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Polen ernennt überraschend ING-Ökonomen zum Finanzminister

Von Sebastian Becker, Warschau Börsen-Zeitung, 21.11.2013 Der polnische Premier Donald Tusk hat gestern überraschend den 38-jährigen Ökonomen Mateusz Szczurek zum neuen Finanzminister gemacht. Eine grundlegend neue Finanzpolitik kann man von ihm...

Polen ernennt überraschend ING-Ökonomen zum Finanzminister

Von Sebastian Becker, WarschauDer polnische Premier Donald Tusk hat gestern überraschend den 38-jährigen Ökonomen Mateusz Szczurek zum neuen Finanzminister gemacht. Eine grundlegend neue Finanzpolitik kann man von ihm allerdings nicht erwarten. Polen, das größte östliche EU-Land, steht vor einer Zäsur. Tusk stellte den erstaunten Journalisten in Warschau seinen neuen Finanzminister vor. Der Chefökonom der ING Bank für Ost- und Mitteleuropa Szczurek wird von der kommenden Woche an die Verantwortung für das Finanzministerium übernehmen. “Ich freue mich, dass zu uns einer der fähigsten polnischen Ökonomen gestoßen ist”, lobte Tusk.Diese Inthronisierung steht im Zusammenhang mit der Kabinettsumbildung, die Tusk für die laufende Woche angekündigt hatte. Denn die Umfragewerte seiner Regierungspartei sind derzeit im Keller. Ein Grund: In Polen verflachen sich seit Jahresanfang die wirtschaftlichen Wachstumskurven. Zuletzt gab es zwar im dritten Quartal wieder ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt von 1,9 %. Die Stimmung bleibt insgesamt aber angespannt.Dabei kam auch der bisherige Finanzminister Jacek Rostowski, der insgesamt sechs Jahre amtierte, immer mehr unter Beschuss. Unter seiner Führung musste die Regierung das Haushaltsdefizit im laufenden Jahr um 3,8 Mrd. auf 12,3 Mrd. Euro nach oben anpassen: ein negativer Rekord. Auch stieß Tusk sauer auf, dass Rostowski Anfang September im Eiltempo den Umbau des Rentensystems vorangetrieben hatte, mit dem niemand in Polen jedoch glücklich ist. GenerationenwechselDeswegen war zwar schon seit Monaten klar, dass es zu einer Neubesetzung des Finanzressorts kommen würde. Aber diese Personalie ist nun doch eine Überraschung. Niemand hatte Szczurek als möglichen Rostowski-Nachfolger auf seiner Rechnung. Dabei stach er den EU-Haushaltskommissar Janusz Lewandowski und den Ex-Premier Jan Krzystof Bielecki aus, die auf der Liste möglicher Kandidaten ganz oben gehandelt wurden. Der neue Finanzminister, der mit seiner Amtsübernahme einen Generationenwechsel einleitet, dürfte wahrscheinlich selbst überrascht gewesen sein.Szczureks fachliche Qualifikation ist jedenfalls unstrittig. 1997 hat er an der Universität in Sussex seinen Magister geschrieben, 2005 folgte dann an derselben Hochschule seine Promotion. Seit 2011 agierte der Pole als Chefökonom bei der ING Bank für Ost- und Mitteleuropa. Darüber hinaus dürfte der Ökonom in Frankfurter Wissenschaftskreisen nicht unbekannt sein. Denn er hat zwischenzeitlich bei der Goethe Business School als Dozent gearbeitet.”Meine ersten Ziele werden sein, das Wachstum beizubehalten und mich um den Haushalt zu kümmern”, erklärte Szczurek lakonisch. Er hatte offenbar gar keine Zeit, um noch konkretere Pläne zu machen. Zur Euro-Einführung äußerte er sich auch nicht, weil das Thema für das Land nicht aktuell ist. Es erfüllt die Maastricht-Kriterien nicht und außerdem blockiert die Opposition im Parlament sämtliche Projekte, die dafür nötig wären. Bei diesem Wechsel an der Spitze des Finanzressorts ist wichtig, dass Szczurek kein Parteipolitiker ist, der Tusk politisch gefährlich werden könnte – anders als Rostowski, der gerade im Westen wegen seiner Politik während der Finanzkrise hohe Anerkennung genießt. Der Premier, der zuletzt immer mehr unter Beschuss stand, hat somit seine Macht weiter ausgebaut. Und darum ging es hauptsächlich bei dieser Personalie. Finanzpolitisch kann man somit erst einmal von Polen keine Revolutionen erwarten.