Lutz Karl, J.P. Morgan Chase

„ESG ist zum beherrschenden Thema geworden“

Das Geschäft mit der Unternehmensfinanzierung sei mit Vollgas ins Jahr gestartet, sagt Lutz Karl, Leiter des Corporate Banking in Deutschland, Österreich und der Schweiz von J.P. Morgan Chase, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung,

„ESG ist zum beherrschenden Thema geworden“

Von Anna Sleegers, Frankfurt

Das Geschäft mit der Unternehmensfinanzierung sei mit Vollgas ins Jahr gestartet, sagt Lutz Karl, Leiter des Corporate Banking in Deutschland, Österreich und der Schweiz von J.P. Morgan Chase, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung: „Die Stimmung an den Debt- wie auch an den Aktienmärkten ist nach wie vor sehr bullish, was angesichts der beeindruckenden Aktivitäten sowohl an den Anleihenmärkten wie auch im IPO-Geschäft nicht verwundert.“

Nicht wenige Unternehmen nutzten das opportunistisch, sagt der Experte für Unternehmensfinanzierung. Das zeige sich auch in der Pipeline für die beiden kommenden Quartale. Für das Gros seiner Kunden konstatiert Karl, dass das Geschäft seit der zweiten Jahreshälfte 2020 wieder laufe – vereinzelt sogar besser denn je. Auch vor diesem Hintergrund sei bei vielen seiner Kunden die Notwendigkeit, Liquidität zu horten bzw. anzulegen, einem neuen Tatendrang gewichen.

„Die Treasurer stoßen Projekte an, schauen sich ihren Set-up an und denken darüber nach, wie sie neue Technologien gewinnbringend einsetzen können.“ Die Lust, etwas Neues zu machen, sei geradezu mit den Händen zu greifen. Ein Thema, das jeden Treasurer umtreibe, sei dabei die Nachhaltigkeit, kurz ESG, für Environmental, Social, Governance.

„Die große Frage ist, wie man die gesamte Unternehmensfinanzierung ESG-konform aufstellen kann“, so Karl. Das Bedürfnis, darüber zu sprechen, sei spürbar groß: „Angesprochen wird das Thema definitiv in jedem Kundengespräch, im Schnitt nimmt es bestimmt 25 bis 30% der Gesprächszeit ein.“ Das Thema habe Konjunktur, über alle Hierarchiestufen hinweg.

Auch wenn das Thema im vergangenen Jahr spürbar an Fahrt gewonnen habe, glaubt Karl nicht, dass Corona als Trigger gewirkt hat. Er glaubt eher an einen „Greta-Effekt“. So sei bereits vor der Pandemie auch vor dem Hintergrund der Jugendproteste von „Fridays for Future“ bei Unternehmen und Investoren das Bewusstsein dafür geschärft worden, dass der Klimaschutz für Gesellschaft und Wirtschaft von grundlegender Bedeutung ist. „Die gesamte Nachhaltigkeitsdiskussion wird heute auf einer viel breiteren Basis geführt als noch vor zwei, drei Jahren“, konstatiert er.

Hinzu kommt, dass auch viele Unternehmen Nachhaltigkeit als Marketingtool für sich entdeckt haben, frei nach dem Motto: „Tue Gutes und sprich darüber.“ Das geht Karl zufolge auch an den Banken nicht spurlos vorüber, die das Financial Engineering gerne einsetzten, um ihren Kunden Mehrwert zu bieten. „ESG ist zu einem beherrschenden Thema geworden“ stellt der Banker fest.

Tatsächlich hat sich in den vergangenen Monaten aber auch einiges getan, um die nachhaltige Unternehmensfinanzierung aus der Nische zu holen. „Früher dominierten offensichtliche Projekte, etwa die grüne Anleihe eines schwer in Kohle engagierten Energieversorgers zur Finanzierung von Windkraftanlagen“, sagt Karl. Inzwischen habe sich die nachhaltige Finanzierung von der Bindung an bestimmte Branchen gelöst.

Das zeigen auch die Emissionen von sogenannten ESG-linked Bonds, bei denen Karls Team Kunden wie Novartis oder auch Adidas unterstützte. Über dieses allmählich zum Standardprodukt heranreifende Finanzierungsinstrument hinaus gebe es aber zunehmend auch Überlegungen, Nachhaltigkeitskriterien auch in andere Instrumente des Corporate Banking einzubetten. Karl nennt in diesem Zusammenhang die Handelsfinanzierung und das Supply-Chain-Management. „Prinzipiell sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt“, sagt Karl. So könne man auch darüber nachdenken, die zu einem Bond gehörigen Derivate mit ESG-Kriterien zu verknüpfen oder Cash-Management-Lösungen mit einschlägigem Bezug zu entwickeln.

Es geht jedoch bei der Konstruktion von grünen Finanzinstrumenten nicht nur um Kreativität. Karl zufolge müssen sich die Emittenten mit der Frage auseinandersetzen, wie die Nachhaltigkeitsstrategie des Konzerns mit seinen Finanzierungs­instrumenten zusammenpasst. „Da muss jedes Unternehmen anhand seiner Key Performance Indicators den richtigen Weg für sich selbst herausfinden“, sagt er. Dafür sei ein spannender, völlig neuer Dialog der Treasurer mit den Kollegen aus den Corporate-Social-Responsability-Abteilungen erforderlich.

Insgesamt sei die Innovationsbereitschaft in der Finanzbranche in den vergangenen Jahren spürbar gewachsen, was Karl auch auf die Impulse aus dem Fintech-Segment zurückführt. „Wir sehen ja in den vergangenen Monaten immer öfter auch personelle Wechsel zwischen Banken und Fintech-Unternehmen“, sagt er. Zugleich hätten viele Banken aber auch neue Kollegen aus ganz anderen Bereichen eingestellt, etwa aus Nichtregierungsorganisationen oder von den Vereinten Nationen, um glaubwürdige Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln. „Das macht uns Banken natürlich nicht gleich zu hippen Start-ups, aber doch als Arbeitgeber attraktiver.“