Kryptowährungen

Ether stiehlt Bitcoin die Show

Das Ethereum-Netzwerk steht vor einer groß angelegten Umstellung. In der Folge könnte die zugehörige Kryptowährung Ether gewaltigen Rückenwind erhalten.

Ether stiehlt Bitcoin die Show

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Die zweitgrößte Kryptowährung Ether schickt sich an, Marktprimus Bitcoin die Show zu stehlen. Denn sie kann seit Jahresbeginn Stand Mittwoch ein Kursplus von 250% vorweisen und hat damit gegenüber der nach Marktkapitalisierung führenden Cyberdevise eine kräftige Outperformance hingelegt. An zwölf Handelstagen in Folge verzeichnete Ether zuletzt Kurszuwächse, dies stellt die längste Gewinnserie in der Historie der Digitalwährung dar.

Dafür, dass Ether den Lauf fortsetzt, spricht laut Analysten eine groß angelegte Umstellung des Ethereum-Netzwerks. Diese soll eine höhere Effizienz, Skalierbarkeit, Sicherheit und Umweltfreundlichkeit nach sich ziehen. Entscheidender Schritt dabei ist das Update EIP 1559, das für Mittwoch angesetzt war, laut dem Countdown auf der Ethereum-Webseite nun aber am Donnerstag starten soll. Dabei wird die Gebührenstruktur auf der Blockchain angepasst.

Wer eine Transaktion über Ethereum abwickeln wollte, musste für die Bearbeitung bisher eine sogenannte „Gas Fee“ in der Verrechnungseinheit Ether an die auf der Blockchain tätigen Miner entrichten. Die genaue Höhe dieser Gebühr war im Vorhinein stets unklar, was bei den Teilnehmern am Zahlungsverkehr für Unsicherheit sorgte und teils ungerechtfertigt hohe Kosten verursachte. Die „Gas Fee“ wird mit dem Update nun durch eine Basisgebühr ersetzt, zudem verbrennt das Netzwerk einen Teil der an die Miner entrichteten Ether-Einheiten. Marktstrategen wie Dan Morehead, CEO des Hedgefonds Pantera Capital, setzen darauf, dass Ether durch die resultierende Angebotsverknappung weiteren Schwung erhält und sich stärker wie ein fester Vermögenswert verhält.

Einsatz als Inflationshedge

Einer der entscheidenden Nachteile von Ether gegenüber Bitcoin könnte damit abgemildert werden. Denn Anhänger der größten Digitalwährung betonen bisher stets, dass die feste Begrenzung des Bitcoin-Angebots – im Jahr 2140 soll die letzte der 21 Millionen Bitcoin-Einheiten geschürft werden – den Marktprimus zu einem effektiveren Inflations­hedge macht als konkurrierende Cyberdevisen. Auch Pantera-Chef Morehead prognostiziert, dass Anleger zur Vermögenssicherung künftig nicht nur auf Bitcoin, sondern auch auf die bisher hauptsächlich als Transaktionswährung geltende Nummer 2 des Segments setzen werden.

In anderen Punkten unterscheiden sich die beiden führenden Digitalwährungen aber grundlegend, weshalb Analysten davon ausgehen, dass sich die bisher bestehende stark positive Korrelation zwischen ihren Kursen künftig abschwächen wird. Denn im Gegensatz zur Bitcoin-Blockchain kann Ethereum mit Smart Contracts beschrieben werden, also Computerprotokollen, die Verträge abbilden sowie Transaktionen automatisiert und dezentral ausführen können.

Deshalb stellt Ethereum schon jetzt die wichtigste Distributed-Ledger-Technologie für das Trendthema des dezentralisierten Finanzwesens (DeFi) dar. Der Grundgedanke hinter DeFi besteht darin, auf zentrale Intermediäre wie Börsenmakler und Banken zu verzichten. Stattdessen soll eine offene, transparente und nutzergeführte Finanzinfrastruktur entstehen. In Smart Contracts mit DeFi-Bezug sind in den vergangenen Monaten gewaltige Mittel geflossen, was auch dem Kurs der Transaktionseinheit Ether zugutekommt. Einige Marktteilnehmer glauben inzwischen sogar an ein „Flippening“ – also dass Ether Bitcoin nach Marktkapitalisierung überholen könnte.

Das Investoreninteresse an der Nummer 2 des Segments entwickelte sich zuletzt jedenfalls robuster als die Beteiligung bei Bitcoin, wie die von Bloomberg zusammengetragenen Zahlen zu Mittelflüssen in Kryptofonds und -Futures nahelegen: Während Bitcoin-Produkte im Juni und Juli per saldo kräftige Abflüsse verzeichneten, flossen den Ether-Pendants weiterhin Mittel zu.

Warnung vor Rückschlägen

Bei aller Euphorie unter Ether-Investoren warnen einige Stimmen aber auch vor heftigen Kursrückschlägen im Anschluss an das Update EIP 1559. Richard Heart, Erfinder des umstrittenen Tokens Hex, zieht dabei Parallelen zu großen Ereignissen aus der Vergangenheit, darunter der Start der Bitcoin-Futures an der weltgrößten Terminbörse CME im Dezember 2017 oder der Börsengang der Kryptohandelsplattform Coin­base im April des laufenden Jahres. Bitcoin habe jeweils am Tag des Events Höchststände verzeichnet, in den Folgemonaten aber einen großen Teil seines Werts verloren.

Solche Talfahrten hängen häufig mit dem Hype vor dem Ereignis zusammen, von dem sich unerfahrene Investoren anstecken lassen. Krypto-Profis, die früh Positionen aufgebaut haben, nehmen kurz vor dem Event Gewinne mit – und neu hinzugekommene Anleger strömen aus Enttäuschung darüber, dass weitere Kursaufschwünge ausbleiben, wieder aus dem illiquiden Markt.

Hoffnungskerze für eine Stabilisierung bleibt sowohl für Ether als auch für Bitcoin ein verstärktes Engagement institutioneller Investoren. Diese schrecken jedoch häufig vor einem Einstieg zurück, da sich der hohe Stromverbrauch des Krypto-Minings schlecht mit ihren Nachhaltigkeitsstrategien vereinbaren lässt. Doch auch diesbezüglich könnte Ether bald im Vorteil sein. Denn mit den Updates soll der bei der Entstehung neuer Ether-Einheiten genutzte Algorithmus von der Proof-of-Work-Variante auf das weniger energie­intensive Proof-of-Stake-Verfahren umgestellt werden. Bei Bitcoin gilt ein Wechsel indes als unwahrscheinlich, da dies einen schwerwiegenden Eingriff ins Grundkonzept darstellen würde. Stattdessen verweisen Befürworter darauf, dass sich Bitcoin-Mining zunehmend aus erneuerbaren Energien speise. Wenngleich sich Tesla-Chef Elon Musk offenbar von diesem Argument hat überzeugen lassen, bleiben andere potenzielle Großinvestoren skeptisch – und Bitcoin droht die Kontrolle über die Krypto-Show zu entgleiten.

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