Strategieschwenk

Chinas Weg aus der „Middle Income Trap“

Mit neuer Strategie will sich China unabhängiger vom Ausland machen. Das Modell der dualen Kreisläufe spielt eine Schlüsselrolle, um einem unter Schwellenländern verbreiteten Phänomen zu entkommen.

Chinas Weg aus der „Middle Income Trap“

China hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten versucht, seine Abhängigkeit von der Auslandsnachfrage zu verringern und gleichzeitig in der Wertschöpfungskette aufzusteigen. Diese Entwicklung ist ein Teil des kontinuierlichen Übergangs von einem export- und investitionsgesteuerten Wachstumsmodell zu einem Konzept, bei dem die Inlandsnachfrage und der Konsum eine größere Rolle spielen.

Mit der Strategie der dualen Kreisläufe zielt die Volksrepublik darauf ab, eine Selbstversorgung zu erreichen, die durch Importsubstitution und Ausweitung der Binnennachfrage gefördert wird. Dabei soll ein größeres Gewicht auf das Wachstum der heimischen Wirtschaft gelegt (interner Kreislauf) und gleichzeitig die ökonomische Abhängigkeit vom Rest der Welt durch internationale Handels- und Investitionsströme reduziert werden (externer Kreislauf).

Die Strategie der dualen Kreisläufe wird gleichzeitig eine Schlüsselrolle einnehmen, der „Middle Income Trap“ zu entkommen. Dieses Phänomen wird typischerweise beobachtet, wenn ein Land aufgrund steigender Löhne seinen Wettbewerbsvorteil bei Exporten verliert, aber nicht in der Lage ist, mit höher entwickelten Ländern in Märkten mit höherer Wertschöpfung mitzuhalten. Schwellenländer wie Südafrika und Brasilien sind Beispiele für Staaten, die seit Jahrzehnten im Bereich des „mittleren Einkommens“ feststecken, gemessen an der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Kopf. Um dieser Falle zu entkommen, muss ein Land typischerweise neue Märkte finden, um das Exportwachstum aufrechtzuerhalten. Oder es muss die Inlandsnachfrage steigern, um die Kaufkraft zu erhöhen und auf diese Weise qualitativ hochwertigere innovative Produkte zu kaufen, die das Wachstum antreiben.

Eingeführt wurde das Konzept der dualen Kreisläufe erstmals von Präsident Xi Jinping anlässlich einer Politbüro-Sitzung am 14. Mai 2020. Seitdem ist es zu einer offiziellen nationalen Strategie geworden, die häufig in wichtigen politischen Reden auftaucht und im Hauptfokus des 14. Fünfjahresplans steht, der die Jahre 2021 bis 2025 abdeckt.

China entwickelt seitdem High-End-Fertigungskapazitäten und schafft Anreize, um Kapital in diese Bereiche zu lenken. Das Land ist für einen Großteil seines Nahrungsmittel- und Energiebedarfs auf externe Quellen angewiesen, hat aber noch Spielraum für eine Steigerung der inländischen Produktion. Im Energiebereich ist China in vielen Bereichen der Wertschöpfungskette für erneuerbare Energien bereits weltweit führend und wird weiterhin Investitionen in diesem Bereich fördern. Im Bereich Nahrungsmittel wird China versuchen, die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche des Landes zu vergrößern, und hat sich zum Ziel gesetzt, in den kommenden Jahren zusätzliches Ackerland zu schaffen.

Dennoch hat Peking durch mehrere Maßnahmen versucht, nicht den Eindruck zu erzeugen, dass die Volksrepublik im Rahmen dieser Strategie der Welt den Rücken kehre. So öffnete das Land Schlüsselsektoren für ausländische Konkurrenz und Investitionen und unterzeichnete das Freihandelsabkommen zwischen den zehn Asean-Mitgliedstaaten und fünf weiteren Ländern in der Region Asien-Pazifik (RCEP).

Obwohl der Slogan „Made in China 2025“ in der offiziellen Kommunikation aufgrund negativer internationaler Resonanz in letzter Zeit weniger betont wurde, bleibt es ein nationaler Plan für das Wachstum strategischer und hochtechnologischer Schlüsselsektoren, um Chinas Abhängigkeit von Importen zu reduzieren. Er ist somit eng mit dem Konzept der dualen Kreisläufe verbunden. Peking hat eine Reihe von Schlüsselsektoren identifiziert: elektrische Geräte, landwirtschaftliche Maschinen, neue Materialien, Fahrzeuge mit erneuerbarer Energie, Werkzeugmaschinen mit numerischer Steuerung und Robotik, Informationstechnologie, Luft- und Raumfahrtausrüstung, Eisenbahnausrüstung, Meerestechnik, High-End-Seefahrzeuge und medizinische Geräte. China versucht auch, den Zugang für Start-ups an der Börse in Shenzhen zu verbessern, während diejenigen Tech-Unternehmen, die in Übersee notiert sind oder noch notieren müssen, ermutigt werden, dies in Hongkong oder im Inland zu tun.

Risiko Fehlallokation

Theoretisch sollte die Strategie der dualen Kreisläufe gut zu den wirtschaftlichen Fundamentaldaten Chinas passen und die mittelfristigen Wachstumsperspektiven begünstigen. Allerdings bestehen weiterhin Risiken bei der Umsetzung der Maßnahmen. Die Importsubstitution bei den genannten Produkten könnte kurzfristig inflationär wirken. Es besteht zudem das Risiko einer weiteren Ausrichtung nach innen, was letztlich die potenzielle Wachstumsrate beeinträchtigen könnte. Dabei bleibt die effiziente Allokation von Ressourcen innerhalb der Schlüsselsektoren eine Herausforderung. Die negativen Nebenwirkungen früherer Wachstumsmodelle sind nur allzu offensichtlich: Sie manifestierten sich in hoch verschuldeten Lokal­regierungen und dem Vorhandensein ineffizienter „Zombie“-Staatsbetriebe.