Finanzplatz Zürich

Pictet macht Paradeplatz-Hirschen Konkurrenz

Mit ihren 216 Jahren ist Pictet kein Newcomer, aber in Zürich befindet sich das Geldhaus noch voll in der Wachstumsphase. Die Privatbank mischt kräftig mit im Kampf um die frustrierten Kunden der Großbanken, der hinter den denkmalgeschützten Fassaden des Finanzplatzes tobt.

Pictet macht Paradeplatz-Hirschen Konkurrenz

Von Daniel Zulauf, Zürich

Denkmalpfleger können die optische Erscheinung ganzer Stadtquartiere einfrieren, weshalb am Zürcher Paradeplatz seit Jahrzehnten keine nennenswerten baulichen Veränderungen mehr stattfinden. Seit dem Neubau des Bankverein-Sitzes im Jahr 1960 ist um den Platz nichts Neues mehr entstanden. Umso schnelllebiger ist, was sich hinter den historischen Fassaden abspielt.

Der Bankverein wurde 1998 per Fusion zur UBS, nachdem die Schweizerische Kreditanstalt zehn Jahre davor zur Credit Suisse Holding mutierte. Die Großbanken waren in jenen Jahren auf Expansionskurs. So hatte sich die Credit Suisse 1990 die ehrwürdige Bank Leu einverleibt, das älteste Bankinstitut auf dem Platz (1755). Mit der Übernahme hielt der Platzhirsch nicht zuletzt seinen eigenen Vorgarten vor unliebsamen Konkurrenten frei. Immerhin machten damals im Finanzmarkt hartnäckige Gerüchte die Runde, dass die Leuen-Bank auch das Interesse starker ausländischer Mitbewerber auf sich gezogen habe.

2016 musste die Credit Suisse ihre Riegel-Strategie trotzdem aufgeben. Gezeichnet von einer tiefgreifenden und kostspieligen Restrukturierung, die auch die Mobilisierung großer Mengen an Kapital erforderte, verkaufte der Finanzkonzern den historischen Sitz der Bank Leu an eine Zürcher Immobiliengesellschaft. Seit wenigen Monaten residiert in dem aufwendig renovierten Gebäude nun die Privatbank Pictet & Cie. Bekannt ist die Bank vor allem für ihre ultrareichen Privatkunden aus aller Welt. Sie verkauft aber auch Anlagefonds für jedermann und verwaltet Kollektivanlagen etwa im Auftrag von Pensionskassen.

Mit einem betreuten Kundenvermögen in Höhe von 662 Mrd. sfr (per Ende März) gehört Pictet zu den führenden Häusern im Schweizer Bankengeschäft. Mit ihren 216 Jahren ist Pictet beileibe kein Newcomer mehr. Doch in Zürich steckt das Institut noch ganz in der Wachstumsphase. 200 Leute sitzen derzeit im Leuenhof. Es gibt Platz für 100 weitere.

„Wir können nur wachsen, wenn wir von unseren Kunden weiterempfohlen werden oder wenn sich jemand selbst auf die Suche nach einer neuen Bankbeziehung macht“, sagt Victor Aerni, der als sogenannter Equity-Partner zu den 42 auserwählten Managern gehört, die unterhalb der siebenköpfigen Haupt-Partnerschaft ebenfalls zur Eigentümerschaft der Bank gehören.

Der ehemalige Managementberater ist zuständig für den Ausbau des Zürcher Vermögensverwaltungsgeschäfts, und seit seiner Ankunft vor zwölf Jahren erlebt er ein fulminantes Wachstum. An der Freigutstraße, die in der kleinen Zürcher Innenstadt zwar auch nur ein paar wenige Gehminuten weg vom Paradeplatz liegt und sich dennoch in einer finanzplatzlogistisch peripheren Lage befindet, hatte die Bank mitten in der Finanzkrise ein neues, großes Domizil bezogen. Die Platzverhältnisse wurden zehn Jahre früher als geplant zu eng.

Pictet wächst in Zürich nicht nur auf Kosten der Konkurrenz. „In Genf ist der Finanzmarkt relativ eng. Deshalb müssen wir die besten Talente auch hier rekrutieren können“, erklärt Aerni die Strategie. Aber dennoch: Das Institut stürmt in einem Tempo vorwärts, wie es in der Geschichte seiner nächsten Nachbarn an der Zürcher Bahnhofstraße schon lange nicht mehr vorgekommen ist.

Bei Julius Bär reiht sich ein Stellenabbauprogramm ans nächste. Im Februar hatte die Bank die Streichung von 280 Arbeitsplätzen angekündigt, nachdem ein Jahr zuvor schon 300 Jobs dem Rotstift zum Opfer gefallen waren. Die Aktionäre erwarten mehr Gewinn und mehr Dividende. Dieser Auftrag lässt sich mit der Akquise von neuen Kunden allein nicht bewältigen. Deshalb müssen die Kosten runter.

Bei UBS und Credit Suisse geht es nicht anders zu und her. Niemand wäre überrascht, wenn UBS die in dieser Woche ruchbar gewordenen Gerüchte über unmittelbar bevorstehenden personellen Kahlschlag bald bestätigen würde. In der Credit Suisse brennt es nach den beiden Milliardenpleiten Archegos und Greensill ohnehin lichterloh. Die Bank könnte sich gezwungen sehen, nach dem Verkauf ihrer Prestigeimmobilien à la Leuenhof demnächst weiteres Tafelsilber zu veräußern – etwa das Assetmanagement, ein Kerngeschäft, in dem auch Pictet große Ambitionen hegt.

„Banken, die früher vor allem das Wachstum im Ausland gesucht haben, legen inzwischen wieder eine hohe Priorität auf den Heimatmarkt“, konstatiert Aerni, ohne Namen zu nennen. Dass er damit die alten Zürcher Platzhirsche meint, liegt freilich auf der Hand.

Das Selbstbewusstsein und der Ehrgeiz, mit dem sich die Genfer Privatbank inzwischen direkt vor den Augen der beiden Großbanken zu produzieren wagt, kommt überdeutlich in einem Statement zum Ausdruck, das Renaud de Planta, der aktuell führende Partner, kürzlich in einem Video zum Umzug an den Paradeplatz zum Besten gab: „Ich denke, der Leuenhof war von Anfang an für Pictet gebaut, er musste nur etwas länger als 100 Jahre auf uns warten.“

Mieten auf Rekordstand

Offiziell gibt man sich in der Schweizer Bankenbranche immer noch solidarisch und verkneift sich schadenfrohe Äußerungen über die Konkurrenz: „Niemand kann sich freuen, wenn ein bedeutendes Institut negative Schlagzeilen macht. Das schadet letztlich dem ganzen Finanzplatz“, sagt Aerni. Doch hinter dieser Fassade tobt ein intensiver Kampf um frustrierte Großbank-Kunden, die es gerade jetzt zu gewinnen gilt. Wer diese Klientel gleich in die nächste Tür am Paradeplatz geleiten kann, ist im Vorteil.

Trotz Coronakrise bewegen sich die Mieten an der Zürcher Bahnhofstraße „nahezu auf Rekordstand“, sagt Robert Hauri, Miteigentümer der Zürcher Immobilienberatungsfirma SPG Intercity. „Die Nachfrage aus der Finanzbranche ist groß. Viele ausländische Banken sehen die Chance, sich hier zu etablieren, und auch Technologie-Firmen stehen Schlange.“

Im Zürcher Banken-Zoo herrscht ein selten heftiges Gerangel. Das ist kein gutes Zeichen für die Branche, die nach dem Ende des Bankgeheimnisses offenbar deutlich mehr Mühe hat, im Ausland neue Kunden zu finden, als sie dies selbst wahrhaben will. Der Zoologe Charles Darwin hätte diese Vorgänge wohl als normale evolutionäre Entwicklung diagnostiziert.