„Finanzinstrumente auf DLT sind unvermeidlich“
IM GESPRÄCH: CHRISTIAN STORCK UND MARIUS RÄTZ
„Finanzinstrumente auf DLT sind unvermeidlich“
Die Linklaters-Juristen regen auch die Tokenisierung von GmbH-Anteilen für einen lebendigen Sekundärmarkthandel an
Von Björn Godenrath, Frankfurt
Wenn es eine Sache gibt, bei der die europäische Finanzmarktregulierung flotter unterwegs war als die US-Regelsetzer, dann ist das die Schaffung eines Rahmens für Blockchain als Finanzmarktinfrastruktur nebst Krypto-Wertpapieren. Aus dem Funken einer Initiative des EU-Parlaments heraus hatte die Kommission schon im März 2023 das sogenannte DLT-Pilotregime für den Handel und Nachhandel von tokenisierten Finanzinstrumenten geschaffen.
Die ESMA hat Empfehlungen zur Entwicklung des DLT-Pilotregimes vorgelegt
Aufgrund letztlich unnötiger Einschränkungen für den Handel war die Resonanz aber bescheiden geblieben: Bis heute sind nur drei Plattformen zugelassen, mit 21X ist ein erstes Startup dieser Tage in den operativen Betrieb gegangen. Um hier mehr zu ermöglichen, hatte die ESMA eine Konsultation gestartet und Ende Juni einen Report mit Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Marktes vorgelegt. „Der Ablauf sieht so aus, dass die EU-Kommission nun Empfehlungen für die weitere Umsetzung vorlegen müsste. Und das sollte möglichst schnell geschehen, haben die USA doch ein ganz schönes Tempo vorgelegt bei der Blockchain-Adaption“, so der Head of Capital Markets bei Linklaters, Christian Storck, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.
Mit dem Trendthema Stablecoins hat das ganze Ökosystem jetzt mehr Fahrt aufgenommen, sodass auch der geplante digitale Euro mit mehr Nachdruck aus dem politischen Bereich angeschoben wird.
Dass bislang nur drei Plattformen im Rahmen des DLT-Pilotregimes tätig sind, empfindet Storck als enttäuschend, vor allem vor dem Hintergrund des grundsätzlich großen Potentials. „Mit dem Trendthema Stablecoins hat das ganze Ökosystem jetzt aber mehr Fahrt aufgenommen, sodass auch Projekte wie der geplante digitale Euro mit mehr Nachdruck aus dem politischen Bereich angeschoben werden. Und neben der Asset-Seite braucht man in DLT-Ökosystemen nun mal idealerweise digitales Geld wie z.B. Stablecoins, um die Cash-Seite in der Abwicklung bruchlos darzustellen“, sagt Marius Rätz als Head of Fintech Germany bei Linklaters.
Alle wissen, an welchen Stellschrauben jetzt gedreht werden muss
Die beiden Experten gehen davon aus, dass es mit der Anpassung des DLT-Regimes schnell gehen kann. „Beim DLT-Piloten weiß man aus der Branchenkonsultation heraus, was man will. Es ist einfach common sense, dass man hier die Schleusen öffnet und Interoperabilität schafft, um mehr und tiefere Liquidität auf die Handelsplätze zu bekommen“, blickt Storck voraus. Abhängig von den Empfehlungen der Kommission könnte das DLT-Regime verlängert, erweitert oder direkt in dauerhafte Regulierung gewandelt werden.
Für Banken und weitere Intermediäre fehlt schlicht der Anreiz, die Akzeptanz für den digitalen Euro zu pushen.
Beide Experten hegen Zweifel, ob der im Raume stehende Legislativvorschlag zum digitalen Euro als gesetzliches Zahlungsmittel tragfähig sein kann. „Der digitale Euro kann als Zentralbankgeld grundsätzlich eine sinnvolle Ergänzung zu privaten Stablecoins darstellen – und hat den großen Vorteil, dass Zentralbankgeld nicht mit Emittentenrisiko verbunden ist. Aber in seiner derzeitigen Form ist er so angelegt, dass er für die Banken vor allem Kosten bedeutet, aber keinen greifbaren Nutzen allokiert. Damit fehlt für Banken und weitere Intermediäre schlicht der Anreiz, die Akzeptanz für den digitalen Euro zu pushen, zu dem Retailkunden ja dann gegebenenfalls über die EZB-Wallet direkt Zugang hätten. So ist das kein kohärentes Projekt. Der Gesetzentwurf zum digitalen Euro muss Raum für Geschäftsmodelle von Finanzinstituten schaffen“, stellen Rätz und Storck gemeinsam fest.
Im Oktober beginnt die Crunch Time für den digitalen Euro
Der Berichterstatter des Europaparlaments wird seinen Report im Oktober vorlegen, was dann die Diskussion um die Ausgestaltung des digitalen Euro in Schwung bringen sollte. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte zuletzt mehrfach ihre Ungeduld über die stockenden Beratungen in Brüssel gezeigt – wobei die EU-Finanzminister kürzlich Mitte 2026 als Zieldatum für den Abschluss der Beratungen in Aussicht gestellt haben. Dass allgemein ein Umdenken bei der möglichen Verwendung von Blockchain-Infrastruktur eingesetzt hat, zeigten Stimmen aus dem Umfeld des Parlaments, die sich dafür aussprachen, auch öffentliche Blockchains wie Ethereum für einen digitalen Euro zu verwenden. Wie genau solche Modelle aussehen und ob so etwas zustimmungsfähig ist, das dürfte sich bald zeigen.
Die Fintech-Chance bei Kapitalmarkt-Infrastruktur
Mit Blick auf das deutsche Fintech-Ökosystem stellt Rätz fest, dass bei Retail-Geschäftsmodellen hinter heutigen Scaleups wie Trade Republic und N26 eine gewisse „Anschlusslücke“ entstanden ist, auch wenn es im Seed- und Early-Stage-Bereich gute Ansätze und motivierte Gründer gibt. „Investoren wollen tendenziell schneller Profitabilität sehen, als das vielleicht noch vor fünf bis zehn Jahren der Fall war, was insbesondere beim Aufbau von B2C-Plattformen eine Herausforderung ist.“ Etwas mehr Spielraum gibt es bei B2B oder B2B2C, wo Fintechs wie Upvest Infrastruktur bereitstellen. Auch KI-basierte Geschäftsmodelle ziehen Kapital an, so wie die auf Geldwäscheverhinderung spezialisierte HawkAI. Und es würden sich natürlich nach wie vor Chancen für Startups ergeben bei der Tokenisierung von Assets und Finanzinstrumenten, sagt Rätz.
Neben Krypto-Aktien müssen auch GmbH-Anteile handelbar strukturiert werden. Die sekundärmarktfähig zu machen, darin liegt großes Potenzial.
Im Gesetz über elektronische Wertpapiere (eWpG) ist schon alles angelegt
Der Elefant im Raum dabei ist die bevorstehende massenweise Tokenisierung von Aktien, nachdem die Nasdaq (wie zuvor Coinbase) eine Erlaubnis dafür bei der SEC beantragt hat. „Dass Finanzinstrumente irgendwann standardmäßig auf einer DLT-Infrastruktur emittiert werden, ist Stand heute angesichts der Dynamik eigentlich unvermeidlich“, so Rätz. „Es ist ja hier bei uns in Deutschland auch schon alles dafür angelegt mit dem Gesetz über elektronische Wertpapiere (eWpG). Dann müssen neben Krypto-Aktien aber auch GmbH-Anteile handelbar strukturiert werden. Die sekundärmarktfähig zu machen, darin liegt großes Potenzial“, sagt Storck und weist darauf hin, dass in Großbritannien die LSE mit Zustimmung der FCA schon bald mit der Plattform „Pisces“ genau einen solchen Handel mit Unternehmensanteilen ermöglichen wird.
Die klassischen Börsenbetreiber (LSE, Euronext, Deutsche Börse) haben den Braten längst gerochen und rüsteten sich für den Private-Markets-Handel. So ist die Deutsche Börse an Forge Global beteiligt, wo auch Pre-IPO-Aktien gehandelt werden.
Die bevorstehende massenweise Tokenisierung von Aktien wirft ihre Schatten voraus: Die beiden Linklaters-Experten Christian Storck und Marius Rätz gehen davon aus, dass Finanzinstrumente bald standardmäßig auf DLT-Infrastruktur emittiert werden. Das sei angesichts der Dynamik eigentlich unvermeidlich.