es in jedem Fall aber, am Ende über international vergleichbare Standards zu verfügen.

picture alliance / Eibner-Pressefoto | Sandy Dinkelacker
Die Finanzregulierung sei – auch, weil Standards aus unterschiedlichen Ländern zusammengeführt werden müssten – zu komplex geworden. „Der Abbau dieser Komplexität darf aber nicht in einer verkappten Deregulierung enden“, betonte der Bundesbank-Vorstand. „Wir tun gut daran, uns in Erinnerung zu rufen, warum wir die in Basel III festgehaltenen Regelungen getroffen haben.“ Der Ausbruch der Finanzkrise 2008 sei zwar 17 Jahre her, die Folgen seien aber „bis heute spürbar“.
Haushaltspaket verstärkt Sorgen
Mit dem Amtsantritt Trumps ist die Furcht vor einem neuen Crash gewachsen. Parallel verstärken die Haushaltspläne des Präsidenten Zweifel an der fiskalischen Stabilität Washingtons. Das Congressional Budget Office schätzt, dass die aktuell im Senat diskutierte „Big Beautiful Bill“ des Republikaners das ohnehin beträchtliche amerikanische Budgetdefizit über das kommende Jahrzehnt um zusätzliche 2,4 Bill. Dollar aufblähen wird. Denn das Gesetz sieht eine Verlängerung umfangreicher Steuersenkungen für Unternehmer und vermögende Individuen sowie höhere Ausgaben für die Verteidigung und den Grenzschutz vor.
Die Aussicht darauf, dass die USA mit Blick auf die Schuldenquoten bald in einer Liga mit Japan und Italien spielen könnte, setzt gerade lang laufende US-Staatsanleihen im laufenden Jahr schwer unter Druck. Das Washingtoner Finanzministerium will Banken indes verstärkt als Ankerinvestoren im Treasury-Markt einspannen – die Aufweichung der Supplementary Leverage Ratio soll es Banken unter anderem erleichtern, Staatspapiere zu halten.
Verschuldung mit schweren Folgen
„Das Niveau der öffentlichen Verschuldung hat Auswirkungen auf die Finanzstabilität“, gibt Theurer zu bedenken. Zweifel an der Schuldentragfähigkeit stellten ein Risiko dar, da sie die Fähigkeit von Regierungen einschränkten, bei Krisen in der Privatwirtschaft und dem Finanzsektor stabilisierend einzugreifen. In einem Umfeld, in dem die geopolitischen Spannungen auch infolge der von Trump verhängten Strafzölle zunähmen, sei ein enger Dialog zwischen Banken und Aufsichtsbehörden besonders wichtig. „Die Europäische Union hat die Ansteckungsrisiken von der Ebene der Banken auf die Nationalstaaten durch antizyklische Kapitalpuffer und andere makroprudenzielle Maßnahmen zwar begrenzt. In die andere Richtung – vom Staat in den Finanzsektor – bestehen aber immer noch Gefahren“, führte Theurer aus.

picture alliance / abaca | Guerin Charles/ABACA
In die gleiche Kerbe schlug mit Blick auf Amerika zuletzt auch die Ratingagentur Moody's. Diese stufte die Bonität der Vereinigten Staaten im Mai von „Aaa“ auf „Aa1“ herab, die Rivalinnen S&P und Fitch hatten Washington die Spitzennote bereits 2011 bzw. 2023 entzogen. Moody's senkte nach dem jüngsten Downgrade indes auch den Daumen über führende US-Geldhäuser – darunter neben J.P. Morgan, Bank of America und Bank of New York Mellon auch Wells Fargo. Für sie ging es von „Aa1“ auf „Aa2“ herab. Die Ratingagentur greift dabei zu einer klaren Begründung: Die inzwischen stark eingeschränkte Fähigkeit Washingtons, die Geldhäuser im Krisenfall zu unterstützen.
Beben unter Regionalinstituten befürchtet
Doch lauern auch für regionale Institute Gefahren – gerade dadurch, dass Wells Fargo nach Jahren der Beschränkungen enormen Aufholbedarf verspürt. Hätte die viertgrößte US-Bank zwischen 2019 und 2024 mit dem landesweiten Einlagenwachstum Schritt halten dürfen, hätte sie nach eigenen Angaben und Schätzungen der Federal Reserve 400 Mrd. Dollar an zusätzlichen Mitteln eingeworben. Kämpft sie nun darum, ihre alten Marktanteile zurückzugewinnen, könnten den im KBW Nasdaq Bank Index vertretenen Regionalhäusern – die ihre durchschnittlichen jährlichen Depositen laut dem Datendienst Visible Alpha in den vergangenen sieben Jahren um 1 Bill. Dollar ausgeweitet haben – wieder hohe Mittel abfließen.
Marktteilnehmer reagieren seit der Krise von 2023 allerdings äußerst empfindlich auf jegliche Signale zunehmenden Liquiditätsdrucks auf US-Regionalbanken. Erodiert das Vertrauen in kleine und mittelgroße Geldhäuser, droht dies laut Analysten auch auf die führenden Häuser der Branche überzugreifen – nicht nur, weil ihnen als größten Beitragszahlern der Einlagensicherung FDIC erneut hohe Sonderbelastungen drohen, wenn andere Finanzinstitute kollabieren. Dann dürfte auch die Feierlaune auf der Chefetage von 30 Hudson Yards bald einer Katerstimmung weichen.