Der Moment für den Euro ist gekommen
Zu den zentralen Themen der Jahreskonferenz der International Capital Market Association (ICMA) zählte der US-Handelskrieg, die Auswirkungen desselben auf die Märkte, allen voran die Anleihemärkte und den Dollarkurs, sowie der US-Schuldenberg und die Renditeentwicklungen der (Staats-)Bondmärkte dies- und jenseits des Atlantiks. Die 57. ICMA-Tagung mit rund 1.200 Teilnehmern fand erstmals in Frankfurt statt.
In einer Diskussionsrunde über die Aussichten für die internationalen Anleihemärkte erörterten die Teilnehmer die Auswirkungen des „Liberation Day“ in den USA, sowohl auf die Rentenmärkte als auch auf die Aussichten für den Euro. Dies ist für die Märkte angesichts der aktuellen Diskussionen über den Status des US-Dollars als Reservewährung besonders relevant. Die Experten waren sich etwa darin einig, dass Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) Recht zu geben ist, dass angesichts des schwankenden Vertrauens in den Greenback jetzt der Moment für den Euro gekommen sei. Viele sehen eine weitere Aufwertung für den Euro kommen angesichts des Handelskrieges und der damit einhergehenden Nachteile für den Dollar. Weite Investorenkreise schichten derzeitig in Assets aus Europa um.
Neugewichtung der Engagements
Die Kapitalmarktexperten berichteten, dass Gespräche mit US-amerikanischen und europäischen Vermögensverwaltern zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen bisher geführt haben. US-Vermögensverwalter räumten ein, dass die derzeitige Situation ein Albtraum sei, argumentierten aber, dass die Welt zum Status quo zurückkehren werde, mit dem Dollar an der Spitze. Die europäischen Vermögensverwalter vertraten eine andere Sichtweise. Sie meinen, dass diese Verschiebung dazu beigetragen habe, Menschen wachzurütteln, so dass Europa eine Neugewichtung des Engagements in den USA in Betracht ziehen sollte.
Die Entwicklungen seit Anfang April dieses Jahres hätten dazu beigetragen, den jüngsten Trend der Reverse Yankee Deals zu unterstützen. Dies habe dazu geführt hat, dass nun immer mehr US-Unternehmen den europäischen Bondmarkt angezapft haben, und zwar laut Marie-Claire Ouziel, Global Head of Bonds bei der Commerzbank, in Höhe von umgerechnet gut 50 Mrd. Dollar per Ende Mai. Bei Reverse Yankee Deals handelt es sich um Bond-Emissionen von US-Unternehmen außerhalb der USA in einer anderen Währung als der eigenen, also außerhalb des Dollar.
Ingo Mainert, CIO Multi Asset Core, Allianz Global Investors & Mitglied des Board of Directors bei Allianz Global Investors, wies darauf, dass man sich derzeit in den meisten Volkswirtschaften der Welt in einer Rezession befinde. Während aber auf der einen Seite eine erhöhte wirtschaftliche Unsicherheit herrsche, habe der Mai aber andererseits ein Allzeithoch bei der Marktkapitalisierung von Anleihen und Aktien erreicht. Viele Experten sehen darin auch einen Beweis dafür, dass sich die Märkte schnell an das neue geopolitische Umfeld und den Handelskrieg angepasst haben und auch eine deutliche Widerstandsfähigkeit unter Beweis stellen.
Safe Asset für Europa
In Anlehnung an die Aussagen jener Podiumsdiskussion zu Status und Perspektiven für die Anleihemärkte, sagte Philipp Hildebrand, Vice Chairman bei Investmentmanager Blackrock: „Dies ist der Moment für Europa“. Er wies jedoch darauf hin, dass zwischen Europa und den USA ein deutliches Gefälle bei der Produktivität und der Kapitalmarkttiefe bestehe, das es zu beseitigen gelte. Dies könne durch eine stärkere Nutzung der Technologie in Europa sowie durch die Spar- und Investitionsunion erreicht werden, die darauf abziele, 10 Bill. Euro an Bankeinlagen für die europäischen Kapitalmärkte zu mobilisieren. Hildebrand vertrat auch die Ansicht, dass Europa einen gemeinsamen europäischen sicheren und liquiden Vermögenswert (European Safe Asset) entwickeln sollte, um die Vorteile einer Kapitalmarktunion voll auszuschöpfen.
Die globalen Kapitalmärkte mit haben derzeit mit Deglobalisierung, wirtschaftlicher Fragmentierung und schnellen geopolitischen Veränderungen zu kämpfen. Zugleich wird Europas historische Wettbewerbsfähigkeit unter Druck gesetzt. Die Kapitalmarktexperten erörterten in diesem Zusammenhang die entscheidende Bedeutung einer Anpassung der Regulierung zur Verringerung der Belastungen, die Auswirkungen einer nachhaltigen Finanzpolitik auf die Infrastruktur und gingen auch der Frage nach, wie EU-Reformen die Investitionen des Privatsektors zur Unterstützung der Ausgaben des öffentlichen Sektors zweckmäßig begleiten können.
Europa als ein attraktiver Ort
Stefan Wintels, Chef der KfW, äußerte sich in diesem Zusammenhang positiv über Europa und betonte, dass Europa nach wie vor als ein „attraktiver Ort“ für Investoren angesehen wird. Er wies auch auf die Bedeutung eines soliden Regulierungsrahmens und einer soliden Regierung in Europa hin. Wichtig sei für die Bürger aber auch, dass es bezahlbaren Wohnraum gebe. Entscheidend sei auch, über die Weiterentwicklung grüner Anleihen und anderweitiger Innovationen zur Bewältigung der Klimakrise beizutragen.
Mit dieser Jahrestagung endete die zweijährige Amtszeit von Janet Wilkinson als Chair der ICMA. Wilkinson ist Managing Director und Head of Global Market Institutional Sales EMEA (Europe, Middle East, Afrika) bei der Royal Bank of Canada (RBC) Capital Markets. Neu gewählt als ICMA-Chair wurde nun Jean-Luc Lamarque, Managing Director und Chairman Primary Credit bei Crédit Agricole.