Chinas Aktienmarkt

Chinas hitzige Sommer-Rally weckt erste Bedenken

Chinas Festlandbörsen überraschen mit einer kräftigen Hausse, die fundamental wenig abgesichert wird. Noch überwiegt der Optimismus, dass die Rally fortgesetzt werden kann, aber es gibt auch Warnzeichen für eine Überhitzung.

Chinas hitzige Sommer-Rally weckt erste Bedenken

Chinas hitzige Sommer-Rally weckt erste Bedenken

Gewaltige Hausse trotz schwächelnder Konjunktur – Spekulationsinstinkte erwachen – Rekord bei gehebelten Positionen – Flucht aus dem Bondmarkt

Chinas Festlandbörsen überraschen mit einer kräftigen Hausse, die angesichts einer fühlbaren Konjunkturabschwächung fundamental wenig abgesichert wirkt. Noch überwiegt der Optimismus, auch bei ausländischen Investoren, dass die Rally fortgesetzt werden kann. Es gibt jedoch erste Warnzeichen für eine Überhitzung.

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Chinas Wirtschaft steht unter Abkühlungsdruck, Deflationstendenzen bremsen den Wachstumselan, die Immobilienkrise nimmt kein Ende und der Handelskonflikt mit USA belastet. Den seit Jahresmitte eingetrübten Konjunkturperspektiven steht jedoch ein überraschendes Kontrastprogramm an Chinas Festlandbörsen gegenüber. Seit zehn Wochen hält eine stramme und von keinerlei signifikanten Korrekturen unterbrochene Rally an. Im volatilen Festlandmarkt, der maßgeblich vom Kleinanlegersentiment bestimmt wird, eine absolute Seltenheit.

Zehnjahreshoch in Schanghai

Allein im August ist die Marktkapitalisierung der Werte an den Börsen in Schanghai und Shenzhen um 1,3 Bill. Dollar angeschwollen. Chinas älteste Aktien-Benchmark, der marktbreite Shanghai Composite befindet sich auf einem Zehnjahreshoch und weckt Reminiszenzen an den denkwürdigen Sommer 2015, als eine von Spekulationsfieber getriebene Megahausse in einem nicht minder spektakulären Börsencrash überging.

Während die Hongkonger Börse im Mai und Juni einen gewaltigen Bullenritt hingelegt hatte, kroch der CSI 300 Index mit den größten Werten in Schanghai und Shenzhen zum Sommeranfang noch auf dem Stand zu Jahresbeginn herum. Nun aber liegt man bei einer Performance für das Kalenderjahr von knapp 20%. Der Abstand zum Jahrestief Anfang April, als Donald Trump Strafzollattacken rund um den „Liberation Day“, einen kräftigen Einbruch brachten, beträgt schon 27%. Dies bedeutet eine gewaltige Überperformance im Vergleich mit führenden Börsenindizes in Asien, Europa und USA.

Ruhe bei Strafzöllen

Indikatoren zum Konsumtrend, dem Immobilienmarkt und den Unternehmensgewinnen senden Warnsignale zur Standfestigkeit der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft aus. Andererseits aber knüpft sich Anlegeroptimismus an die Wahrnehmung, dass der Handelskonflikt mit den USA in eine stabilere Phase eingetreten ist und keine weitere Strafzollverschärfung mit sich bringt. Eine Regierungskampagne zum Angehen von Überkapazitätsproblemen und überzogenem Preiswettbewerb in einigen Sektoren schürt Hoffnung auf eine Linderung der Deflationsproblematik.

Wundertüte

Die jüngste Hausse beruht sicherlich nicht auf einer konventionellen Wachstumsstory, sondern ist eher eine Wundertüte, betonen Analysten bei Vantage Markets. Es gibt erste Warnungen zu einer Blasenbildung, doch geht das Gros der Analysten davon aus, dass die Rally im gemäßigten Tempo anhält. Als ein Beruhigungsfaktor, dass sich der Zugewinn beim CSI 300 von gut 10% im August stetig entwickelt hat. Ein ganz anderes Szenario als bei der letzten großen Hausse vom Oktober, als China-Aktien nach langer Baisse im Zuge einer überraschenden Zinssenkung gepaart mit Stimulierungsversprechen der Regierung binnen wenigen Tage um 18% hochrasten, um dann rasch wieder deutlich zu korrigieren.

Bei Goldmann Sachs traut man dem CSI 300 angesichts noch relativ moderater Bewertungsrelationen auf Jahressicht einen weiteren Anstieg um 10% zu. Außerdem überzeugt die Aussicht auf eine stärkere Mobilisierung des gewaltigen Spargeldüberhangs bei chinesischen Privathaushalten, die sich nach langer Zurückhaltung wieder offensiver er Aktienanlage zuwenden. HSBC verbindet damit einen wesentlichen Katalysatoreffekt für einen anhaltenden Aufwärtstrend.

Schwache Firmengewinne

Morgan Stanley ist vorsichtiger gestimmt, und verweist vor allem auf die mäßige Entwicklung der Unternehmensgewinne. Die an chinesischen Börsen gelisteten Firmen haben im Juni-Quartal einen Zuwachs der Profite von lediglich 1,6% gegenüber Vorjahr aufzuweisen, im ersten Quartal betrug der Anstieg noch knapp 4%. Als positiver Faktor gilt verstärktes Interesse seitens der Investoren. Eine jüngste Umfrage von Morgan Stanley bei ihrer US-Klientel ergibt, dass 90 % der Fondsmanager ihr China-Exposure maßgeblich aufzustocken gedenken. Als reizvolle Gefilde für Stockpicker gelten insbesondere die Bereiche Robotertechnik, Biotechnologie sowie Firmen in rasch wachsenden Lifestyle-Konsumbereichen.  

Wende am Bondmarkt

Zuflüsse von ausländischen Fonds spielen an Chinas Festlandbörsen zwar eine geringere Rolle für die Liquidität des Marktes, doch ist es zu einer wesentlichen Mobilisierung von institutionellen Geldern mit langfristigem Anlagehorizont gekommen. Peking hat gewaltige Anstrengungen unternommen, um heimische Versicherer mit der Lockerung von Anlagegrenzen stärker für Aktieninvestments zu gewinnen. Dabei spielt eine Wende am Bondmarkt in die Hände. Im vergangenen Jahr ließ der breite Marktpessimismus mit Drang zu sicheren Werten Anleiheinvestments favorisieren und führte zu historisch niedrigen Bondrenditen in China. Nun aber ist eine breite Umschichtung im Gange. Der Auftrieb an den Börsen lässt die Renditen auf Staatsanleihen bereits stark nach oben ausbrechen.

Massive Hebelgeschäfte

Sorgen bereiten allerdings neu erwachte Spekulationsinstinkte, die Rückschlaggefahren für die Sommerrally mit sich bringen. Vor allem vermögende Anleger haben sich via Hedgefonds mit gehebelten Positionen engagiert. Damit geht ein steiler Anstieg des Margin Financing, also kreditfinanzierten Engagements, einher. Kürzlich wurde ein neuer Rekord erreicht. Das Volumen der Margin Trades übertraf mit umgerechnet 320 Mrd. Dollar den Spitzenwert vom Crash-Sommer 2015. Dies lässt Chinas Wertpapierregulatoren bereits über Maßnahmen zur kontrollierten Abkühlung der Rally nachdenken.