Marktausblick

Ukraine-Krieg bestimmt das Börsen­geschehen

Der Ukraine-Krieg und seine Folgen für das europäische Verhältnis zu Russland dürften für die Aktienmärkte kurz- und langfristig negative Konsequenzen haben.

Ukraine-Krieg bestimmt das Börsen­geschehen

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Politische Börsen haben meistens kurze Beine. Diese Binsenweisheit gilt für die europäischen Aktienmärkte in der gegenwärtigen Situation jedoch eher nicht, denn der Ukraine-Krieg scheint zu einer grundlegenden politischen Neuorientierung Europas zu führen, die auch auf die Märkte einen tiefgreifenden Einfluss haben wird und die insbesondere für Westeuropa längerfristig schwierige Zeiten heraufbeschwört. Daher dürfte es für die Aktien- und für die Rohstoffmärkte in der neuen Börsenwoche und weit darüber hinaus entscheidend darauf ankommen, welche Weichenstellungen die westeuropäischen Regierungen, die EU und deren Schutzmacht USA vornehmen. Vermutlich dürfte sich der extreme Anstieg des Dax von 7,9%, den er am Mittwoch hinlegte, als Eintagsfliege erweisen, die weitere Perspektive dürfte sich für den Dax eher düster ausnehmen.

Kurzfristig ist die entscheidende Frage für die europäischen Aktienmärkte und für die Rohstoffpreise, ob sich die Europäische Union dem von den Vereinigten Staaten erlassenen Importverbot für russisches Öl anschließt und dieses möglicherweise sogar auf russisches Erdgas ausweitet. Es gab aus der deutschen Politik bereits Forderungen, den Betrieb der Pipeline Nord Stream 1 einzustellen, während die ukrainische Regierung warnt, der Krieg könne den Betrieb der durch die Ukraine verlaufenden Pipelines gefährden. Sollte es in nächster Zeit tatsächlich zu einer solchen Entwicklung kommen, ist mit noch weiter steigenden Energiepreisen sowie einem sehr deutlichen Rückgang der Kursniveaus an den europäischen Börsen zu rechnen. Noch allerdings ist es nicht so weit, insbesondere die Bundesregierung widersetzt sich nach Kräften derartigen Boykottbestrebungen. Sollten allerdings die Opferzahlen im Ukraine-Krieg steigen, ist mit einem deutlich höheren Druck auf Berlin zu rechnen.

Perspektive von fünf Jahren

Längerfristig hat EU-Kommissi­onspräsidentin Ursula von der Leyen den Kurs einer energiepolitischen Entkopplung von Russland vorgegeben. Dass ein solcher Wandel wie vorgeschlagen bis Ende 2022 erfolgen kann, ist zwar völlig unrealistisch, aber in der ebenfalls von der Kommission genannten Perspektive von fünf Jahren ist ein solches Szenario durchaus realistisch. Es beinhaltet allerdings die Inanspruchnahme wesentlich teurerer Energiequellen wie Flüssiggas aus Übersee, was zu einer starken Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie führen würde. Eine solche Entwicklung kann auch an den Aktienmärkten nicht spurlos vorübergehen.

Die durch die Sanktionen begonnene dauerhafte Abkopplung Westeuropas von Russland und in der logischen Fortsetzung auch vom russischen Verbündeten China könnte bereits unumkehrbar sein, da sowohl auf europäischer als auch auf russischer und chinesischer Seite fieberhaft Gesetze und andere Regelwerke dahingehend umgebaut werden, dass dieser Bruch und damit eine Zweiteilung der Weltwirtschaft er­möglicht wird.

Für die deutsche und die europäische Wirtschaft bedeutet dies in letzter Konsequenz die Abtrennung vom großen eurasischen Wirtschaftsraum mit seiner Wachstumsdynamik. Auch deutsche börsennotierte Unternehmen wären dann auf Exporte in ebenfalls unter der Krise leidende andere Weltregionen oder in die wirtschaftlich schwächer werdenden USA angewiesen. Sobald die Europäische Zentralbank ihre Alimentierung der Finanzmärkte im Rahmen der Inflationsbekämpfung zurückfährt, könnte dies zu einer Neubewertung der europäischen Aktienmärkte durch internationale Investoren führen.

Im Umkehrschluss bedeutet all dies, dass es einen starken Schub für den Aktienmarkt bedeuten würde, wenn es doch überraschenderweise zu einer kurzfristigen Einigung in dem Konflikt und damit zu einem Waffenstillstand kommt. Anleger sind daher gut beraten, die politischen und militärischen Entwicklungen in der Ukraine und darüber hinaus genau im Auge zu behalten.

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