GastbeitragKreditwirtschaft

Mindestreserve: Deutsche Kreditwirtschaft befürchtet negative Auswirkungen auf Kreditvergabe

Die Erhöhung der Mindestreserve würde nicht nur die Kreditinstitute, sondern auch die Wirtschaft insgesamt unnötig belasten. Diese Ansicht vertritt Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, in einem Gastbeitrag.

Mindestreserve: Deutsche Kreditwirtschaft befürchtet negative Auswirkungen auf Kreditvergabe

Der immer noch nicht bewältigte Inflationsschock im Euroraum ist eine große Belastung für Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Wirtschaft insgesamt. Die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) begrüßt die Entschlossenheit, mit der die Geldpolitik zinspolitisch seit dem vergangenen Sommer reagiert hat. Die inzwischen eingetretene Abschwächung der Konjunktur und die rückläufige Inflation im Euroraum zeigen, dass die Zinspolitik der EZB wirkt.

Mindestreserve in der Diskussion

Neben den zinspolitischen Maßnahmen hat die EZB auch ihre Mindestreservepolitik gestrafft. Die Verzinsung wurde zunächst vom Hauptrefinanzierungssatz auf den Einlagesatz verringert und mit Wirkung ab dem 20. September 2023 auf null gesenkt. Aktuell wird im Kreis des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) über eine Erhöhung des Mindestreservesatzes nachgedacht, der zu einer deutlichen Ausweitung der nun unverzinslich bei der Notenbank zu haltenden Mindestreserven führen würde.

Die geldpolitische Begründung des Einsatzes der Mindestreservepolitik wirft Fragen auf. Mit dem Hinweis der EZB auf die „Effizienz“ der Geldpolitik ist wohl in erster Linie eine Verbesserung der aktuell ungünstigen „Zinsmarge“ der Notenbanken im Eurosystem gemeint – also der Differenz zwischen Zinseinnahmen auf das bereitgestellte Zentralbankgeld und den Zinszahlungen für das auf EZB-Konten gehaltene Zentralbankgeld. Vor diesem Hintergrund wurde auch von einigen Vertretern des EZB-Rats darauf hingewiesen, dass Änderungen bei der Mindestreservepolitik geldpolitisch begründet und verhältnismäßig sein müssten.

Fehlende Erläuterungen

In der aktuellen Diskussion um eine Änderung der Mindestreservepolitik erläutern die Notenbanken zu wenig, dass die ungünstige Zinsmarge im Eurosystem fast ausschließlich mit den nachgelagerten Kosten der geldpolitischen Anleihekäufe zusammenhängt. Dies sollte mit Blick auf eine mögliche Evaluation dieser Programme, aber auch für den künftigen Einsatz stärker hervorgehoben werden. Hinzu kommt, dass die Staatshaushalte bzw. die Steuerzahler in den Euro-Staaten von den Anleihekäufen in Form von Zinsersparnissen bereits in der Vergangenheit profitiert haben und noch immer profitieren. Dies wird in der aktuellen Diskussion um Bilanzverluste einzelner Notenbanken im Eurosystem ebenfalls nicht ausreichend berücksichtigt.

Eine Erhöhung der inzwischen unverzinsten Mindestreserve würde die Ertragsperspektiven der Kreditinstitute im Euroraum spürbar belasten. Die Fähigkeiten der Institute zur Finanzierung der Wirtschaft und ihre Möglichkeiten der Eigenkapitalstärkung würden deutlich eingeschränkt. Jeder Prozentpunkt, um den der Mindestreservesatz erhöht wird, würde bei den Finanzinstituten im Euroraum in den nächsten 12 Monaten zu Zinsverlusten in Höhe von 6,6 Mrd. Euro führen. Die Restriktionen in der Neu-
kreditvergabe zur Finanzierung von Bauvorhaben und der dringend gebotenen energetischen Transformation wären ein Vielfaches und dürften zum Beispiel für die Banken und Sparkassen in Deutschland bei rund 50 Mrd. Euro pro Jahr
liegen.

Weitere Gefahren

Auch ist die Mindestreservepolitik mit weiteren Gefahren verbunden. Der Geldpolitik droht ein Reputationsschaden, wenn Instrumenten ein großes Gewicht gegeben wird, deren geldpolitische Wirksamkeit fragwürdig ist. Es drohen zudem Ausweichreaktionen von Einlagen und Geldmarktgeschäften an andere Bankplätze, insbesondere um die Mindestreserve-Stichtage, wenn hier Belastungen erhöht werden. Dies kann zu einer erhöhten Volatilität der Geldmarktzinsen führen. Mehrere wichtige Notenbanken, wie etwa die Fed oder in Europa die Bank of Sweden, haben schon lange keine Mindestreservepolitik in ihren geldpolitischen Steuerungsrahmen integriert, oder sie lassen das Instrument zumindest mit einem Anrechnungssatz von null ruhen.

Diagnose trifft nicht zu

Begleitet werden die aktuellen Überlegungen durch die Wahrnehmung mancher Beobachter, dass die Kreditwirtschaft aktuell überdurchschnittliche Erträge zu verzeichnen habe und aus diesem Grund zusätzliche Belastungen gut verkraften könne. Diese Diagnose trifft nicht zu. So sind die höheren Zinserträge allenfalls vorübergehend, und die Belastungen der Bankbilanzen durch die Zinswende werden ausgeblendet. Diese Einschätzung wird auch von der Deutschen Bundesbank bestätigt, die die Ertragslage und -aussichten trotz des veränderten Zinsumfelds eher zurückhaltend bewertet.

Das Mandat im Blick behalten

Ohnehin sollten sich Notenbanken in ihrer Politik nicht von Ertragserwägungen und von Verteilungserwägungen zugunsten oder zulasten der eigenen Bilanz leiten lassen. Dies hat die Europäische Zentralbank selbst in der Vergangenheit auch immer richtigerweise betont. Der Instrumenteneinsatz sollte klar auf das eindeutige Mandat der Preisniveaustabilisierung gerichtet bleiben. Die jüngste Diskussion um die Mindestreserve verwischt diese Klarheit leider.

Aus der Perspektive der deutschen Banken und Sparkassen wäre es daher wünschenswert, wenn die geldpolitischen Entscheidungsträger den hier vorgebrachten Argumenten Beachtung schenken würden und der EZB-Rat von einer Ausweitung der restriktiven Mindestreservepolitik Abstand nimmt. Sehr positiv wäre ein deutliches Signal in diese Richtung auf einer der kommenden Sitzungen des Rats zu bewerten.

Mindestreserve: Kreditwirtschaft fürchtet negative Folgen für Kreditvergabe

Marija Kolak

Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken

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