Henkel ist aus gutem Grund niedriger bewertet
Henkel ist aus gutem Grund niedriger bewertet
Geld oder Brief
Henkel ist kein defensiver Wert
Von Martin Dunzendorfer, Frankfurt
Henkel gilt bei einigen Marktakteuren als defensiver Wert. Das besagt, dass der Umsatz wenig konjunkturabhängig ist – wie bei Lebensmittelanbietern und -händlern oder anderen Konsumgüterherstellern. Da einer der beiden Geschäftsbereiche von Henkel „Consumer Brands“ heißt, liegt diese Folgerung auch nahe. Nur: Sie stimmt aus zwei Gründen nicht.
Zykliker mit Absatzproblemen
Zum einen macht Henkel mit dem zweiten Geschäftsbereich „Adhesive Technologies“ (Klebstoff-Technologien), dessen Produkte fast ausschließlich an Industrie und Handwerk geliefert werden (Ausnahmen sind Pritt und Pattex), mehr Umsatz wie mit den Verbrauchermarken (u.a. Persil, Perwoll, Somat, Vernel, Pril, Schwarzkopf).
Zum anderen sehen sich klassische Markenanbieter aus dem Konsumgüterbereich über nahezu alle Segmente hinweg (Getränke, Nahrung, Wasch- und Reinigungsmittel, Kosmetika oder Haushaltswaren) einer fast chronischen Absatzschwäche gegenüber, die weder durch Werbung oder Innovationen dauerhaft wieder angetrieben noch durch Preiserhöhungen ausgeglichen werden kann. Denn die Prämien, die inzwischen für Markenprodukte im Vergleich zu No-Name- und Handelsmarken gezahlt werden müssen, lassen immer mehr Konsumenten zu günstigeren Angeboten greifen. Henkel ist also mehr Industriezulieferer als Konsumgüterproduzent und die Aktie damit mehr „Zykliker“ als defensiver Wert.
Kursverlauf seit 2009 hatte drei Phasen
Der langfristige Kursverlauf der Vorzüge lässt sich in drei Phasen einteilen. Von Anfang 2009 bis Mitte 2017, also über acht Jahre lang, ging es fast nur aufwärts: von knapp 20 Euro auf das Rekordhoch von rund 129 Euro. Erst in der Endphase dieser Periode kam es zu größeren Ausschlägen in beide Richtungen, was typisch für einen auslaufenden Trend ist. Im Anschluss kam es zu einer Korrektur bis Mitte 2022 – in der zweiten Hälfte dieser Phase verstärkt durch die Corona-Krise – auf 57,50 Euro, gefolgt von einer Erholung bis März dieses Jahres auf über 87 Euro. Dann krachte der Kurs innerhalb eines Monats, u.a. wegen der Ankündigung von höheren US-Importzöllen durch Präsident Donald Trump, um ein Viertel auf 66 Euro ein. Seit diesem Kurssturz bewegen sich die Vorzüge in der engen Bandbreite zwischen 66 und 72 Euro.
Aus dem Kursverlauf in den vergangenen Jahren lässt sich ersehen, dass die Volatilität der Aktie in dieser Dekade nicht zuletzt durch die Krisen (z.B. Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Nahost-Konflikt, Trumps Zollpolitik) beträchtlich gestiegen ist. Doch die größeren Schwankungen lassen sich auch operativ erklären: Die Sparte Consumer Brands, also das Konsumgütergeschäft, befindet sich stärker denn je im Wettbewerb mit anderen Anbietern von Wasch- und Reinigungsmitteln sowie Kosmetikprodukten, und die Division Adhesive Technologies (Klebstoff-Technologien) wird durch die verbreitete Unsicherheit in Bezug auf die konjunkturelle, aber auch politische Entwicklung belastet. Diese Sachverhalte haben Auswirkungen auf die Aktienbewertung.
Familiendominanz missfällt
Der chronische Abschlag der im Dax enthaltenen Henkel-Vorzüge zur Peer Group hat sich in jüngerer Vergangenheit deutlich ausgeweitet. So liegt das erwartete Kurs-Gewinn-Verhältnis für 2025 auf Basis der von Bloomberg ermittelten Konsensschätzungen der Analysten bei 13. Die erwarteten KGVs von Beiersdorf, Procter & Gamble sowie Colgate-Palmolive liegen allesamt über 22. Der Discount hat im Wesentlichen zwei Ursachen: Zum einen missfällt insbesondere Investoren aus dem Ausland die Kombination aus den im Dax enthaltenen Vorzugsaktien des familiendominierten Konzerns und der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft auf Aktien, da beides die Mitspracherechte außenstehender Aktionäre beschränkt. Die überschaubare Dividendenrendite ist da kein Trost. Die Höhe der Ausschüttung wird seit Jahren von Aktionärsvertretern auf der Hauptversammlung als zu niedrig kritisiert. Zum anderen wird die Kombination aus Konsumgüteranbieter und Industriezulieferer kritisch gesehen; für solche Mischkonzerne gibt es ebenfalls einen Bewertungsabzug.
Bloomberg hat 23 Analystenmeinungen zu Henkel erfasst. Neun raten zum Kauf, 13 zum Halten, aber nur einer (Goldman Sachs) zum Verkauf der Vorzüge. Der Konsenswert von 3,7 besagt, dass das durchschnittliche Anlageurteil zwischen Neutral und Kaufen (mit Tendenz zu Letzterem) liegt. Für Colgate-Palmolive fällt das Urteil einen Tick besser aus, für P&G sowie Beiersdorf gibt es eine klarere Kaufempfehlung.
Keine Übernahmefantasie
Die Familie Henkel, die mit Simone Bagel-Trah an der Spitze von Aufsichtsrat und mächtigem Gesellschafterausschuss in fünfter Generation die Fäden in der Hand hält, besitzt mit fast 62% der Stammaktien eine komfortable Mehrheit. Über Querelen in dem weit verzweigten Clan, der mehr als 200 Mitglieder zählt, ist nichts bekannt. Zudem ist die Mehrheit im Konzern auf Jahre gesichert: Der Aktienbindungsvertrag der Familie kann erstmals 2033 gekündigt werden. Von Übernahmegerüchten wird die Henkel-Aktie also nicht beflügelt.
