Coronakrise

Bund und Länder suchen gemeinsame Öffnungsstrategie

Am Mittwoch beraten Bund und Länder erneut über die Strategie zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Die Erwartungen an eine Öffnungsperspektive sind hoch. Aber das Infektionsgeschehen hat wieder angezogen.

Bund und Länder suchen gemeinsame Öffnungsstrategie

Von Stefan Paravicini, Berlin,und Mark Schrörs, Frankfurt

Am Mittwoch ist es wieder so weit. Einmal mehr beraten die Spitzen von Bund und Ländern über das weitere Vorgehen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Der Druck seitens der Öffentlichkeit und besonders aus der Wirtschaft, konkrete Perspektiven für Lockerungsschritte aus dem seit Anfang November geltenden Zwangsstillstand aufzuzeigen, ist mittlerweile so groß, dass die Politik die Vorlage einer Öffnungsstrategie wohl nicht noch einmal verschieben kann. Am 10. Februar, als Bund und Länder zum bisher letzten Mal beraten hatten, war bereits ein Öffnungskonzept versprochen worden, das dann aber nicht geliefert wurde. Das dürfte am Mittwoch keine Option mehr sein, auch weil in knapp zwei Wochen mit zwei Landtagswahlen der Start ins Superwahljahr ansteht.

Aktuelle Umfragen deuten darauf hin, dass sich mittlerweile eine stabile Mehrheit der Bevölkerung für rasche Öffnungsschritte ausspricht. Die Forderungen aus der Wirtschaft nach einer belastbaren Öffnungsperspektive sind schon länger nicht mehr zu überhören. Die Politik steht allerdings noch von anderer Seite unter Druck, denn das Infektionsgeschehen hat in den vergangenen Tagen wieder an Dynamik gewonnen. Während die Erwartungen an konkrete Öffnungsschritte wachsen, nimmt nach Einschätzung von Experten wegen der zunehmenden Verbreitung hoch ansteckender Virusvarianten die Gefahr einer dritten Infektionswelle zu.

Unter diesen Vorzeichen werden am Mittwoch schwierige Verhandlungen erwartet. Wie Reuters unter Berufung auf Verhandlungskreise berichtet, zeichnen sich in den Vorgesprächen Differenzen über das Öffnungstempo sowohl innerhalb der unionsgeführten Länder als auch unter den SPD-Ministerpräsidenten und bei den Grünen ab.

Die Ministerpräsidenten der von der Corona-Pandemie besonders betroffenen Bundesländer Bayern und Sachsen, Markus Söder (CSU) und Michael Kretschmer (CDU), preschten am Montag schon einmal vor und forderten unter anderem Anpassungen der Impfstrategie und der Teststrategie der Bundesregierung. Doch in Berlin lehnt man die Forderung der beiden Ministerpräsidenten ab, die bisherige Impfpriorisierung der Ständigen Impfkommission auszuhebeln.

Die sofortige Freigabe des Impfstoffs von Astrazeneca für alle sowie Impfungen über Haus-, Betriebs- und Schulärzte, wie sie Söder fordert, wies Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag zurück. Söder pocht zudem genau wie Grünen-Chef Robert Habeck auf eine neue Teststrategie. Sie wollen, dass jedem Bundesbürger zwei Tests pro Woche angeboten werden. „Es ist aber unrealistisch, dass sich dann jeder zweimal die Woche testen lässt“, hieß es dazu aus der Regierung.

Eine Änderung der bisherigen Coronapolitik von Bund und Ländern zeichnet sich dagegen mit Blick auf die angepeilten Inzidenzwerte an. Erst vor knapp drei Wochen wurde beschlossen, dass weitere Öffnungsschritte etwa im Einzelhandel nur unter der Bedingung von maximal 35 Neuinfektionen pro 100000 Einwohner in den vorangegangenen sieben Tagen zu verantworten wären. Von dieser Bedingung haben sich in den vergangenen Tagen nicht nur zahlreiche Landesregierungen, sondern auch Mitglieder der Bundesregierung verabschiedet – zuletzt auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). In einem fünfseitigen Papier, das er in die Beratungen einbringen will, plädiert der Wirtschaftsminister für eine Rücknahme von Corona-Einschränkungen auch bei höheren Infektionszahlen, „wenn sie in Verbindung mit zusätzlichen Schutzmaßnahmen im Einzelfall vertretbar sind“.

Hintergrund für die verstärkte Öffnungsdebatte ist neben dem gesellschaftlichen Druck auch die Sorge vor den wirtschaftlichen Folgen. Bislang kommt die deutsche Wirtschaft zwar deutlich besser durch den zweiten Lockdown als durch den ersten im Frühjahr 2020. Im zweiten Quartal 2020 hatte die Wirtschaft einen Rekordeinbruch um 9,7% verzeichnet. Im vierten Quartal 2020 legte sie dagegen trotz des begonnenen Lockdowns noch um 0,3% zu, und auch im ersten Quartal wird „nur“ mit einem Minus von 1,5% bis 2% gerechnet. Fürs Gesamtjahr 2021 erwarten Volkswirte weiterhin ein starkes Wachstum, wenn die Coronamaßnahmen auch dank mehr Impfungen und Tests gelockert werden.

Die Sorge ist aber, dass, wenn der Lockdown noch länger anhält, der erhoffte Aufschwung ausbleibt und es zu dauerhaften Schäden kommt. „Die zweite Infektionswelle jetzt zerstört sehr viel mehr wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als die erste Welle“, warnte DIW-Präsident Marcel Fratzscher jüngst im Interview der Börsen-Zeitung (vgl. BZ vom 9. Februar).