Brasilien

Bolsonaro auf Trumps Spuren

Mit der Präsidentschaftswahl am Horizont und einem mächtigen Konkurrenten im Nacken intensiviert Brasiliens Präsident Angriffe auf das Wahlsystem. Dem Militär kommt Schlüsselrolle zu.

Bolsonaro auf Trumps Spuren

Von Andreas Fink, Buenos Aires

Vor einigen Tagen bekam Brasiliens Hauptstadt vorgeführt, wie sich die 15 Monate bis zur Präsidentschaftswahl im Oktober 2022 gestalten können. Im Gebäude des Nationalkongresses debattierten die Abgeordneten über eine Reform des Wahlrechts, obwohl dieses weithin als eines der sichersten und effizientesten der Welt angesehen wird. Und vor dem Parlamentsgebäude fuhren Panzer auf. Auch wenn die Militärführung die Kombination aus Militärparade und Abstimmung als „Zufall“ erklärte, empfanden viele Brasilianer sie als deutliche Drohgebärde.

Seit Monaten versucht Präsident Jair Bolsonaro, eine Begründung zu erfinden, um eine mögliche Wahlniederlage nicht anzuerkennen. Dabei kopiert er Donald Trump. Wie der vormalige US-Präsident kritisiert er das Wahlrecht. Über seine Kanäle in den sozialen Medien verbreitet Brasiliens Staatschef die Behauptung, das seit den späten 1990er Jahren angewandte elektronische Wahlsystem sei anfällig für Betrug. Und dass dieser wiederum zu Bolsonaros Lasten gehen werde. Auch wenn der Staatschef bislang jegliche Beweise für diese Behauptungen schuldig geblieben ist, brachten bolsonaroaffine Parlamentarier am 10. August den Vorschlag ins Parlament, zusätzlich zu den elektronischen Wahlmaschinen wieder gedruckte Stimmzettel in den Wahllokalen auszulegen. Die Initiative erreichte dort nur eine einfache Mehrheit und blieb deutlich unter der erforderlichen Zustimmung von zwei Dritteln der Abgeordneten, obwohl draußen die Panzer rollten.

Dieser Aufmarsch verstärkte die Befürchtung, dass Bolsonaro versucht, sich die unbeschränkte Rückendeckung der Uniformierten zu sichern, was Donald Trump ja nicht vermocht hatte. Vergangenen Freitag behauptete Bolsonaro vor einer Gruppe frisch beförderter Generäle, dass die Streitkräfte verfassungsmäßig befugt seien, in unruhigen Zeiten als „moderierende Kraft“ zu wirken. Am nächsten Tag kündigte er an, zwei Richter des Obersten Gerichtshofs anklagen zu wollen, die seinen Angriffen auf das Wahlsystem deutlich widersprochen und Ermittlungen gegen den Staatschef eingeleitet hatten. Am Samstag verbreitete er wiederum eine Botschaft über den Dienst Whatsapp, in der zu einem „Gegenputsch“ gegen die brasilianische Justiz sowie zu Massendemonstrationen am 7. September aufgerufen wird, das ist Brasiliens Nationalfeiertag.

Mächtiger Herausforderer

Bolsonaros Angriffe auf das Wahlsystem nahmen stetig zu, seit er in den Umfragen zurückfiel. Nachdem der oberste Gerichtshof im Februar massive Verfahrensfehler im Korruptionsverfahren gegen Luiz Ignácio Lula da Silva  konstatierte und dem linken Ex-Präsidenten sämtliche politischen Rechte zurückgab, erwuchs Bolsonaro ein mächtiger Herausforderer. Lulas Zustimmungswerte stiegen zudem kontinuierlich, während die Sympathie für Bolsonaro sukzessive absackte. Seit April deckt ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss schrittweise Fehler, Unterlassungen und auch Korruption im Rahmen der desaströsen Pandemie-Bekämpfung auf. Mehr als 600000 Brasilianer erlagen den Folgen einer Corona-Infektion. Ein koordiniertes Impfprogramm war schwerfällig in Fahrt gekommen. Gleichzeitig traf sich Lula, der 2010 mit fast 90% Zustimmung aus dem Amt geschieden war, mit Spitzenvertretern aus dem Mitte-rechts-Lager und der Industrie. Dort scheint der einstige Gewerkschaftler Bereitschaft vorgefunden zu haben, auf eigene Kandidaten zu verzichten und ihn zu unterstützen gegen Bolsonaro und dessen autoritäre Avancen.

Welches Ausmaß dessen Kampagne noch annehmen kann, ist Gegenstand vieler Leitartikel. Einerseits herrscht die Überzeugung, dass Brasiliens Streitkräfte, deren Prestige in den zurückliegenden Jahrzehnten stetig gewachsen ist und heute deutlich über jenem der Politik liegt, nicht für einen Putsch bereitstehen werden. Andererseits warnen viele Experten vor anderen bewaffneten Gruppen, etwa den vielen Polizeieinheiten sowie dem Heer der privaten Sicherheitskräfte. In diesen Sektoren gibt es viele glühende Anhänger von Bolsonaros testosteronschwangerem Weltbild voller Waffen, weißer Übermacht und weiblicher Unterwürfigkeit. Viele Experten weisen darauf hin, dass trotz schwindender Popularität immer noch ein Viertel der Bevölkerung Bolsonaro trotz aller Skandale und Schwierigkeiten fest die Treue hält.

Die Furcht vor diesem fanatisierten Anhang, vor Bolsonaros Zündeln und gewiss auch vor institutionellen Defiziten lassen Anleger mit erheblicher Vorsicht nach Brasilien blicken.

Zinserhöhungen verpuffen

Angesichts des chaotischen Klimas könnte etwa der Effekt der ungewöhnlich aggressiven Geldpolitik der Zentralbank verpuffen. Anfang des Monats hatte die Notenbank den Leitzins Selic um 1 Prozentpunkt angehoben, es war die steilste Zinserhöhung seit fast zwei Jahrzehnten. Doch deren Entlastungseffekt auf die Landeswährung hielt nur kurz an.

Weil Bolsonaro nun auch eine massive Aufstockung der Sozialprogramme versprochen hat, um sein Pandemie-bedingtes Popularitätstief auszugleichen, fürchten Anleger, dass Brasilien erneut zu viel Geld ausgeben könnte. Die Währung hat seit der Zinserhöhung vom 4. August an Wert verloren, von knapp 5,20 auf fast 5,40 pro Dollar. Ohne die politischen Turbulenzen würde der Real längst für unter 5 pro Dollar gehandelt, glaubt etwa der ehemalige Zentralbankdirektor Tony Volpon, heute als Anlagestratege bei der Firma Wealth High Governance tätig.

Bolsonaros Brandrhetorik er­schwert es der Zentralbank, die Inflationserwartungen zu kontrollieren. Zentralbankpräsident Roberto Campos Neto bekannte kürzlich, es sei schwierig, die Inflationserwartungen zu verankern. Die Märkte seien zudem besorgt über den Schuldenstand, der schon vor der Pandemie bei mehr als 70% der Gesamtwirtschaftsleistung lag. Die meisten Analysten sehen die Verbraucherpreise zum Jahresende bei 7,05% und damit weit entfernt vom Ziel 3,75%. Noch besorgniserregender: Auch 2022 sehen sie die Inflation deutlich über dem Zielwert.