Serie Geldwäsche

Die Eidgenossen waschen weißer

Das Vorgehen zur Abwehr von Geldwäsche wird auch in der Schweiz laufend besser. Doch für einen Finanzplatz mit großen internationalen Ambitionen ist es noch immer viel zu unzusammenhängend und lückenhaft.

Die Eidgenossen waschen weißer

Von Daniel Zulauf, Zürich

„La Suisse lave plus blanc“, die Schweiß wäscht weißer: Fast auf den Tag genau vor 30 Jahren veröffentlichte der langjährige Genfer Parlamentsabgeordnete Jean Ziegler seine Abrechnung mit dem Schweizer Finanzplatz. Das Buch wurde über Nacht zum internationalen Bestseller und brachte die Banken- und Wirtschaftswelt auf Trab.

Inzwischen hat auch die Schweiz ein Geldwäschegesetz, das steuerliche Bankgeheimnis ist abgeschafft und korrupte Diktatoren unserer Zeit überlegen sich immerhin zweimal, ob sie das Geld, das sie den Bürgern ihres Landes entwendet haben, weiterhin auf einem Schweizer Konto horten wollen. Trotzdem gibt der mittlerweile 86-jährige Ziegler noch immer keine Ruhe: „Das System funktioniert nicht“, kritisierte er unlängst in der Gewerkschaftszeitschrift „Work“ die Bemühungen der Schweiz im Kampf gegen Geldwäsche.

Sein Kronzeuge war bis zum Sommer des vergangenen Jahres immerhin der ranghöchste Finanzpolizist im Land: Daniel Thelesklaf, vormaliger Leiter der Meldestelle für Geldwäsche (MROS). Thelesklaf sagt, die Geldwäscheabwehr in der Schweiz sei bei weitem nicht effektiv genug. Erschreckenderweise ist auch seine Diagnose schon mehr als 20 Jahre alt. Thelesklaf hatte die Meldestelle 1998 als erster Leiter quasi selbst aufgebaut. Zwei Jahre später hängte er den Job an den Nagel: Die Schweiz habe keinen Plan und kein Konzept, wenn es um die Bekämpfung der Finanzkriminalität gehe, erklärte er seinen Weggang. Dasselbe sagt der 56-jährige Zürcher Jurist, der auch einmal ein Banker war, jetzt wieder.

Dabei war Thelesklaf im August 2019 zur Schweizer Meldestelle zurückgekehrt mit der Absicht, vieles besser zu machen. Und offenbar war ein geeigneterer Mann für diesen Schlüsseljob kaum zu finden. Die Bundespolizei oder das für die Meldestelle zuständige Bundesamt Fedpol lobten den neuen und alten Ab­teilungsleiter für die „prestigeträchtige Karriere“, die er in der Zeit seiner Abwesenheit „stets im Zeichen der Bekämpfung von Geldwäscherei und Korruption“ mitunter als selbständiger Berater wichtiger in­ternationaler Organisationen und zu­letzt auch als Chef der liechtensteinischen Finanzpolizei hingelegt hatte.

Doch diesmal war Thelesklaf nach einem Jahr wieder weg. „Es fehlen ein gemeinsames Ziel und die Bereitschaft, mit dem Privatsektor zusammenzuarbeiten“, sagt er heute wie damals. „In vielen Ländern höre ich aus der öffentlichen Diskussion, dass man das Problem der Geldwäscherei ernsthaft anpacken will. Das Hauptmotiv ist der Kampf gegen organisierte Kriminalität und der Schutz der Opfer. Aber bei uns in der Schweiz geht es immer nur um die Kosten.“

Der resignierte Unterton kommt nicht von ungefähr. Gerade jetzt wird wieder einmal für alle Welt offensichtlich, wie schwer sich die Schweiz damit tut, das inzwischen 25 Jahre alte Geldwäschegesetz wenigstens in Einklang mit dem minimalen Globalstandard zu bringen. Zuständig für diesen Standard ist die „Groupe d’Action financière“ (Gafi) respektive die „Financial Action Task Force“ (FATF), wie die aus 39 Mitgliedsländern bestehende Organisation offiziell heißt. Mehr als 200 Staaten verpflichten sich, das Gafi-Regelwerk zur Bekämpfung der Geldwäsche einzuhalten. Alle paar Jahre wird das Versprechen einer Kontrolle unterzogen.

Die Schweiz hat diese Prüfung vor vier Jahren relativ knapp bestanden. Für die besten Noten sorgte ironischerweise der damalige Bundesanwalt Michael Lauber, der im vergangenen Jahr wegen einiger grober Verfahrensfehler und auf politischen Druck den Hut nehmen musste. Laubers umfangreiche Rechtshilfe im Zusammenhang mit der brasilianischen Korruptionsaffäre Petrobras ermöglichte nicht nur die Rückführung hoher Geldsummen, die von korrupten brasilianischen Beamten, Politikern, Managern und Helfershelfern gestohlen und über verdeckte Wege auf Schweizer Bankkonten versteckt worden waren. Ebenso ermöglichten die Beweise aus Schweizer Hand den brasilianischen Staatsanwälten, einige dieser Kleptomanen dingfest zu machen, – darunter auch mehrere Personen aus den höchsten politischen Sphären.

Wenig Elan der Politik

Dennoch zeigte die Finanzmarktaufsicht Finma in der Nachbearbeitung der Petrobras-Affäre und anderer großer Korruptionsfälle (Fifa, Petroleos de Venezuela, 1MDB) mit beklemmender Deutlichkeit: Selbst große Banken wie Credit Suisse oder Julius Bär waren entweder nicht willens oder nicht fähig, den Missbrauch ihrer Organisationen durch kriminelle Akteure zu verhindern.

Trotzdem konnte sich das Parlament bis heute nicht dazu aufraffen, die vom Bundesrat schon 2018 vorgeschlagene Revision des Geldwäschereigesetzes gutzuheißen. Das Minimum, das Finanzminister Ueli Maurer im Dezember gerade noch knapp vor dem endgültigen Absturz zu retten vermochte, verlangt die Ausweitung der Sorgfaltspflicht auf Anwälte, Notare oder Treuhänder. Das entspricht einer international unbestrittenen Notwendigkeit.

Die Berufsgruppen sind nützlich, wenn es darum geht, die Herkunft krimineller Vermögenswerte mit Hilfe von Briefkastenfirmen und ähnlichen Vehikeln zu verbergen. „Zudem haben Anwälte oft den Überblick über die ganzen Vermögensstrukturen, während die Banken nur über eine eingeschränkte Sicht auf einzelne Konten verfügen“, gibt Doris Hutzler, Partnerin der Beratungsfirma LCR Services, zu bedenken.

Nüchtern konstatiert die promovierte Juristin: „Die Anwälte wollen nicht einsehen, dass Verstöße gegen die Geldwäschegesetzgebung durch das Anwaltsgeheimnis verschleiert werden können. Dabei ist dieser blinde Fleck ein großes Risiko für die Reputation des Finanzplatzes.“ Illusionen hat die Expertin keine: Im Gesetzgebungsprozess gehe es selten um die Sache, sondern um Einzelinteressen und um Kosten. Das Hin und Her im Parlament sieht Hutzler als Ausdruck dafür, dass Politik, Behörden und die Finanzbranche keine gemeinsame Strategie verfolgen.

Genau das wäre aber zwingend nötig, um die Wirksamkeit des Systems zu erhöhen. „In der Schweiz werden die Daten von Bankkunden immer noch in ziemlich wasserdichten Silos aufbewahrt.“ Hutzler spricht aus eigener Erfahrung. Vor dem Gang in die Selbständigkeit war sie sieben Jahre in der Geldwäscheprävention der Credit Suisse tätig.

Das Bankgeheimnis verbietet den Behörden den direkten Zugriff auf potenziell relevante Kundendaten. Und auch die Banken unter sich dürften wichtige Informationen nicht austauschen, selbst dann nicht, wenn die Bank A zuschaut, wie ein hinauskomplimentierter krimineller Kunde nur die Straßenseite zur Bank B wechselt. „Diese rechtlichen Hindernisse sind der einschlägigen Klientel natürlich wohlbekannt, und sie wissen sie für ihre verbrecherischen Zwecke zu nutzen“, sagt die Spezialistin.

Kompliziert und zeitraubend ist auch der Informationsfluss zwischen den Strafverfolgungsbehörden und den Banken. Will ein Staatsanwalt einem verdächtigen Geldfluss nachgehen, muss er eine Verfügung erlassen. Dazu benötigt er konkrete Hinweise auf einen Verdächtigen. Oft komme bei solchen Abklärungen lediglich heraus, dass das Geld von Bank A zu Bank B und C und D weiterverschoben wurde. Immer ist das gleiche Prozedere nötig. Das kostet die Ermittler viel Zeit und Nerven.

Hilfreich wäre eine Public Private Partnership im Stil der britischen „Joint Money Laundering Intelligence Taskforce“, einer Plattform, die es Strafverfolgungsbehörden und MROS erlauben würde, sich mit Finanzinstituten über aktuelle Bedrohungsszenarien auszutauschen, findet Hutzler.

Ihre Forderung ist mehr als plausibel. Denn die international organisierten Verbrecherbanden benutzen den Schweizer Finanzplatz vor allem als Durchlaufstation. Gewonnen und investiert wird das Geld in der Regel anderswo. Die Schweiz ist der Platz, auf dem die Verschleierung stattfindet. Je komplizierter das System, desto besser lassen sich die kriminellen Vermögenswerte verstecken.

Kein Gewinn ist laut Hutzler auch die massive Zunahme von Meldungen über verdächtige Geldströme. 2014 hatte MROS 1753 Meldungen erhalten. 2019 waren es schon fast 8000. Lange Zeit wurden die Schweizer Banken in Gafi-Gremien für ihre tiefe Meldefrequenz kritisiert. Jetzt droht die Amtsstelle in der Meldeflut unterzugehen. Es fehlt ein System, wie Informationen effizient gefiltert und für forensische Zwecke weiterverwendet werden können. Erst seit vergangenem Jahr träfen die Meldungen konsequent auf dem elektronischen Kanal ein, sagt Hutzler.

Die Entwicklung einer technischen Filterlösung war bislang aus diesem Grund nicht möglich. Zusammen mit dem früheren Finma-Direktor und Compliance-Experten Urs Zulauf hat Hutzler 2019 in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Recht“ einen Vorschlag für ein abgestuftes Meldesystem formuliert. Die Idee sieht vor, dass Hinweise auf konkrete Straftaten prioritär verarbeitet werden, während vage Verdachtsmeldungen forensisch analysiert werden und für den Rückgriff im Rahmen konkreter Ermittlungen zur Verfügung stehen.

Ziemlich unvermittelt und im Parlament weitgehend unbeachtet hat die Meldestelle im Rahmen eines neuen Gesetzes zur Terrorismusabwehr zusätzliche Kompetenzen erhalten. Fortan kann sie Anfragen aus dem Ausland über Geldflüsse ohne Einbezug der Justiz gleich selbst bei den Banken einholen. Was früher auf dem Weg der Rechtshilfe einiges an Zeit und Aufwand gekostet hat, kann nun in einer Art Hochgeschwindigkeitsverfahren zwischen zwei Ämtern erledigt werden.

Angst vor Missbrauch

Die neue Möglichkeit zur Beschleunigung der Informationsbeschaffung mag im Kampf gegen die Geldwäsche auf den ersten Blick wie ein Durchbruch aussehen. Doch Hutzler warnt eindringlich vor Missbrauchspotenzial. Was, wenn ein ausländischer Geheimdienst an Informationen über einen politischen Dissidenten kommen möchte und die Meldestelle das hinterhältige Vorhaben nicht durchschaut?

„Die Meldestelle braucht diese Kompetenz“, findet ihr ehemaliger Leiter Daniel Thelesklaf. Doch als kleine Abteilung der Bundespolizei ist sie nicht unabhängig. „Daraus kann sich rasch ein großes Problem entwickeln, dann nämlich, wenn die Bundespolizei auf die Idee kommen sollte, die Kompetenzen der Meldestelle für eigene Zwecke zu verwenden“, warnt Thelesklaf.

Die Widersprüche der Schweizer Geldwäscheabwehr sind offensichtlich. Hier der Kompetenzausbau der Meldestelle und dort das Gesetz, das im Vergleich zum internationalen Standard seit Jahrzehnten im Rückstand ist. Dafür hat Thelesklaf eine erstaunlich simple Erklärung: „Bei uns geht es in der Geldwäschebekämpfung primär darum, den Finanzplatz vor rufschädigenden Skandalen zu bewahren. Dabei sollten wir die Finanzkriminalität aus eigenem Interesse für das bekämpfen, was sie tut.“ International organisierte Verbrecherbanden richteten einen großen Schaden zu Lasten vieler Menschen und ganzer Länder an. „Wir sollten hinstehen und sagen, dass wir deswegen etwas dagegen tun.“ Das scheint in der Tat der Grund zu sein, weshalb Jean Ziegler 30 Jahre nach Veröffentlichung seiner Kampfschrift und trotz vieler Verschärfungen im Gesetz so unzufrieden geblieben ist wie damals.

Zuletzt erschienen:

Das Dilemma zwischen Datenschutz und Prävention trifft künftig jeden (23. Februar)

Staat und Banken im Small Talk (16. Februar)

Neue Technik revolutioniert Geldwäschebekämpfung (13. Februar)

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