Große Finanzierungsrunde

Ein Finne mischt den Essensmarkt auf

Es sieht wie ein beinahe aussichtsloses Unterfangen aus, doch Miki Kuusi wagt es: Der Jungunternehmer aus Finnland greift mit seinem Essenslieferdienst Wolt den deutschen Quasi-Monopolisten Lieferando an. Zwar nicht frontal, aber mit gezielten...

Ein Finne mischt den Essensmarkt auf

Von Helmut Kipp, Frankfurt

Es sieht wie ein beinahe aussichtsloses Unterfangen aus, doch Miki Kuusi wagt es: Der Jungunternehmer aus Finnland greift mit seinem Essenslieferdienst Wolt den deutschen Quasi-Monopolisten Lieferando an. Zwar nicht frontal, aber mit gezielten Attacken. Etwa in Berlin, wo Wolt seit August vergangenen Jahres am Start ist. Und neuerdings auch in Frankfurt und München.

Der Vorstoß könnte wieder zu mehr Wettbewerb in Deutschland führen. Lange war der hiesige Markt heiß umkämpft. Lieferando, die 2014 von der niederländischen Takeaway übernommen wurde und Teil der britisch-niederländischen Just Eat Takeaway.com ist, lieferte sich jahrelang eine Schlacht um Kunden und Marktanteile mit dem in Berlin ansässigen Konkurrenten Delivery Hero. Beide Konzerne investierten Unsummen ins Marketing und fuhren riesige Verluste ein, so dass man sich schließlich Ende 2018 auf eine Marktbereinigung verständigte, um dem kräftezehrenden Ringen ein Ende zu machen.

Eigener Lieferdienst

Delivery Hero verkaufte ihr Deutschlandgeschäft an den Rivalen und zog sich damit aus dem Heimatmarkt zurück. Lieferheld, Pizza.de und Foodora gingen in Lieferando auf. 2019 warf dann auch die britische Deliveroo das Handtuch und trat in Deutschland den Rückzug an. Seither dominiert Lieferando das hiesige Marktgeschehen.

Von der Niederlage früherer Konkurrenten lässt sich der 1989 in Helsinki geborene Kuusi nicht abschrecken. Seine Strategie: ansprechende Restaurants, schnelle Lieferung und reibungsloser Kundenservice. Der Anspruch sei, dass die besten Restaurants der Stadt auf der Plattform ihre Gerichte anbieten, sagt der Firmenchef. Welche das sind, sollen die Nutzer entscheiden. In Frankfurt verkaufen zum Beispiel bekannte Adressen wie Best Worscht in Town und Moschmosch ihr Essen über die App.

Anders als Lieferando liefert Wolt die hereinkommenden Oders grundsätzlich selbst aus. Kuusi lehnt es ab, dass Restaurants das Essen in seinem Nahmen zu den Bestellern bringen. Dieses Vorgehen sichert ihm die Kontrolle über den Kundenkontakt. Außerdem können die Routen der Kuriere besser koordiniert und gebündelt werden. Die Kehrseite aber ist: Ein eigener Fahrdienst ist sehr kostspielig. Nicht zuletzt deshalb überlässt Lieferando das Ausliefern in den meisten Fällen den Restaurants und beschränkt sich auf die Vermittlung der Essensbestellungen über die App.

Kuusi gehört zu den Mitgründern von Wolt. Er studierte an der Business-Hochschule Aalto, arbeitete als Analyst für den Spieleentwickler Supercell, leitete als CEO die internationale Tech-Konferenz Slush und brachte 2014 Wolt auf den Weg. Im Folgejahr startete der Essensdienst in Helsinki mit zehn Restaurants. Die anderen skandinavischen und baltische Staaten kamen hinzu, dann einige ost- und südeuropäische Länder und Japan. Derzeit ist Wolt in 23 Ländern und mehr als 120 Städten unterwegs. Das Start-up arbeitet mit 30000 Restaurants zusammen und beschäftigt 2200 Mitarbeiter. Im vergangenen Jahr wurde der Umsatz auf 285 Mill. Euro verdreifacht bei einem Nettoverlust von 38 Mill. Euro.

Inzwischen liefern die blau gekleideten Fahrer in zahlreichen Märkten nicht nur Essen aus, sondern auch Kosmetik, Tiernahrung, Medikamente oder Lebensmittel. Das trägt dazu bei, die Kuriere besser auszulasten und den Wert der transportierten Ware zu erhöhen. In Deutschland ist es allerdings noch nicht so weit – hier beschränkt sich Wolt auf Essens­lieferungen.

Kuusis Strategie zeigt gewisse Ähnlichkeiten zum Vorgehen von Delivery-Hero-CEO und Co-Gründer Niklas Östberg. Der Schwede forciert ebenfalls die Ausweitung des Geschäfts auf Alltagsprodukte und setzt zunehmend eigene Fahrer ein, nutzt allerdings nach wie vor auch Kurierdienste von Restaurants.

Investoren pumpen weitere Milliarden in die junge Branche und finanzieren so die meist mit hohen Verlusten einhergehende Expansion der Essensdienste, sei es über vorbörsliche Finanzierungsrunden wie jüngst beim IPO-Kandidaten Deliveroo, Börsengänge wie beim US-Markt­führer Doordash oder Kapitalerhöhungen und Wandelschuldverschreibungen wie bei Delivery Hero. Auch Wolt hat sich gerade mit Kapital vollsogen. Die von Iconiq Growth, einem auf schnell wachsende Technologiefirmen fokussierten Investor, angeführte Finanzierungsrunde brachte 440 Mill. Euro in die Kasse.

Börsengang geplant

„Diese Finanzierung ermöglicht es uns, weiter in den deutschen Markt zu investieren“, sagt Kuusi. Interessant sind für ihn Städte mit vielfältiger Gastronomie, aber wenigen Restaurants mit eigenem Lieferservice. Bei der Expansion kann er auf die Unterstützung des deutsch-polnischen Tech-Unternehmers Lukasz Gadowski zählen, einer der Gründer von Delivery Hero. Ein anderer prominenter Geldgeber ist der frühere Nokia-Vorstandschef Risto Siilasmaa.

Mit der jüngsten Finanzierungsrunde steigt der Gesamteinsatz der Investoren auf 707 Mill. Euro. Zu den neuen Geldgebern zählen der Private-Equity-Konzern KKR und die Internetholding Prosus, die zum südafrikanischen Naspers-Konzern gehört, dem größten Aktionär von Delivery Hero. Die Vorbereitungen für den Börsengang will Kuusi, der in Helsinki lebt, im laufenden Jahr abschließen. Geplant ist das IPO für die erste Jahreshälfte 2022.

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