Die Demografie nagt an Deutschlands Bonität
Die Demografie nagt an Deutschlands Bonität
Die Demografie nagt an Deutschlands Bonität
Die öffentlichen Ausgaben für die gesetzliche Altersvorsorge setzen die Staatshaushalte unter Druck – Problemfall Bundesregierung
Die Verschleppung von Reformen der Alterssicherung erweist sich zunehmend als Sprengsatz für die Budgets der Länder – und ihrer Bonität. Ratingagenturen warnen vor sukzessiven Herabstufungen und infolgedessen steigenden Zinsen. Das verschlimmert die Lage der ohnehin strapazierten Haushalte noch mehr.
lz Frankfurt
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Die anstehende Entscheidung zum Rentenpaket der Bundesregierung, bei der eine Reihe junger Unionsabgeordneter ihre Zustimmung verweigern will, wird auch von Marktteilnehmern kritisch verfolgt. Ein möglicher Regierungsbruch könne Renten- und Aktienmärkte belasten, warnt der Chefökonom von HQ Trust, Michael Heise. Und Martin Moryson, Chefökonom bei DWS, sagt in diesem Fall eine deutliche Eintrübung der Wachstumsaussichten voraus – mit entsprechenden Reaktionen auf dem Aktien- und Anleihemarkt.
Beide Volkswirte stehen dem Rentenpaket aber ebenfalls kritisch gegenüber und würden eine Ablehnung ökonomisch durchaus gutheißen, sofern die Regierung nicht daran zerbricht. Zuletzt hatten 22 Top-Ökonomen in einem Aufruf einen Stopp des Gesetzesvorhabens gefordert, weil die aktuellen Pläne fiskalisch nicht nachhaltig seien und die demografisch bedingten Strukturprobleme des Rentensystems eher noch weiter verschärft und jüngere Beitragszahler schlussendlich übermäßig belastet würden.
„Haltelinie“ provoziert
Die Bedeutung der aktuellen Rentendebatte geht also weit über das konkrete Vorhaben hinaus. Denn das gesetzliche Umlagesystem droht aufgrund von immer mehr Rentnern und immer weniger Beitragszahler zu zerbrechen, weil seit Jahren stabilisierende Reformen verschleppt wurden. Insofern wirkt auch das Versprechen einer künftigen Rentenreform, wie jetzt die Bundesregierung ihre Abweichler auf Kurs bringen will, für die meisten wenig glaubwürdig.
Herabstufung droht
Die demografisch bedingten Kosten hätten eigentlich frühzeitig adressiert und langfristig abgemildert werden sollen, warnen Ratingagenturen und zeigen sich diesbezüglich immer ungeduldiger. Scope etwa hält die Alterung der Gesellschaft sowie deren Auswirkungen auf die Staatsfinanzen und das Wirtschaftswachstum für „eine der wichtigsten Herausforderungen für Deutschlands AAA/Stabil-Rating“ überhaupt. Was meint: Kriegt die Politik die Probleme nicht in den Griff, welche die Staatsfinanzen auszehren, den fiskalischen Bewegungsspielraum immer weiter einengen und die Steuerbasis verkleinern, droht die Herabstufung.

Auch Standard & Poor’s warnt vor den immer höheren öffentlichen alterungsbedingten Ausgaben: Vielen Staaten geht es ähnlich wie Deutschland, aber das Umlageprinzip hierzulande ist mehr als anderswo Dreh- und Angelpunkt der Alterssicherung. Insgesamt müssen die Staaten immer mehr für Alterssicherung, Gesundheit und Pflege ausgeben. Ohne jegliche Reformen würden die Budgetdefizite im Schnitt um knapp 6 Prozentpunkte zulegen und die durchschnittliche Staatsverschuldung von bislang rund 50% des BIP auf über 80% steigen. Länder wie Frankreich, Italien und auch Deutschland wären besonders stark betroffen, warnten die Ratinganalysten in einem Webinar.
Triple-A-Gruppe schrumpft
Die Folgen: Statt bisher neun Triple-A-Länder mit bester Bonität dürfte es nach 2050 nur noch ein Staat sein. Für alle anderen bedeutet dies: höhere Zinsen, noch mehr Budgetbelastungen und womöglich noch höhere Defizite. Kurz: Es droht eine Ratingkaskade.
Scope hält die Entwicklung auch unter einem anderen Blickwinkel für gefährlich: Zwar wären die Lohnnebenkosten vom aktuellen Gesetzesvorhaben nicht direkt betroffen, da dessen Kosten durch den Bundeshaushalt getragen würden, schreibt Scope-Analyst Julian Zimmermann. Der Beitragssatz werde aber ohnehin steigen von aktuell 18,6% auf 19,8% im Jahr 2028 und auf 20% ab 2029. Dies „erhöht die Lohnnebenkosten und belastet die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen“.
Letzter Ausweg Steuererhöhung
Der Wirtschaftsweise Martin Werding geht fiskalisch noch weiter: Höhere Sozialbeiträge verringern die Nettoeinkommen, aber auch das Steueraufkommen. Das beschleunigt den fiskalischen Auszehrungsprozess. Und wenn Staaten aufgrund der Skepsis im Finanzmarkt sich nicht weiter verschulden können/wollen, bleiben nur noch Steuererhöhungen. Und das schlägt wiederum auf die aktuellen Beitragszahler durch. Die heute jungen Menschen und nachfolgende Generationen sind also dreifach getroffen: niedrige Renten, hohe Beiträge und steigende Steuern.
