Psychologischer Befreiungsschlag in China
Psychologischer Befreiungsschlag in China
nh Schanghai
Dem denkwürdigen Absturz am chinesischen Aktienmarkt der letzten Tage ist am Mittwoch eine scharfe Gegenbewegung gefolgt, die insbesondere den Leitindizes an der Hongkonger Börse wieder auf die Beine hilft. Hongkonger Blue Chips verbuchten am Mittwoch den höchsten Tagesgewinn seit den Irrungen und Wirrungen der globalen Finanzkrise von 2008. So schoss der Hang Seng Index in Hongkong um 9,1% auf 20088 Punkte in die Höhe und kompensierte damit einiges an den Verlusten über 5% und 6,6% in den ersten beiden Wochentagen. Dabei legte der rein auf Unternehmen vom chinesischen Festland bezogenen Hang Seng China Enterprises Index gar um 12,5% und konnte damit die Einbußen vom Wochenbeginn fast ganz wieder wettmachen. An den Festlandbörsen sah man einen milderen Umschwung. Hier zog der Blue-Chip-Index CSI 300 um 4,3% an, was den kräftigsten Tagesgewinn seit Juli 2020 bedeutet.
Politische Beruhigungspille
Die urplötzliche Rally wurde im Nachmittagshandel losgetreten, nachdem der chinesische Staatsrat in einer weitreichenden Erklärung zur Besänftigung von Marktturbulenzen den Anlegern neuen Mut machte. So hieß es unter anderem, dass die chinesische Regierung neue Maßnahmen zur Konjunkturanregung und Finanzmarktunterstützung plane, den Wohnimmobilienmarkt zu stabilisieren wisse, die Maßnahmen zur Bekämpfung von Corona-Ansteckungen neu austarieren wolle. Darüber hinaus wurde versprochen, dass die Regulierungskampagne bei chinesischen Tech-Firmen auf eine verlässlichere und transparente Basis gestellt wird, neue Anstrengungen unternommen werden, um ausländische Anlegerkreise zum Engagement in chinesische Wertpapieren anzuziehen, und die Kapitalmarktpolitik enger koordiniert werde.
Auch wenn die Ankündigungen des Staatsrates völlig allgemein gehalten wurden und keinen Rückschluss auf konkrete Maßnahmenpakete erlauben, ist es gelungen, den vom Ukraine-Krieg, einer neuerlichen Corona-Welle, Immobilienmarktproblemen und dem ruppigen Umgang mit der Tech-Branche geförderten Panikverkäufen entgegen zu wirken. So hieß es beispielsweise, dass die wirtschaftliche Entwicklung als höchste Priorität der Kommunistischen Partei gelte. Dies lässt die Marktteilnehmer nach jüngst immer inkohärenter wirkenden Positionierungen Pekings im Ukraine-Konflikt, bei der Corona-Bekämpfungsstrategie und der Regulierung von Techfirmen, wieder neuen Mut fassen.
Tech-Branche atmet auf
Besonders deutlich ist dies auf Ebene der Tech-Branche, wo Chinas führende Internetplattformen Alibaba und Tencent in den vergangenen Wochen dramatische Kursverluste zu beklagen hatte. Angesichts sowieso schon extrem niedriger Bewertungsrelationen für Chinas führende Internetkonzerne wurden die Äußerungen des Staatsrats als überfälliges Wiedereinstiegssignal angesehen und brachten den Notierungen von Alibaba und Tencent rekordhohe Tagesgewinne von 27 beziehungsweise 23%.
Analysten führen die Gegenbewegung vom Mittwoch in erster Linie auf psychologische Faktoren zurück, nachdem die Panikstimmung rund um den Ukraine-Krieg und mögliche konjunkturelle Rückschläge durch eine Corona-Welle mit harten Lockdown-Maßnahmen einen übertrieben wirkenden Sell-off losgetreten hatten. Gleichzeitig warnen sie aber auch davor, von einer grundsätzlichen Wende des fragilen Sentiments gegenüber China-Aktien auszugehen.
Tonwechsel hilft
Zum einen sind aus dem Statement des Staatsrats keine konkreten Konjunkturstützungsmaßnahmen herauszulesen, zum anderen ist der weitere Verlauf der Corona-Situation und daraus resultierender Wirtschaftsschäden kaum abzuschätzen. Allerdings sprechen die Experten von einem wichtigen Tonwechsel seitens der Regierung. Dies könnte den Marktteilnehmern mehr Zuversicht gibt, dass Peking einen insgesamt marktfreundlicheren und weniger ideologisch wirkenden Kurs zu steuern bereit und von besonders willkürlich wirkenden Attacken auf die Tech-Branche wieder Abstand nimmt.
