„Filialen sind ein Wettbewerbsvorteil für uns“
Im Gespräch: Sven Matthiesen
„Filialen sind ein Wettbewerbsvorteil für uns“
Privatkundenvorstand der Frankfurter Sparkasse über die Bindungskraft von Niederlassungen – Mit Seiteneinsteigern und TikTok gegen Personalmangel
Von Tobias Fischer, Frankfurt
Gute Arbeitskräfte zu finden und zu halten, ist eine der schwierigsten Aufgaben von Finanzhäusern. Die Frankfurter Sparkasse setzt im Privatkundengeschäft auf ein Bündel von Maßnahmen: Seiteneinsteiger-Programm, Werkstudenten und ein Social-Media-Team, das auch der Nachwuchsgewinnung dient.
Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels wirbt die Frankfurter Sparkasse um kaufmännische Quereinsteiger und mit unkonventionellen Mitteln um junge Leute. Werden doch von den aktuell gut 1.500 Beschäftigten in wenigen Jahren altersbedingt jährlich 70 bis 80 aus Hessens größter Sparkasse ausscheiden, wie Vorstandsvorsitzender Ingo Wiedemeier im April sagte.
Allein im Verantwortungsbereich von Privatkundenvorstand Sven Matthiesen gehen derzeit fünf bis zehn Mitarbeiter pro Jahr. Tendenz steigend: „In den nächsten vier bis fünf Jahren sind das Zahlen, die noch verkraftbar sind, doch ab 2030 vervielfachen sie sich auf 20 bis 30“, sagt er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.
„Wand“ zwischen Sparkassen und Großbanken
Hinzu komme die Fluktuation. „Wir verlieren im Privatkundengeschäft fast ein Viertel des Personals über Pensionierung, ein Viertel wechselt die Stelle intern, und rund die Hälfte verlässt das Haus, häufig ins Studium.“ Diejenigen, die sich neue Arbeitgeber suchen, ziehe es dabei nicht zu den großen Privatbanken, beobachtet Matthiesen: „Wir sehen keinen Wechsel zwischen Commerzbank und Deutscher Bank einerseits und Sparkassen andererseits. Da steht eine imaginäre Wand.“
Privatkundenbetreuer Mangelware
Als schwierig erweise sich, Servicekräfte für die Niederlassungen zu finden. „Sie sind entscheidend, um die Filiale offenzuhalten.“ Der eigentliche Flaschenhals ist seiner Erfahrung nach aber die Position des Privatkundenbetreuers. „Das ist momentan der am schwierigsten zu besetzende Posten und auf Personalebene das größte Problem.“
Die Sparkasse unterscheidet fünf Funktionen, die ihre Mitarbeiter in den Filialen ausüben: So gibt es Servicemitarbeiter, die Kunden behilflich sind, sie aber nicht beraten; Komfortkundenberater, die beratend tätig sind, dabei aber Wertpapiere aussparen; Privatkundenberater, die Kunden inklusive Wertpapierberatung betreuen; Individualkundenberater, zuständig für das gehobene Privatkundengeschäft inklusive Wertpapiergeschäft. Und schließlich Private-Banking-Berater, die sich der Kunden mit einem besonders hohen Vermögen (ab 500.000 Euro) annehmen.
In neun Monaten ausgebildet
Um personelle Lücken in den Filialen zu schließen, bildet das Institut sogenannte Sparkassenkaufleute aus, die binnen neun Monaten in Schule und Betrieb das Bankgeschäft erlernen. Als Voraussetzung müssen sie eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung mitbringen. Gern gesehen sind zum Beispiel Hotelkaufleute, denen Matthiesen zugutehält, hervorragend mit Menschen umgehen zu können. Den Seiteneinstieg in die Sparkasse nehmen aber auch gelernte Einzelhandels-, Versicherungs-, Dialog-, Hotel-, Groß- und Außenhandelskaufleute.
Pro Jahr bietet die Frankfurter Sparkasse in Kooperation mit der Sparkassenakademie Hessen-Thüringen zwei Kurse mit je etwa einem Dutzend Teilnehmern an. Später finden die Sparkassenkaufleute dann Verwendung in den Filialen oder im Kundenservicecenter, wo telefonisch Fragen zu Girokonto und Online-Banking geklärt werden. Die meisten sind als Servicemitarbeiter tätig, doch haben es Matthiesen zufolge die Ersten zum Komfortkundenberater gebracht.
Mehr Auszubildende
Ob Sparkassenkaufleute auch in der Wertpapierberatung eingesetzt werden können, sei derzeit nicht absehbar. Noch gebe es nicht genügend Erfahrungswerte. Angelaufen ist das Seiteneinsteiger-Programm 2023, aktuell lernt der fünfte Jahrgang. Matthiesen zeigt sich zufrieden: „Es funktioniert gut, und wir haben anständige Bewerbungszahlen.“ Um dem sich verschärfenden Personalmangel etwas entgegenzusetzen, stellt die Sparkasse zudem mehr Auszubildende ein. 60 sind es nun jährlich, früher waren es 40.
Das Institut bezeichnet sich als einen der größten Bankausbilder am Bankenplatz Frankfurt. Um mehr Nachwuchskräfte zu gewinnen, ist es bereit, Abstriche zu machen. „Der Anspruch ist ein wenig niedriger als noch vor fünf bis zehn Jahren“, sagt Matthiesen über die Anforderungen an die Auszubildenden. „Wir interessieren uns auch wieder stärker für Realschüler.“
Deren Ausbildungsdauer ist mit zweieinhalb Jahren etwas länger als bei Abiturienten, die zwei Jahre lernen. Die Erfahrungen seien positiv. Mit dem aktuellen Bewerberjahr zeigt sich Matthiesen sehr zufrieden. Bereits jetzt seien alle Stellen besetzt, so früh wie seit vielen Jahren nicht mehr. Auch seien wieder mehr Abiturienten eingestellt worden als in vorherigen Jahren.
Anders als die Seiteneinsteiger, die bei der Frankfurter Sparkasse als Servicemitarbeiter anfangen, können Auszubildende nach bestandener Prüfung als Privatkundenbetreuer loslegen. „Nur wenige Auszubildende wollen Servicemitarbeiter oder Komfortkundenberater werden. Die meisten streben in höherwertige Positionen“, beobachtet Matthiesen.
Werkstudenten binden
Abgesehen von Seiteneinsteigern und vom intensivierten Werben um Auszubildende versucht die Sparkasse, sich Werkstudenten warmzuhalten. Frühere Auszubildende, die es ins Studium verschlagen hat, versucht man an das Unternehmen zu binden, indem sie dort jobben können. Spürbar auf Bewerbungen junger Leute wirke sich die intensivere Präsenz der Sparkasse auf TikTok, Instagram und Co aus. „Wir haben unser Engagement hochgefahren und bemerken dadurch auch einen Anstieg der Bewerberzahlen“, berichtet Matthiesen. Sogar über ein eigenes kleines, hauptberuflich tätiges Social-Media-Team, das unter anderem Filme dreht, und über ein Studio verfügt die Bank.
Fast alle Finanzhäuser sind durch zwei, drei oder mehr Effizienzrunden gegangen. Momentan hat doch keiner mehr einen Überhang an Personal.
Die Frage, ob auch interne Umqualifizierung von Personal Linderung schaffen könnte, quittiert Matthiesen mit dem Hinweis: „Fast alle Finanzhäuser sind durch zwei, drei oder mehr Effizienzrunden gegangen. Momentan hat doch keiner mehr einen Überhang an Personal.“
Im Filialgeschäft sei Druck vor allem personal-, aber auch immobilienseitig zu verspüren, führt Matthiesen aus. Würden weitere Niederlassungen geschlossen, stießen aufnehmende Filialen womöglich an ihre Grenzen. „Wir hätten gar nicht den Platz für die Mitarbeitenden.“ Schließlich bedürfe es eines Kellers samt Raum für Schließfächer, das Erdgeschoss sei dem Kundenservice vorbehalten und in einem oberen Stockwerk müssten Beratungs- und Sozialräume untergebracht werden.
Mit der aktuellen Filialstruktur mit insgesamt 41 Niederlassungen fühlt sich der Privatkundenchef nach eigenem Bekunden wohl. Sie hätten nach wie vor ihre Berechtigung, dienten sie doch weiterhin als Ort der Akquise und Kundenbindung. „Filialen sind ein Wettbewerbsvorteil für uns. Wir gewinnen dadurch Kunden“, macht er deutlich.
Präsenz in Fläche erhalten
„Zu unserem Geschäftsmodell gehört die Präsenz in der Fläche. Wir merken, dass es Kunden gibt, die darauf angewiesen sind. Das verschafft uns immer noch Kundenzuwachs“, sagt Matthiesen. So seien im vergangenen Jahr unter dem Strich gut 7.000 Girokonten hinzugekommen. Insgesamt seien es jetzt mehr als 312.000 Girokonten für private Kunden, ohne Berücksichtigung der Direktbank-Tochter 1822direkt.
Etwa jeder fünfte Kunde verfüge dabei über keinen Online-Banking-Vertrag. Hinzu kämen rund 10%, die zwar einen haben, aber nicht nutzen – macht summa summarum 30% an Kunden, die ihre Bankgeschäfte ausschließlich über die Filiale führen, rechnet Matthiesen vor. Gemessen an den 312.000 Girokonten wären das also an die 94.000 Kunden.
Überforderte Kunden
Ihm falle auf, dass sich viele Menschen von Bankgeschäften generell und ihrer technischen Abwicklung im Besonderen überfordert fühlten, erzählt Matthiesen. „Nicht jeder mag Bankgeschäft. Es gibt Leute, die lieber zum Zahnarzt zur Wurzelbehandlung gehen, als sich mit Gelddingen auseinanderzusetzen.“
Nicht jeder mag Bankgeschäft. Es gibt Leute, die lieber zum Zahnarzt zur Wurzelbehandlung gehen, als sich mit Gelddingen auseinanderzusetzen.
Tagtäglich erlebten die Filialmitarbeiter der Sparkasse Menschen, die vor allem Mobile Banking an ihre Grenzen trieben. „Die zeitaufwendigste Tätigkeit im Service ist das Entsperren von Handys“, weiß Matthiesen. Ein weiterer Klassiker: Kunden verlieren ihre Debitkarte. „Was wir an Unterstützungsleistung bieten, ist enorm“, so der Vorstand. Der Aufwand binde Kunden an ihre Sparkasse, werfe aber auch die Frage einer Bepreisung auf.
Wenn die letzte Bankfiliale geht, ist klar, dass dieser Stadtteil aus sich heraus keine Kraft mehr entwickelt, um ein wirtschaftliches Eigenleben zu führen.
Filialen betrachtet Matthiesen als Anhaltspunkt dafür, wie es um ein Stadtviertel bestellt ist. „Ganz häufig ist es so: Wenn die letzte Bankfiliale geht, ist klar, dass dieser Stadtteil aus sich heraus keine Kraft mehr entwickelt, um ein wirtschaftliches Eigenleben zu führen. Kein Geschäft schafft es, dort zu überleben.“ In den Stadtteilen, aus denen sich die Frankfurter Sparkasse zurückgezogen habe, gebe es beispielsweise keinen DM oder keinen Rossmann mehr. „Letztlich sind unsere Filialen wie ein ökonomischer Indikator“, befindet Matthiesen.
Zur Person
Als Sven Matthiesen im August 2020 von der Helaba zur Frankfurter Sparkasse wechselte, um die Verantwortung für das Privatkundengeschäft zu übernehmen, war es eine Wiederkehr. Hatte er doch von 2005 an zehn Jahre lang das Ressort Vorstandsstab/Kommunikation in der Retail-Tochter der Landesbank geführt. Von 2015 bis 2020 verantwortete er in der Helaba Vorstandsstab und Konzernstrategie, 2001 bis 2005 beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) die Abteilung Sparkassenpolitik/Bankaufsicht.
Auch die genossenschaftliche Säule der deutschen Bankwirtschaft ist dem promovierten Diplom-Kaufmann vertraut. Seine berufliche Karriere begann nach der Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Landesbank Schleswig-Holstein nämlich bei der DG Bank, die 2001 mit der GZ Bank zur DZ Bank fusionierte. Zudem war Matthiesen beim Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) tätig.