Der Bolívar zum Tanken und Flechten
Bezahlen war in Venezuela noch nie eine sonderlich zügige Angelegenheit, was an einer gewissen tropischen Trägheit ebenso liegt wie an der Vorschrift, dass jeder Kunde bei jedem Kauf seine Steuernummer angeben muss. Nun hat sich der Prozess noch deutlich verlangsamt. Denn die Kassen streiken. Weil die Preise wesentlich schneller steigen als die von den Finanzbehörden festgesetzten Maximalumsätze vieler Geschäfte, blockieren ständig die Registrierkassen. Vielen Händlern bleibt nichts anderes übrig, als Rechnungen von Hand zu schreiben. Und das dauert eben etwas.In der Menschheitsgeschichte hat es sich ja als durchaus hilfreich erwiesen, quantitative Prozesse in Form von Zahlen auszudrücken. Die ganze Welt hält sich an dieses Konzept. Die ganze Welt? Nein! Eine unbeugsame Regierung am Karibikstrand widersteht standhaft der Statistik. Seit Jahren vermeldet die Führung von Venezuela nicht mehr, wie viele Menschen in ihrem Land umgebracht werden, wie viele hungern und wie viele keine Arbeit finden. Vor allem verweigert sie die Veröffentlichung von Inflationsstatistiken und bewirkt damit nicht viel mehr, als dass jeder sich seine eigene Teuerungsrate errechnet. Der Internationale Währungsfonds vollbrachte im April das Kunststück, für dieses Jahr 13 000 % zu schätzen, so aus dem Handgelenk, ohne eine einzige belastbare Angabe. Steve Hanke, ein Wirtschaftsprofessor aus Washington, der seit zwei Jahrzehnten Preise in Venezuela beobachtet, vermeldete kürzlich, dass bereits die 40 000-Prozent-Marke überschritten wurde. Bloomberg sekundierte mit dem “café con leche index”. Eine Tasse des Heißgetränks sei während der letzten zwölf Monate um 43 378 % teurer geworden. Sie kostet nun eine Million Bolívares, eine runde Summe eben. Dass mit so vielen Nullen kein Staat zu machen ist, erkannte nun selbst die Führung im Palacio Miraflores und verkündete im März, die Landeswährung um drei Dezimalstellen abzuspecken. Aus dem allein dem Namen nach starken “Bolívar fuerte” soll nun der “souveräne Bolívar” werden, mit neuen Geldscheinen, gestückelt in 2, 5, 10, 20, 50, 100, 200 und 500. Wenn die neuen Scheine wirklich im August in die Geldautomaten kommen, dürfte ein Milchkaffee also zwei Scheine der höchsten Notierung verschlingen. Falls denn der Muntermacher gleich teuer bliebe. Doch damit ist nicht zu rechnen, denn in Venezuelas Hyperinflation gibt es nur einen Preis, der feststeht: Super-Benzin 95 Oktan kostet seit 2015 exakt 6 Bolívares pro Liter. Für den Gegenwert eines Milchkaffees könnte man also etwa 3 000-mal volltanken. Tankwarte gehören tatsächlich zu den letzten Händlern, welche die viel zu klein gewordenen alten Bolívares-Scheine noch annehmen. Der Rest taugt nur noch für besonders Kreative, die aus dem “starken Bolívar” Handtaschen flechten, zu kaufen in der kolumbianischen Grenzstadt Cucutá. Es ist also anzunehmen, dass die neuen Geldscheine schneller entwertet als ausgegeben werden, weshalb noch mehr Zahlungen elektronisch abgewickelt werden dürften. Wenn denn die Registrierkassen mitmachen.