Blick zurück in die dunkle Geschichte
Wer auf historischem Grund operiert, tut gut daran, die Geschichte im Gedächtnis zu behalten. Wer auf historisch heiklem Boden sitzt, muss sich dabei besonders anstrengen. Das Bundesfinanzministerium in Berlin ist in einer solchen Lage. Den trutzigen Bürokomplex errichteten in den dreißiger Jahren die Nationalsozialisten als Reichsluftfahrtministerium. Hermann Göring waltete dort als Hausherr, wo seit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin 1999 zunächst Hans Eichel (SPD) und dann Peer Steinbrück (SPD) die Amtsgeschäfte führten. Seit 2009 ist es Wolfgang Schäuble (CDU) – mit viel Sinn für geschichtsträchtige Momente. *Aber auch in den langen Jahren dazwischen war das Haus häufig in der Rolle eines historischen Brennpunkts. Besonders geschützt durch eine Flak-Abwehr auf dem Dach, überstand es relativ unbeschadet die Bombenangriffe während des Zweiten Weltkriegs auf Berlin und diente der sowjetischen Militäradministration bis 1948 als Hauptquartier. Ein Jahr früher wurde dort die Deutsche Wirtschaftskommission gegründet – die zentrale Verwaltungsorganisation für die sowjetische Besatzungszone.Auch am 7. Oktober 1949, dem Gründungstag der DDR, stand das Gebäude im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Deutsche Volksrat, eine Art Ersatzparlament der sowjetischen Besatzungszone, erklärte sich zur provisorischen Volkskammer und setzte die Verfassung der DDR in Kraft. Deutschland war damit geteilt. Nachdem die Volkskammer ein eigenes Gebäude bezog, wurde das Haus mit den 2 100 Räumen und mehr als 6,8 Kilometer langen Fluren zum Sitz verschiedener Ministerien. Als “Haus der Ministerien” der DDR war es Zielpunkt der Demonstration der Bauarbeiter im Sommer 1953, die sich am 17. Juni zu einem explosiven Volksaufstand ausweitete.Nach dem Fall der Mauer zog die Treuhandanstalt dort ein – gegründet, um die volkseigenen Kombinate und Betriebe der DDR auf dem Weg in die Marktwirtschaft zu begleiten, zu transformieren und zu privatisieren. Nach der Ermordung des ersten Präsidenten der Treuhandanstalt trägt das Gebäude heute dessen Namen: Detlev-Rohwedder-Haus. *Zu den besonders traurigen Momenten in der Geschichte des Hauses gehört zweifellos der 12. November 1938. Göring hatte eine Konferenz angeordnet. Die November-Pogrome gegenüber den jüdischen Bürgern lagen nur wenige Tage zurück. In dieser Konferenz stellten die Nationalsozialisten die Weichen, um den jüdischen Teil der Bevölkerung auszuplündern und wirtschaftlich auszugrenzen. Mit einer Gedenkveranstaltung erinnert das Bundesfinanzministerium an diesem 12. November zum 75. Jahrestag an das dunkle Kapitel deutscher Geschichte. Tagungsort der damals Verantwortlichen war der “kleine Sitzungssaal”, der heute den Namen “Eurosaal” trägt. Wolfgang Schäuble wird als Hausherr dort sprechen und der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Salomon Korn. Verlesen werden Auszüge aus dem Protokoll der Konferenz von 1938. *Die zentrale Rede hält der Geschichtswissenschaftler Patrick Wagner von der Universität Halle. Er ist auch Vorsitzender der 2009 eingesetzten Historikerkommission, die die Geschichte des “Reichsfinanzministeriums im Nationalsozialismus” erforscht. Der erste Band zu den Forschungsergebnissen ist Anfang Juni erschienen. Auch andere Häuser haben Historikerkommissionen eingesetzt, so in diesem Frühjahr das Bundesarbeits- und -sozialministerium, das seinen Sitz im früheren Reichpropagandaministerium von Joseph Goebbels hat. Auch das Bundeswirtschaftsministerium, im ehemaligen preußischen Militärkrankenhaus beheimatet, und das Bundesjustizministerium lassen ihre Vergangenheit während der Nazi-Diktatur untersuchen. Das Auswärtige Amt hatte einen abschließenden Bericht bereits im Herbst 2010 vorgelegt. Doch es hatte erst des Umzugs der Bundesregierung nach Berlin bedurft, damit auch die Ministerien einen tiefen Blick zurück in ihre Geschichte werfen.