„Bitcoin könnte frühere Höchststände testen“
„Bitcoin könnte frühere Höchststände testen“
Im Interview: Dovile Silenskyte
„Bitcoin könnte frühere Höchststände testen“
Wisdom-Tree-Strategin sieht mittelfristig neues Potenzial für Krypto-Pionier – Zum Wochenschluss unter 100.000 Dollar
Bitcoin hat sich deutlich von seinem Allzeithoch entfernt und ist zuletzt unter 100.000 Dollar gefallen. Dovile Silenskyte, Direktorin für Digital Assets bei Wisdom Tree, erklärt im Interview der Börsen-Zeitung, wie es nun weitergeht, welche Kräfte die Kryptowährung bestimmen und was Bitcoin von Rivalen unterscheidet.
Frau Silenskyte, Bitcoin steht seit einiger Zeit gehörig unter Druck und liegt mittlerweile mehr als 20% unter dem Allzeithoch. Welche Gründe sehen Sie dafür?
Die jüngste Korrektur des Bitcoin-Preises lässt sich auf den Flash-Crash am 10. Oktober 2025 zurückführen, bei dem erneute US-chinesische Handelsspannungen mit einer übermäßigen Hebelwirkung auf den Kryptoderivatemärkten zusammenfielen. Innerhalb von 24 Stunden wurden Hebelpositionen im Wert von rund 19 Mrd. Dollar liquidiert, was zu einem starken Rückgang der Marktliquidität und zu einer breiteren Risikoaversion bei digitalen Vermögenswerten führte. Seitdem befindet sich der Markt in einem Prozess technischer und stimmungsgetriebener Konsolidierung.
Was glauben Sie, wie lange diese Schwäche noch anhalten dürfte?
Während das kurzfristige Umfeld weiterhin fragil bleibt, erscheinen die mittelfristigen Aussichten konstruktiv. Mit der Stabilisierung der Liquiditätsbedingungen und dem Nachlassen makroökonomischer Unsicherheiten könnte Bitcoin wieder ins Gleichgewicht kommen und nach und nach frühere Höchststände testen. Vieles wird vom allgemeinen Risikoumfeld abhängen. Eine Verbesserung der Anlegerstimmung in Verbindung mit einer anhaltenden Beteiligung institutioneller Anleger könnte den Weg für eine erneute Stärke zum Jahresende ebnen.
Zuvor hatte Bitcoin seit 2022 um über 500% zugelegt. Wie hoch kann der Kurs noch steigen?
Die jüngste Rallye von Bitcoin spiegelt eine strukturelle Neubewertung wider und keinen spekulativen Höhenflug. Zwar ist nach den starken Kursgewinnen eine gewisse Konsolidierung wahrscheinlich, doch der mittelfristige Ausblick bleibt positiv, da institutionelle Investoren weiterhin strategische Allokationen aufbauen. Künftige Entwicklungen werden daher weniger von der Begeisterung privater Anleger abhängen, sondern stärker vom Tempo der institutionellen Adoption und den übergeordneten makroökonomischen Trends.
Was waren die Gründe für den Rückenwind?
Drei strukturelle Faktoren stützen den Aufwärtstrend von Bitcoin. Erstens die ETP-getriebene Nachfrage: Physische Bitcoin-ETPs haben die Marktstruktur grundlegend verändert und führen zu anhaltenden Zuflüssen. Zweitens die makroökonomische Unterstützung. Niedrigere Realzinsen, ein schwächerer US-Dollar und die Erwartung einer moderateren Geldpolitik der Federal Reserve schaffen ein günstiges Umfeld. Und drittens die institutionelle Normalisierung: Bitcoin wird zunehmend als makroökonomisches Anlagegut und Diversifizierungsinstrument für Portfolios betrachtet und weniger als spekulativer Ausreißer.
Wo sehen Sie Bitcoin am Jahresende?
Präzise Prognosen sind unmöglich, doch die grundsätzliche Richtung bleibt aufwärtsgerichtet – vorausgesetzt, die institutionellen Zuflüsse halten an und die Realrenditen bleiben begrenzt. Aufwärtsszenarien hängen von einer anhaltenden Schwäche des US-Dollars und neuen Allokationen globaler Vermögensverwalter ab. Abwärtsrisiken würden sich aus strengeren finanziellen Rahmenbedingungen oder einer Unterbrechung der Zuflüsse in börsengehandelte Produkte (ETPs) ergeben.
Bitcoin gilt als Risiko-Asset. Solche steigen typischerweise in wirtschaftlich guten Zeiten. Bitcoin legte in diesem Jahr aber lange auch zu, obwohl es Regierungskrisen wie in Frankreich gab und der Dollar schwach ist. Können Sie das erklären?
Das Verhalten von Bitcoin spiegelt seine zweigeteilte Identität wider: Teils Risikoanlage, teils monetäre Absicherung. In optimistischen Marktphasen handelt es sich wie ein wachstumsstarker High-Beta-Wert. In Zeiten politischer Dysfunktionalität oder Währungsschwäche ziehen seine Eigenschaften als „Outside Money“ Kapitalströme an, die Schutz vor politischen Risiken suchen. Die jüngsten politischen Turbulenzen in den USA und Europa, verbunden mit fiskalischem Druck und der Schwäche des Dollars verstärken die Attraktivität von Bitcoin als nicht-staatlicher Wertspeicher – insbesondere für Anleger, die eine Diversifizierung weg von fiat-gebundenen Instrumenten anstreben.

Wisdom Tree
Auch andere Kryptowährungen wie Ether oder Solana haben in diesem Jahr viel Kapital angezogen. Wie schätzen sie diese ein?
Ether und Solana sind Wachstumsanlagen, die auf unterschiedliche Anwendungsbereiche abzielen. Ethereum ist die institutionelle Plattform für Stablecoins, Tokenisierung und dezentrale Finanzanwendungen. Solana ist ein Ökosystem mit hohem Durchsatz, das insbesondere für verbraucherorientierte Anwendungen – von Gaming bis Social Media – bevorzugt wird. Beide bleiben konjunkturabhängiger als Bitcoin, da ihr Wert von der Netzwerkaktivität und der Dynamik der Entwickler abhängt.
Was für Stärken und was für Schwächen haben sie gegenüber Bitcoin?
Die Stärke von Bitcoin liegt in seiner monetären Einfachheit und Glaubwürdigkeit. Seine festgelegte Verfügbarkeit, Neutralität und unvergleichliche Sicherheit machen es zum digitalen Pendant von Bargeld. Ethereum und Solana bieten dagegen Programmierbarkeit und Staking-Erträge, was komplexere Anwendungsfälle ermöglicht, jedoch auch Governance- und Ausführungsrisiken mit sich bringt. Kurz gesagt: Bitcoin wird von makroökonomischen Faktoren getrieben, die anderen hingegen von technologischen Entwicklungen.
Zur Person: Dovile Silenskyte ist Direktorin für die Forschung im Bereich digitale Vermögenswerte bei WisdomTree. Dort ist sie verantwortlich für die Durchführung von Analysen zu digitalen Vermögenswerten sowie für die Unterstützung des Vertriebsteams bei Kundenanfragen zu Produkten und Märkten.
Das Interview führte Tobias Möllers
