Große Verunsicherung setzt Finanzwerte unter Druck
Große Verunsicherung setzt Finanzwerte unter Druck
Das Abschneiden des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in der ersten Wahlrunde hat an der Börse in Istanbul für Verunsicherung gesorgt und die Kurse auf Talfahrt geschickt. Umfragen vor der Wahl hatten Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu vorne gesehen. Da keiner der beiden Kandidaten die absolute Mehrheit im ersten Durchgang erreichen konnte, fällt die Entscheidung in zwei Wochen in einer Stichwahl.
“Das ist eine größere Enttäuschung für Investoren, die auf einen Sieg des Oppositionskandidaten Kilicdaroglu und eine Rückkehr zu der von ihm versprochenen orthodoxen Wirtschaftspolitik gehofft hatten”, sagte Hasnain Malik, Analyst beim Analysehaus Tellimer. Bei der Parlamentswahl lag Erdogans AK-Partei deutlich vor dem Oppositionsbündnis. Selbst wenn sich Kilicdaroglu im zweiten Wahlgang durchsetzt, hätte er damit nicht die Mehrheit im Parlament hinter sich.
Nach einem Kurseinbruch von bis zu 6,7% grenzte der türkische Leitindex die Verluste im Handelsverlauf auf rund 3% ein. Die Aktien der Banken in der Türkei standen aber anhaltend unter Verkaufsdruck: Der Branchenindex rauschte um rund 9% nach unten. Auch die türkische Lira tendierte schwächer.
Stichwahl statt absoluter Mehrheit
Wie die Wahlbehörde am Montag in Ankara mitteilte, erhielt Präsident Recep Tayyip Erdogan 49,51% der Stimmen. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu lag knapp hinter ihm, womit keiner der beiden Bewerber mehr als 50% der Stimmen erhielt und es am 28. Mai eine Stichwahl geben wird. Auf dem weit abgeschlagen dritten Platz landete Sinan Ogan (5,17%) von der ultranationalistischen Ata-Allianz. Das Ergebnis für die gleichzeitig abgehaltene Parlamentswahl lag zunächst nicht vor. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, laut Wahlbehörde habe die Wahlbeteiligung im Inland bei vorläufig 88,92% und im Ausland bei 52,69%.
Wegen der zu erwartenden innen- und außenpolitischen Auswirkungen galt die Wahl in der Türkei als eine der weltweit wichtigsten in diesem Jahr. Der 69 Jahre alte Erdogan ist seit 20 Jahren an der Macht. Umfragen hatten ein knappes Rennen vorausgesagt. Der Präsident hat seit der Einführung eines Präsidialsystems 2018 weitreichende Befugnisse und regierte in der Regel an den 600 Parlamentariern vorbei.
Oppositionsführer Kilicdaroglu (74) kandidiert für ein Bündnis aus sechs Parteien unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung. Er ist unter anderem mit dem Versprechen angetreten, das Präsidialsystem wieder abzuschaffen, das Land zu demokratisieren und die massive Inflation von rund 44% zu senken. Der Wahlkampf stand auch im Zeichen des verheerenden Erdbebens vom 6. Februar in der Südosttürkei.
Kritik von Wahlbeobachtern
Nach der Wahlnacht am Sonntag äußerten Wahlbeobachter Kritik an den Abläufen. Die Türkei erfülle die Prinzipien einer demokratischen Wahl nicht, sagte Frank Schwabe (SPD), Leiter der Wahlbeobachtungsmission des Europarats, am Montag in Ankara. Bei der Stimmauszählung habe es an Transparenz gefehlt, hieß es von der Delegation. Die Wahlbehörde solle klarstellen, wie genau sie Wahlergebnisse veröffentliche. Der Behörde wird unterstellt, unter dem Einfluss der Regierung zu stehen.
Schon vor der Wahl habe es keine gleichen Voraussetzungen gegeben. Die regierende AKP habe “ungerechtfertigte Vorteile” gehabt, etwa mit Blick auf die mediale Berichterstattung. Die türkische Regierung kontrolliert weite Teile der Medienlandschaft. Die Opposition habe teilweise unter massivem Druck gestanden.
Besorgniserregend sei zudem die niedrige Wahlbeteiligung in den Anfang Februar stark durch Erdbeben zerstörten Regionen. Es habe keine rechtlichen Hindernisse gegeben, aber eine große emotionale Belastung. Offizielle Daten zu der Wahlbeteiligung in den betroffenen Gebieten war vorerst nicht verfügbar.
