Wall Street

Kleinanleger mischen US-Markt auf

Die Unruhe und die hohe Volatilität am US-Aktienmarkt halten an. Aktivistische Kleinanleger haben einen Hedgefonds, der auf Leerverkäufe gesetzt hatte, konzertiert angegriffen und in die Knie gezwungen.

Kleinanleger mischen US-Markt auf

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Die Aufregung an der Wall Street um die Attacke von gut organisierten Kleinanlegern der Gruppierung „Wallstreetbets“ gegen Hedgefonds, die hohe Gewinne durch Leerverkäufe erzielen wollen, und der Hype um die Gamestop-Aktie war auch am Donnerstag weiter zu spüren. Gamestop, die sich seit Anfang des Jahres um mehr als 1700% verteuerten, verzeichneten am Donnerstag im frühen Handel Verluste von 32%. Das Unternehmen, das Ende 2020 noch auf eine magere Börsenkapitalisierung von 1,3 Mrd. Dollar kam, ist nun nach wie vor mehr als 24 Mrd. Dollar wert – mehr als rund ein Drittel der Unternehmen des S&P 500.

Auch andere Aktien mit einem hohen Anteil von Short-Positionen zeigten weiterhin eine enorme Volatilität, so etwa AMC Entertainment Holdings, deren Kurs nach den starken Gewinnen der Vortage am Donnerstag im frühen Handel um 60% nachgab. Im bisherigen Jahresverlauf verzeichnet die Aktie einen Kursgewinn von rund 800%. Einzelhändler Bed Bath & Beyond sackte um 38% ab, National Beverage Corp. um fast 20%. Auch in anderen Teilen der Welt positionieren sich Privatanleger bei Titeln, die einen hohen Anteil von Short-Positionen aufweisen. So haben sich beispielsweise Varta, Evotec und die finnische Nokia im bisherigen Jahresverlauf bereits deutlich verteuert (vgl. Charts). In Tokio legten Rakuten um 7,5% zu und Pigeon um 6,9%. In Indien entfielen auf der Aktienhandelsplattform Stockal, auf der US-Titel gehandelt werden können, rund 15% des gesamten Volumens auf die Gamestop-Aktie. In Australien zog der Aktienkurs von GME Resources um 93% an. Der Nickelproduzent hat dasselbe Börsenkürzel wie Gamestop.

Druck auf die Investoren

In den USA sahen sich die aktivistischen Kleinanleger aber auch bereits erstem Druck ausgesetzt. Das einflussreiche „Wall Street Journal“ sprach von einem „Krieg“ zwischen Hedgefonds und Privatanlegern. Die Handelsapp Robinhood verbot ihren Nutzern den Kauf von Aktien wie Gamestop, ANC, Nokia und Blackberry. Die Social-Media-Plattform Discord, neben Reddit einer der Treffpunkte der Kleinanleger, schloss den Kanal von Wallstreetbets unter Verweis auf angebliche „hasserfüllte und diskriminierende Inhalte“. Die amerikanische Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) teilte mit, die Situation aktiv zu beobachten, nachdem die demokratische Senatorin Elizabeth Warren die SEC aufforderte, „aufzuwachen und ihren Job zu tun“. Die bekannte demokratische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez nahm sich hingegen die Hedgefonds vor, denen sie vorwarf, die Märkte als Spielcasino zu betrachten. Adena Friedman, CEO der US-Börse Nasdaq, forderte die Regulatoren auf, die Manipulationen durch Kleinanleger zu beenden.

Zuvor hatte die Nasdaq am Mittwoch den Aktienkurs von Gamestop mehrfach vom Handel ausgesetzt. Ein Hedgefondsmanager setzte im Gespräch mit dem Fachmagazin „Ins­titutional Investor“ die Kleinanleger mit gewalttätigen Trump-Anhängern gleich, indem er sagte, sie seien die   „Version   der   Aufständischen am Aktienmarkt“. Marktbeobachter rechneten damit, dass Wertpapieraufseher und Strafverfolgungsbehörden den Druck auf die organisierten Kleinanleger in den nächsten Tagen erheblich steigern werden, um so den bedrängten Hedgefonds zur Seite zu springen und Turbulenzen an der Wall Street zu verhindern. So führten Händler die deutlichen Verluste am amerikanischen Aktienmarkt vom Mittwoch auch darauf zurück, dass viele Hedgefonds ihre Engagements zurückfuhren.

In der Gruppierung Wallstreetbets haben sich informell rund zwei bis drei Millionen Privatanleger über Reddit zusammengeschlossen. Gründer Jaime Rogozinski vergleicht die Gruppierung mit der Protestbewegung Occupy Wall Street von vor zehn Jahren, betont aber, dass nun ein anderer Ansatz verfolgt werde: Anstatt die Finanzbranche zu bekämpfen, wende man nun ihre Methoden an.

Aufmerksamkeit gesichert

Der als Unternehmen im Niedergang befindliche Computerspiele-Einzelhändler Gamestop ist vielen heute aktiven Anlegern noch aus ihrer Jugendzeit gut in Erinnerung, was der Aktie die Aufmerksamkeit der Anleger gesichert hat. Der Hedgefonds Melvin Capital setzte unter anderem mit Put-Optionen auf den weiteren Niedergang der Aktie. Schon vor rund zwei Monaten wurde Wallstreetbets auf Melvin Capital aufmerksam, weil der Fonds die Positionen über die SEC veröffentlichen musste. Bereits ab Anfang Januar stieg der Kurs von Gamestop, bevor es dann ab dem 12. Januar steil nach oben ging. Ab dem 12. Januar nahm sich die Gruppierung auch andere Aktien vor, die Melvin Capital ge­shortet hatte. So befestigte sich National Beverage in kurzer Zeit um rund 70%, und auch für Bed Bath & Beyond ging es nach oben. Dies trieb Melvin fast in die Pleite. Zwei andere Hedgefonds, Citadel und Point72 Asset Management, mussten Melvin mit einer Finanzspritze von 2,75 Mrd. Dollar über Wasser halten. In den wenigen Handelstagen seit Jahresbeginn büßte Melvin rund 30% seiner Anlagen bzw. etwa 3,75 Mrd. Dollar ein.

Melvin Capital wird von Gabriel Plotkin geleitet, einem ehemaligen Portfoliomanager von SAC Capital, dem früheren Hedgefonds von Steve Cohen. Cohen führt nun Point72, der an der Rettungsaktion von Melvin teilnahm. Plotkin, ein Protegé von Cohen, galt bislang als eines der Wunderkinder der Branche. Inzwischen ist Melvin Capital bei Ga­mestop unter hohen Verlusten ausgestiegen, wie der Hedgefonds meldete. Auch andere Hedgefonds haben ihre Short-Positionen stark zurückgefahren. Dies gab beispielsweise der Manager Carson Block von dem Vehikel Muddy Waters bekannt.

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