Stefan Eich, DekaBank

Im Dschungel der Nachhaltigkeit

Die nahende Offenlegungsverordnung ist für die Finanzbranche ein Kraftakt. Auch weil genaue Daten und Vorgaben noch fehlen, ist der Aufwand für die Gesellschaften enorm, wie Stefan Eich, Leiter des strategischen Produktmanagements der DekaBank, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung sagt.

Im Dschungel der Nachhaltigkeit

Von Silke Stoltenberg, Frankfurt

Am 10. März ist für die Finanzbranche ein Tag zum Durchschnaufen. Nach Monaten der Vorbereitung ist dann der erste Meilenstein des EU-Projekts zum Umbau der Finanzbranche hin zu mehr Nachhaltigkeit erreicht: Durch die Offenlegungsverordnung müssen Finanzmarktteilnehmer und Fi­nanzberater auf Produkt- wie Unternehmensebene auf verschiedene Weise transparent machen, wie sich ihr Geschäft mit der Nachhaltigkeit verträgt. Im Jahresverlauf und im nächsten Jahr wird es noch zwei weitere Meilensteine geben: die EU-Taxonomie, die nachhaltige Investments und Wirtschaftsaktivitäten klassifiziert, und die neue Mifid-II-Durchführungsverordnung, wonach in der Anlageberatung die Nachhaltigkeitswünsche des Kunden abgefragt werden müssen.

Auch wenn die Finanzbranche grundsätzlich das Vorhaben Brüssels unterstützt, dass sie den Wandel der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit finanzieren soll, sind die Klagen über die Komplexität des bald geltenden Regelwerks (Sustainable Finance Disclosure Regulation, SFDR) wie auch der noch kommenden neuen Vorgaben nicht zu überhören. Die Einführung der Märkterichtlinie Mifid II sei dagegen ein „Fliegenschiss“ gewesen, heißt dazu in klarer Deutlichkeit – und dabei ist vielen noch gut in Erinnerung, wie groß der Aufwand damals war.

„Bei allen Gesetzesinitiativen des EU-Aktionsplans für ein nachhaltiges Finanzwesen hatte ich noch nie mit einem solchen Regelwerk zu tun, das so komplex ist“, ist somit auch die Meinung von Stefan Eich, Leiter Strategisches Produktmanagement bei der DekaBank. Es müssten so viele Anforderungen auf so vielen Ebenen umgesetzt werden, und dabei fehlten noch die Detailvorgaben zu der Verordnung. Es geben noch viel Unklarheit, etwa weil die regulatorischen Details der EU-Regulierungsbehörden bisher nur im Entwurfstadium existierten, sagt er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Und stellt zugleich klar: „Die DekaBank findet die grundsätzliche Ausrichtung der Offenlegungsverordnung gut, da es hier mehr auf Transparenz hinausläuft und es zu keinem Verbot oder einer Benachteiligung von nicht-nachhaltigen Investments kommt.“

Wegen des Zeitverzugs bei den technischen Detailvorgaben hatte die EU bereits beschlossen, dass die Finanzakteure die Offenlegungsverordnung erst mal nur auf Level-1-Ebene umsetzen muss, also auf qualitative Weise. Erst ab kommendem Jahr oder womöglich später geht es also um messbare Kennziffern.

Das Daten-Dilemma

Aber eben weil konkrete Daten nicht feststehen und geschweige denn von Researchanbietern und den investierbaren Unternehmen aktuell zur Verfügung gestellt werden können, stehen die Finanzmarktakteure vor einem Dilemma. „Wenn einerseits so schnell die Offenlegung im Detail auf der Ebene Level 2 erreicht werden soll, aber andererseits die Unternehmensdaten zu großen Teilen fehlen, dann ist man auf Schätzungen angewiesen“, sagt Eich.

Zufrieden ist er dagegen mit dem grundsätzlichen Verständnis von Nachhaltigkeit in der Offenlegungsverordnung. In der Tat lassen die Vorgaben Freiraum für die verschiedenen Ansätze und Investmentstile. Prinzipiell definiert die Verordnung nichtnachhaltige und zwei verschiedene nachhaltige Produkte. Nach Artikel 8 gibt es Light-Green-Produkte, die ökologische oder soziale Merkmale berücksichtigen. Die Dark-Green-Produkte nach Artikel 9 dagegen besitzen ein angestrebtes Nachhaltigkeitsziel wie etwa die Reduktion von CO2-Emissionen. Diese Einteilung sei „nachvollziehbar und gut“, lobt Eich.

Auf Produktebene bekommen Anleger in den vorvertraglichen Informationen ab dem 10. März in der Level-1-Umsetzung der Offenlegungsverordnung einen allgemein formulierten Absatz zu lesen, wie die Nachhaltigkeitsrisiken berücksichtigt werden. Dies lässt also Fondsmanagern Freiheit, weiterhin etwa in Kernkraftwerke zu investieren, es muss nur allgemein begründet werden, warum es trotzdem ein vernünftiges Investment im Sinne des Anlegers sein kann. Da Nachhaltigkeitskriterien jetzt integraler Bestandteil im Investmentprozess der Deka seien, habe die Gesellschaft in den relevanten vorvertraglichen Dokumenten der rund 500 Publikumsfonds einen gleichlautenden Absatz bei der Beschreibung der Anlagepolitik ergänzt, sagt Eich.

Bei den Spezialfonds der DekaBank, die oftmals auch Fondsmanager anderer Gesellschaften umfassen, muss dagegen für die Verkaufsprospekte im Einzelnen geschaut werden, wie der Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken dargestellt werden kann. „Bei unseren Spezialfonds holen wir, soweit das Management des Fonds oder einzelner Segmente ausgelagert sind, auch das Statement der Manager ein, wie diese konkret mit Nachhaltigkeitsrisiken im Investmentprozess umgehen.“

Da derzeit die europäischen Richtlinien für Publikumsfonds (Ucits) und alternative Produkte (AIFM) überarbeitet werden, ist zu erwarten, dass das allgemeine Bekenntnis zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken sich schon jetzt als Standard in der Fondsbranche durchsetzen wird. Zumal die neuen Vorgaben einen größtmöglichen Freiraum in der Anlagepolitik lassen.

Texte nachgeschärft

Gemäß Artikel 8 der Offenlegungsverordnung, also für die Light-Green-Produkte, müssen die Anbieter transparent machen, inwieweit die jeweilige Anlagestrategie ESG-As­pek­te (Environment, Social, Governance) berücksichtigt. Grundsätzlich erfahre der Anleger künftig mehr über den Investmentprozess, wie die internen Analysen vonstattengehen oder wie der Dialog mit Unternehmen läuft, sagt Eich. „Auf diese Weise kann sich der Anleger ein Bild davon machen, wie nachhaltig das Produkt ist und ob es seiner Nachhaltigkeitspräferenz entspricht.“

Mit Blick auf den Artikel 9 der Offenlegungsverordnung, also auf die Dark-Green-Produkte, hat die DekaBank im vergangenen Jahr zwei Produkte neu aufgelegt, die sich an den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen orientieren, ein Aktienfonds und einen Rentenfonds. Weitere Produkte sind in Planung. „Bei den Artikel-9-Produkten wirkt die unvollständige Regulatorik, also die ergänzende und fehlende Taxonomie, sowie die Verfügbarkeit der zur Offenlegung notwendigen Unternehmensinformationen derzeit stark bremsend“ sagt Eich.

Um Anlegern die Mühe zu ersparen, sich durch die Verkaufsunterlagen von Light- oder Dark-Green-Produkten durchackern zu müssen, sind die Anbieter nach Artikel 10 verpflichtet, die nachhaltigkeitsbezogenen Informationen zusätzlich auf der Internetseite darzulegen. „Hier geht es um den einfacheren Zugang zu den Produktinformationen für den Anleger, aber für die Branche bedeutet das erhöhten Aufwand.“

Erst wenn die Offenlegungsverordnung in die Level-2-Ebene wechseln wird, es also um konkrete Daten geht, werden die Informationspflichten hinsichtlich Nachhaltigkeit übrigens auch für die laufenden Tätigkeitsberichte der Produkte gelten, also für die Halbjahres- und Jahresberichte. Wenn also demnächst klar ist, um welche Daten es konkret geht, die dann von den Gesellschaften frühestens ab 2022 erfasst werden können, könnte es dann ab 2023 erste periodische Produktberichte nach den neuen Vorgaben geben.

Die Verordnung macht aber nicht auf der Produktebene Halt, sondern dringt weiter bis in die Gesellschaftsebene des Fondsanbieters, der Bank oder des Anlageberaters. Gemäß Artikel 3 müssen künftig auf der Internetseite Informationen zu ihren Strategien zur Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken bei ihren Investitionsprozessen zu finden sein. Dies ist völlig unabhängig von der Produktebene zu sehen, da es auch um die Dienstleistungen wie etwa die Vermögensverwaltung oder Versicherungsberatung geht.

Reputationsrisiken drohen

Doch damit nicht genug. Gemäß Artikel 4 müssen die Gesellschaften auch darlegen, ob sie bei ihren Investitionsentscheidungen die nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigen – ist das nicht der Fall, müssen sie das begründen. Dieser Passus hat es für die Finanzbranche in sich: Es geht unter den Instituten die Angst um, dass hier gewaltige Reputationsrisiken schlummern. Denn da die technischen Details der Offenlegungsverordnung nicht feststehen, die Taxonomie noch im Werden ist und damit Daten von Unternehmen ebenso fehlen wie entsprechendes Researchmaterial, könne sich doch keiner aus der Finanzbranche felsenfest sicher sein, dass man alle Unternehmen im Portfolio bis in den letzten Winkel in puncto Nachhaltigkeit durchleuchtet hat, ist aus der Branche zu hören.

Wer die Ernsthaftigkeit von Nachhaltigkeitsstrategien der Finanzbranche hinterfragen will, findet hier vermutlich den besten Ansatzpunkt. Die großen Finanzmarktakteure müssen der Verordnung zufolge bis Ende Juni die Angaben zu den nachteiligen Nachhaltigkeitsauswirkungen veröffentlichen, obwohl sie weitestgehend auf Mutmaßungen oder Schätzungen angewiesen sind. Wenn bei Unternehmen im Fondsportfolio also böse Überraschungen öffentlich werden, könnte dies negativ auf die Produktanbieter zurückfallen und ihr Image beschädigen.

Beispielhaft nennt Eich den Elektroautohersteller Tesla, der vordergründig ein Beispiel für Nachhaltigkeit ist. Allerdings ist die Batterieherstellung und -entsorgung mit Problemen verbunden. Für alle erdenklichen Faktoren müssten Finanzunternehmen in den letzten Winkel eines Unternehmens hineinleuchten können, was kaum möglich ist. Nicht zuletzt berührt Artikel 5 die Vergütung. Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater müssen im Rahmen ihrer Vergütungspolitik angeben, inwiefern diese mit Nachhaltigkeitsrisiken im Einklang stehen.

„Alles in allem ist die Offenlegungsverordnung – in der Kombination mit den Vorgaben aus der Taxonomie sowie Mifid II hinsichtlich der Abfrage der Nachhaltigkeitspräfenzen – durch ihre vielen Detailvorgaben stark überbordend, das Kind droht mit dem Bade ausgeschüttet zu werden“, fasst Eich zusammen. Auf Anleger jedenfalls wartet eine Menge an neuen Informationen zur Nachhaltigkeit, die vielleicht auch schnell einmal zu einem undurchdringlichen Dschungel werden kann.

Für die Akteure der Finanzbranche ist der Aufwand immens. Wie viele Arbeitsstunden allein bislang zur Umsetzung des Mammutprojekts Offenlegungsverordnung bei der DekaBank notwendig waren, vermag Eich nicht zu schätzen. Unklar ist außerdem noch, wie hoch die finanzielle Belastung sein wird, wenn all die neuen Nachhaltigkeitsdaten eingekauft werden müssen.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.