Europäischer Gerichtshof

Insider dürfen schweigen

Ermitteln Behörden wegen des Verdachts auf Insidergeschäfte, darf ein Beschuldigter die Aussage verweigern, wenn er sich selbst belasten würde.

Insider dürfen schweigen

op Luxemburg

Ermitteln Behörden wegen des Verdachts auf Insidergeschäfte, darf ein Beschuldigter die Aussage verweigern, wenn er sich selbst belasten würde. Er darf allerdings nicht die Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden verweigern. Das hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) am Dienstag in der Rechtssache C- 481/19 entschieden.

Die italienische Unternehmens- und Börsenaufsichtsbehörde hatte wegen unerlaubter Insidergeschäfte und der unrechtmäßigen Weitergabe von Insiderinformationen gegen einen Beschuldigten Geldbußen in Höhe von 300 000 Euro verhängt. Außerdem sollte er 50 000 Euro wegen mangelnder Kooperation bezahlen, weil er mehrmals den Zeitpunkt für die Anhörung verschoben hatte, zu der ihn die Behörde vorgeladen hatte. Als er schließlich erschien, weigerte er sich, die an ihn gerichteten Fragen zu beantworten.

Gegen die Geldbußen wehrte sich der Beschuldigte vor den Gerichten, die Zweifel daran hatten, dass das italienische Gesetz, aufgrund dessen die Geldbußen verhängt wurden, mit der EU-Charta der Grundrechte zu vereinbaren ist. Da das Gesetz auf der Grundlage einer EU-Richtlinie verabschiedet worden war, legte der italienische Verfassungsgerichtshof dem EuGH schließlich entsprechende Fragen vor. Die Richtlinie verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, Verstöße gegen die Pflicht zur Zusammenarbeit mit der für die Marktaufsicht zuständigen Behörde zu ahnden. Wörtlich heißt es: „Die Mitgliedstaaten sorgen entsprechend ihrem jeweiligen innerstaatlichen Recht dafür, dass bei Verstößen gegen die gemäß dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften gegen die verantwortlichen Personen geeignete Verwaltungsmaßnahmen ergriffen oder im Verwaltungsverfahren zu erlassende Sanktionen verhängt werden können.“ Die Aufsichtsbehörden haben auch das Recht, von jedermann Auskünfte anzufordern, und, falls notwendig, Personen vorzuladen und zu vernehmen. Ein Aussageverweigerungsrecht für Beschuldigte ist nicht erwähnt.

Recht auf faires Verfahren

Nach dem Urteil des EuGH ergibt sich aber aus der EU-Charta der Grundrechte für natürliche Personen ein Recht zu schweigen. Es gehört auch zu dem Recht auf ein faires Verfahren, das in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankert ist. Dieses Recht zu schweigen steht jedoch Unternehmen nicht zu, die im Rahmen von Ermittlungen wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens zu Informationen verpflichtet sind, die später zum Nachweis ihrer Haftung herangezogen werden können.

Gegen die fraglichen EU-Vorschriften hat der EuGH keine Bedenken, weil sie keine Sanktionen erzwingen. Es sei vielmehr Sache der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass keine Sanktionen verhängt werden, wenn eine natürliche Person Fragen der zuständigen Behörde nicht beantwortet. Das Recht zur Aussageverweigerung rechtfertige es aber nicht, zu Anhörungen nicht zu erscheinen oder die Behörde unnötig hinzuhalten.