Kapitalmarktschwäche bremst Deutschland beim Investitionswettlauf aus
Kapitalmarktschwäche bremst Deutschland beim Investitionswettlauf aus
Ökonomen fordern Kapitaldeckung bei Sozialversicherungen – OECD kritisiert sinkende Wettbewerbsintensität durch „Superstar-Konzerne“
lz Frankfurt
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Die Industrieländerorganisation OECD konstatiert einen massiven Schwund an Investitionsaktivitäten in der westlichen Welt. Hatten Unternehmen Ende des vergangenen Jahrhunderts noch bis zu 5% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) netto in die Modernisierung oder Ausweitung ihrer Anlagen und Produktion gesteckt, sind es inzwischen nur noch unter 2%. Die realen Investitionen der fortgeschrittenen Volkswirtschaften, so OECD-Ökonomin Isabell Koske in einer Diskussionsrunde, lägen zudem nach wie vor „weit unter den Trends vor der globalen Finanzkrise und vor der Pandemie“.
Irritierend ist dabei, dass die ökonomischen Rahmenbedingungen eigentlich für höhere Zukunftsaufwendungen sprechen: Die Kapitalnutzungsquoten sind niedrig, die Kassenbestände hoch, und immer mehr Geld wird an die Aktionäre ausgeschüttet oder für Firmenkäufe aufgewendet, weniger, um in den Kapitalstock der Unternehmen selber zu investieren.
Schwache Nachfrage
Der Hauptgrund ist grundsätzlich die schwache Nachfrage, welche die OECD zu einem 30-Prozent-Anteil dafür verantwortlich macht. Dies ist auch der enorm hohen politischen Unsicherheit geschuldet, welche die Planbarkeit von Investitionen erschwert. Zumal nach Finanzkrise, Pandemie, Ukraine-Krieg, Energiekosteninflation und Lieferkettenproblemen nun auch noch die US-Zollpolitik für neuerliche Irritationen sorgt. Und „Unsicherheit“, so Jörg Rocholl, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums, sei „noch problematischer als reines Risiko, weil man keine Wahrscheinlichkeiten festlegen kann“.
Aber es kommen noch weitere – zum Teil hausgemachte – Faktoren hinzu: Die Investitionsmuster und die Art der Finanzierung hat sich grundlegend verändert. Es steht nicht mehr die Fremdkapitalfinanzierung im Vordergrund, sondern die Eigenkapitalfinanzierung. Private und institutionelle „Investoren“ spielten eine immer größere Rolle, konstatiert die OECD. Hierbei kann Deutschland nicht punkten, weil es an der nötigen Tiefe des europäischen Kapitalmarkts fehlt, aber auch an eigenen Kapitalsammelstellen, um neuen Unternehmen oder besonders großen Vorhaben mit Beteiligungskapital beizuspringen. Es bleibt oft nur der Staat.
Kapitaldeckung der Rente
Rocholl fordert daher politische Impulse, um das Anlageverhalten in Deutschland zu verändern – etwa über eine kapitalgedeckte Komponente im Rentensystem. Dann stünden mehr Finanzierungsmittel zur Verfügung. Längst hätte man die Rürup- oder Riesterrente diesbezüglich modernisieren und öffnen müssen in Richtung weniger restriktiver Anlagevorschriften.

Mehr aus dem Kapitalmarkt gespeiste Investitionsmittel wären auch vor dem Hintergrund von Veränderungen in den globalen Investitionsstrukturen wichtig. Immer mehr Geld fließt in die digitale und wissensbasierte Wirtschaft, weniger in etablierte Sektoren. Gerade bei diesem Trend hinken die Europäer den USA deutlich hinterher. Vor allem die großen Tech-Konzerne geben hier den Ton angeben.
Oligopolistische Superstar-Konzerne
Das ist nach Ansicht der OECD letztlich auch ein Problem für die globale Wirtschaft, weil es sich dabei meist um Oligopole handelt, die ihre enormen Finanzmittel auch einsetzten, um anderen Unternehmen das Wasser abzugraben oder erfolgreiche Ideen vom Markt wegzukaufen. Allein die Investitionen von Amazon seien mit 80 Mrd. Dollar höher als die F&E-Aufwendungen ganz Frankreichs, illustriert Rocholl.
Die schiere Größenordnung dieser „Superstar-Konzerne“ droht dabei zum Problem für die globale Wirtschaft zu werden, weil ihre Machtkonzentration zunimmt und sie durch ihr Verhalten die Wettbewerbsintensität vermindern und Märkte auf sich zuschneiden können. Zudem breiten sich die digitalen Oligopole immer weiter in andere Sektoren aus und manifestieren ihre Produkte in fremden Sektoren. Folge: Statt in Produktionsausweitung zu investieren, setzen die Konzerne oft auf Preissteigerungen, wobei diese selbstredend mit Qualitätsverbesserungen erklärt werden. Die bisherigen Eingriffe der Kartellbehörden hält die OECD inzwischen für zu zaghaft.
Europa endlich „wachrütteln“
Volker Treier, Chefvolkswirt der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), rät Europa daher zu einem selbstbestimmteren Auftreten gegenüber diesen Konzernen. Viel zu wenig würde man den Europäischen Binnenmarkt in die Waagschale werfen, und zu unbestimmt würde man ihn in Stellung bringen, wenn es darum geht, der Macht von Oligopolen Einhalt zu gebieten.
Spätestens jetzt sollte eigentlich allen klar sein, so der Ökonom, dass Europa und Deutschland alles tun müssten, um den Binnenmarkt zu stärken und weiter auszubauen – vor allem bei den Dienstleistungen. Treier: „Wir in Deutschland sollten Europa endlich ernst nehmen und wachrütteln!“
Viel zu lange habe die Politik in den vergangenen Jahren auch den heimischen Standort vernachlässigt, beklagt Treier. Ohne Modernisierung und mehr Produktivität sei man nicht mehr wettbewerbsfähig. Mit den zugesagten öffentlichen Investitionen würden zwar die Infrastrukturgrundlage und damit auch die Investitionsbedingungen verbessert. Doch damit die Ausrüstungs- und Bauinvestitionen wieder anziehen, braucht es mehr: insgesamt bessere Rahmenbedingungen und eine investitionsfreundliche Schwerpunktsetzung insgesamt. Hier setze er die Hoffnung auf die neue Bundesregierung, die angesichts der Lage gezwungen sei zu liefern.