Jürgen Junker

W&W auf langem Weg zur digitalen Transformation

Der CEO des Finanzkonzerns Wüstenrot Württembergische, Jürgen Junker, will die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens um jährlich 5% steigern. Dafür setzt die Finanzgruppe auf eine Modernisierung der Systeme und effizientere Abläufe.

W&W auf langem Weg zur digitalen Transformation

Von Thomas Spengler, Stuttgart

Jürgen Junker trimmt den Finanzkonzern Wüstenrot & Württembergische (W&W) auf mehr Kundennähe, Vertriebskraft und Wirtschaftlichkeit. Um 5 % soll damit die Effizienz insbesondere durch Kosteneinsparungen weiter gesteigert werden – Jahr für Jahr. Dafür setzt die W&W-Gruppe schon seit längerem auf Systemmodernisierung und effizientere Abläufe. Wesentliche Langfristprojekte stellen ein neues Be­standsführungssystem bei der Württembergischen Versicherung sowie ein modernes Kernbankensystem bei der Wüstenrot Bausparkasse dar. Eine derartige Modernisierung ist erst recht erforderlich, weil auch an der W&W-Gruppe die allgemeinen Kostensteigerungen durch höhere Energiepreise und die Inflation nicht spurlos vorübergehen.

Gerne erzählt der Vorstandsvorsitzende der W&W, wie auf dem Kundenportal der Württembergischen Versicherung der digitale Abschluss einer Haftpflichtversicherung für einen Hund umgesetzt ist. Weil der Hundehalter auch die Rasse des Haustiers angeben muss, zeigt ihm das Programm umgehend das Foto eines entsprechenden Hundes, was das Herz des Kunden in der Regel sofort höherschlagen lässt. „Ein idealer Vorgang, bei dem wir auf digitale Weise eine emotionale Bindung zu den Kundinnen und Kunden herstellen“, sagt Junker. So, wie es ohnehin gelungen sei, die digitalen Kommunikationswege zur Kundschaft insbesondere während der Pandemie zu vertiefen. Und digital heißt bei der Hundehalterhaftpflicht auch individuell: Denn bei der Digitalmarke der W&W, Adam Riese, bekommt jeder Hund einen individuellen Preis auf Basis seiner Rasse zugeordnet. So werde das Risiko sachgerecht und transparent bepreist.

Technologischer Irrweg

Dass die Digitalisierung den Finanzdienstleistern auch künftig enorme Potenziale bietet, und zwar für alle im Wertschöpfungsprozess involvierten Akteure, gilt in der Branche als ausgemachte Sache. „Allerdings wird sie nicht selten als Chance zu einer Art Automatisierung der Kundenbeziehungen missverstanden“, warnt der 53-Jährige. Diese vor allem technologiegetriebene Perspektive werde sich aber als Irrweg erweisen, ist der CEO überzeugt. Nach der bei der W&W-Gruppe vor rund fünf Jahren initiierten digitalen Transformation zeigt es sich laut Junker, dass gerade aus der Kombination digitaler Produkte und Prozesse mit gewachsenen Kompetenzen wie Beratungsqualität, Sicherheit und Empathie zukunftsfähige Geschäftsmodelle entstehen. Hierbei liegt der Fokus auf der Erneuerung des Bestandsführungssystems der Württembergischen und einem neuen Kernbankensystem für Wüstenrot – Langfristprojekte, die als elementare Voraussetzung für die automatisierte Abwicklung von Produkten, die flexible Anbindung von Kooperationspartnern sowie die Professionalisierung der Produktentwicklung gelten.

Nachdem für Adam Riese das Bestandsführungssystem Syrius der Firma Adcubum getestet wurde, plant auch die Württembergische, ihre Bestandsführung schrittweise auf Syrius umzustellen und den bisherigen Großrechner abzulösen – ein Prozess, der allerdings noch einige Jahre in Anspruch nehmen dürfte. In jedem Fall müssten stets der Faktor Mensch und der Kundennutzen im Mittelpunkt stehen, so Junkers Credo. Digitalisierung könne diesen Prozess unterstützen, aber nicht ersetzen, macht er klar. Und wer diesen erst aufgrund der Corona-Pandemie, die den Veränderungsdruck nochmals verstärkt habe, aufgenommen hat, dürfte nach seiner Meinung zu spät dran gewesen sein.

Künstliche Intelligenz (KI) spielt für den CEO der W&W eine zentrale Rolle, wenn es um die Beschleunigung der Schadensregulierung geht. Allein die Bearbeitung eines standardisierten Formulars für die Schadensmeldung durch einen Sachbearbeiter kostet „irre viel Geld“, wie Junker sagt. KI aber erfasse im Versicherungsalltag automatisch die Situation, lege selbst einen Schadensfall an und erkenne nebenbei auch noch einen Betrugsversuch, etwa bei einem Brillenschaden, wie er häufig bei vermeintlichen Haftpflichtfällen stattfindet.

Gesteuert geht es günstiger

Ebenso gelte es, mit Hilfe von KI beispielsweise einen Autounfall so rasch wie möglich in den Griff zu bekommen. Denn alles, was über den eigentlichen Schaden hinausgeht, etwa Kosten für Gutachter oder Rechtsanwälte, lässt die Kosten explodieren. Also: Jeder schnell gesteuerte Schadensfall ist ein günstiger, im Gegensatz zu einem Fall, der sich in die Länge zieht. „Da steckt für einen Versicherer ein hohes Effizienzpotenzial drin“, macht Junker klar. Um dieses auch zu heben, entlastet KI die Sachbearbeiter, indem sie Standardvorgänge von ihnen abhält. „Auf diese Weise kann die Ressource Mensch bestmöglich für den Kunden eingesetzt werden.“

Dies gelte erst recht für Situationen, in denen es essenziell sei, einen direkten Ansprechpartner zu haben – zum Beispiel bei der Schadenregulierung. Für Elementarschäden, die nicht selten die wirtschaftliche Existenz von Menschen bedrohen, brauche es aber den persönlichen Kontakt, am besten vor Ort. Auch für eine Rentenversicherung bedürfe es eines Ansprechpartners. Basisprodukte wie Privathaftpflicht- oder Rechtsschutzversicherungen werden da­gegen zunehmend online über Adam Riese abgeschlossen.

Parallel zur Digitalisierung baut der Finanzkonzern, der seinen Sitz jetzt nicht mehr in Ludwigsburg, sondern in Kornwestheim hat, seine Vertriebswege weiter aus. Der Außendienst der beiden großen Marken Wüstenrot und Württembergische zählt aktuell nahezu 6 000 Köpfe. Zusammen mit weiteren Vertriebsformen – Makler, Kooperationspartner und Digitalvertrieb – soll die Zahl der Neukundinnen und -kunden konsequent erhöht werden. 2021 lag deren Zahl bereits bei 420 000, bis 2025 sollen jährlich 500 000 neu hinzukommen. Insgesamt hat die W&W mehr als 6,5 Millionen Kundinnen und Kunden. Junker, der schon bei seiner vorherigen beruflichen Station, der VHV Allgemeine Versicherung und der VHV Lebensversicherung, Hannover, den Vertrieb verantwortet hat, setzt dabei auf vier Säulen, die aus Generalagenturen, Ver­sicherungsmaklern, Kooperationspartnern und dem eigenen Direktvertrieb bestehen, „um die Fülle des Marktes auszuschöpfen“.

Digitalmarke öffnet Türen

Eine besondere Rolle spielt dabei die 2017 gegründete Digitalmarke Adam Riese, mit der Junker zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen will. Zum einen dient Adam Riese weiterhin als Direktversicherer. Zum anderen aber ist die Software von Adam Riese derart anschlussfähig konzipiert, dass die Technik relativ einfach in die Vergleichssysteme der Makler integriert werden kann. „Damit öffnet Adam Riese auch hier die Tür zum Maklermarkt.“ Als Riesenvorteil entpuppe sich in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die Software für weitere Anwendungen im Konzern verwendet werden kann. Zudem plant die W&W-Gruppe, Prozesse weiter zu digitalisieren.

„Hierzu hat der Konzern nicht auf die in der Branche üblichen Systeme zurückgegriffen, sondern entwickelt zusammen mit einem Partner auch eine eigene Softwarelösung“, sagt Junker. „Damit agieren wir schneller, effizienter und passender auf unsere Bedürfnisse.“ Die IT-Investitionen schlagen konzernweit mit einem dreistelligen Millionenbetrag zu Buche. Jeweils ein hoher zweistelliger Millionenbetrag wurde dafür schon für 2022 und 2023 bereitgestellt. Im Kern sind die Effizienz­anstrengungen zugleich ein Kostensenkungsprogramm, das zunächst Investitionen erforderlich macht.

Über die Verbesserung von Prozessen und eine zunehmende Automatisierung geht es auf lange Sicht darum, mit gleicher Belegschaft mehr Ge­schäft zu generieren – und dennoch die Kosten zu drücken. Den Erfolg macht der CEO auch an der Verbesserung der Combined Ratio beziehungsweise der Kostenquoten fest. So meldete der Konzern zuletzt im Bericht zum dritten Quartal eine um 4,4 auf 84,4 Prozentpunkte verbesserte­ Combined Ratio der Schaden­-/Un­fallversicherung­. Hinzu kommen Effizienzgewinne in anderen Sparten. Unterm Strich lag zuletzt der Zuwachs bei den Verwaltungsaufwendungen mit 2,0 % deutlich unter der Inflationsrate. Nachholbedarf gibt es insbesondere in der Vertragsbearbeitung – ein Rückstand im Branchenvergleich, der durch den verstärkten Einsatz von KI ausgeglichen werden soll.

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