Erneuerbare Energien

Der Ausbau von Wind onshore braucht mehr Tempo

Auf dem Weg zur Klimaneutralität in Deutschland gilt die Windenergie als wichtigste Energiequelle. Nie jedoch seit dem Inkrafttreten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) am 1. April 2000 waren die Ausbauzahlen bei Windenergieanlagen an Land...

Der Ausbau von Wind onshore braucht mehr Tempo

Von Carsten Steevens, Hamburg

Auf dem Weg zur Klimaneutralität in Deutschland gilt die Windenergie als wichtigste Energiequelle. Nie jedoch seit dem Inkrafttreten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) am 1. April 2000 waren die Ausbauzahlen bei Windenergieanlagen an Land (onshore) niedriger als in den vergangenen drei Jahren. Laut dem Branchendienstleister Deutsche Windguard wurden 2020 in Deutschland 420 Anlagen mit einer Leistung von insgesamt 1431 Megawatt (MW) neu installiert – die meisten in Nordrhein-Westfalen, die wenigsten außer in den drei Stadtstaaten in den Flächenländern Sachsen, Saarland und Bayern. Zwar lagen die Aufstellungen den Angaben zufolge um 46% über dem Niveau des Vorjahres, als der Bruttozubau seinen Tiefstand erreichte. Doch die Branche schlägt Alarm: „In diesem Schneckentempo erreichen wir die Klimaziele nicht“, sagt etwa Kerstin Andreae vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).

Die fünfte Novelle des EEG, die Ende 2020 verabschiedet wurde, hat die Diskussion über die Ausbaupfade für Windenergieanlagen an Land nicht beendet. Das EEG 2021 sieht bis 2030, wenn in Deutschland ein Anteil von 65% erneuerbare Energien im Stromsektor erreicht sein soll, ein Ausbauziel von 71 Gigawatt (GW) vor. Ende 2020 lag die kumulierte installierte Leistung aus Windkraftanlagen an Land bei knapp 55 GW. Zur Erreichung des mittelfristigen Ziels gilt eine Steigerung des Nettozubaus (inkl. Anlagenabbau) um knapp 30% in den kommenden zehn Jahren als notwendig.

Doch höhere Ausbauziele werden bereits als erforderlich angesehen. So geht die neue, von der gemeinnützigen US-amerikanischen Climate Imperative Foundation unterstützte Stiftung Klimaneutralität davon aus, dass der Bedarf an installierter Windenergieleistung bis 2030 auf 80 GW und bis 2050 auf 130 GW steigen sollte. Die Ausschreibungsmengen müssten auf 6,5 GW pro Jahr angehoben werden. Im vergangenen Jahr belief sich das bezuschlagte Volumen in sieben Ausschreibungsrunden auf rund 2,7 GW (ausgeschrieben waren 3,9 GW). Vertreter der amtierenden Bundesregierung sprechen sich sogar für noch höhere Ausbauziele aus: Aus dem SPD-geführten Bundesumweltministerium etwa wird eine Anhebung von 71 auf 95 GW bei Wind onshore gefordert.

Die EEG-Novelle wird insofern den strengeren Klimaschutzvorgaben und der Perspektive eines in den kommenden Jahren wachsenden Strombedarfs etwa durch Elektromobilität nicht gerecht. Auch der im EEG 2021 eingeführte Kooperationsmechanismus von Bund und Ländern für mehr Flächen und Genehmigungen ist kritikwürdig. Eine Definition genauerer Flächenziele wäre sinnvoll. Als einer der wesentlichen Gründe für den in den vergangenen drei Jahren stark gesunkenen Ausbau der Windenergie an Land gilt der Mangel an verfügbaren Flächen. Schätzungen zufolge, auf die auch die Stiftung Klimaneutralität verweist, wäre für das Erreichen der Klimaneutralität ein Anteil der Landes- und Gemeindeflächen von im Schnitt 2% für die Windenergie erforderlich. Derzeit ist in Deutschland weniger als 1% der Fläche für Windenergie onshore ausgewiesen.

Der in Hamburg ansässige Windturbinenbauer Nordex, der im vorigen Jahr 59 Anlagen mit 232,2 MW in Deutschland errichtete (ca. 4% der weltweit errichteten Kapazität des Unternehmens), sieht Bund und Länder gefordert, „primär die Fragen der zu geringen Flächenausweisungen und die Verzögerungen bei Genehmigungsprozessen“ zu lösen. Stefan Dohler, Chef des Oldenburger Energiekonzerns EWE, äußert sich ähnlich: „Die in Berlin erdachten Konzepte sind nichts wert, wenn die Umsetzung in der Fläche versandet, weil Investoren wie die EWE fünf bis sieben Jahre auf die Genehmigung eines Windparks warten“, erklärt er.

Auch Finanzierer im Bereich der erneuerbaren Energien zeigen sich kritisch. Die neuen Regelungen reichten noch nicht aus, um die deutschen Klimaziele zu erreichen, sagt Nord/LB-Bereichsleiter Heiko Ludwig. Sinnvoll seien eine Reduzierung der derzeit sehr hohen Unsicherheiten in der Praxis der Anlagengenehmigung, eine Neuausweisung von Flächen und die Schaffung von Ausnahmeregelungen für Repowering außerhalb von Windvorrangflächen. Inka Klinger, Leiterin Projektfinanzierung Infrastruktur bei der Hamburg Commercial Bank, moniert, dass nach den jüngsten EEG-Anpassungen die Bundesnetzagentur im Vorwege der jeweiligen Auktionen die ausgeschriebenen Mengen anpassen könne, um Wettbewerb zu erzeugen. „Dieses wirkt nicht unbedingt konstruktiv auf die Entscheidung, weitere Genehmigungen in langwierigen Prozessen umzusetzen, und löst wahrscheinlich Zurückhaltung aus.“ Darunter leiden dürften vorwiegend Projekte an windschwachen Standorten. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft unterstreicht, der Ausbau erneuerbarer Energien sei mit Blick auf die erhöhten Ziele für die Emissionsreduktion bis 2030 umso wichtiger, da immer mehr Sektoren elektrifiziert würden und somit neue Stromnachfrage entstehe.

Das EEG sollte nicht zuletzt aufgrund der langen Vorläufe für die Planung, Genehmigung und Errichtung von Windkraftanlagen an Land zügig überarbeitet werden. Nicht zuletzt mit Blick auf die Bundestagswahl Ende September und eine neue Koalitionsbildung könnte wertvolle Zeit verloren gehen.