„Trump sieht Krypto als Beitrag zur US-Hegemonie“
Im Interview: Thomas Mayer
„Trump sieht Krypto als Beitrag zur US-Hegemonie“
Flossbach-Ökonom ruft Brüssel und EZB auf, den digitalen Euro zu forcieren und auch für Nichtbanken zu öffnen – Konkurrenz für Dollar-Stablecoins
Überregulierung und Risikoscheu haben die Europäer auf dem Gebiet der Kryptowährungen ins Hintertreffen gebracht, beklagt der Ökonom Thomas Mayer. Eine US-Dominanz wird mit der Forcierung neuer Dollar-Stablecoins immer greifbarer. Ein Befreiungsschlag für den Fiskus der Vereiniugten Staaten, aber mit dramatischen Folgen für den Bankensektor in Europa.
Herr Mayer, die US-Regierung forciert die Etablierung von Stablecoins in der US-Finanzwirtschaft. Europa scheint überrascht und pflegt weiter seine Vorbehalte. Versäumen wir hier eine Gelegenheit, den USA etwas entgegen zu setzen?
Die Gefahr ist groß. Das Grundproblem in Europa ist eine tiefsitzende defensive Haltung auf allen Ebenen, während die USA offensiv-gestaltend vorangehen. Und das ist gerade beim Thema Digitalisierung natürlich brandgefährlich.
Warum?
In Europa wollen wir die obwaltenden Machtverhältnisse und Gepflogenheiten, wie sie einmal waren, weitgehend bewahren. Doch die Welt verändert sich – radikal und schnell. Und während die USA auf dem Gaspedal stehen, fahren wir mit angezogener Handbremse in die Zukunft.
zur Person
Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute und hatte bis November 2024 die Leitung des Institutes inne. Seither ist er der Bank als enger Berater verbunden. Von Januar 2010 bis Juni 2014 war er Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Zuvor arbeitete er als Chief European Economist und Co-Head of Global Economics ebenfalls bei der Deutschen Bank, aber in London. Zwischen 1991-2002 war er Ökonom bei Goldman Sachs und zwischen 1990 und 1991 bei Salomon Brothers in London und Frankfurt tätig.
Mit dem digitalen Euro und der ersten Regulierung von Stablecoins (Mika) lag Brüssel doch mal vorn.
Auch der digitale Euro war ja zunächst die Antwort auf einen Anstoß von außen: der Ankündigung einer Digitalwährung durch Meta, den Libra. Bei der Regulierung für Stablecoins hingegen, das stimmt, war Europa 2024 zwar als erster auf dem Platz, kommt aber nicht so recht ins Spiel. Für die Ausgabe von Stablecoins will die EU nur Banken und Onlinebanken zulassen. Das behindert den Spielaufbau. Zudem ging es – wie so oft – fast allein um die Einhegung möglicher Risiken.
Und die Regulierung in den USA geht über den Bankensektor hinaus?
Ganz klar: US-Präsident Trump will Stablecoins nicht auf den Banken- und Finanzsektor beschränken, sondern auch andere Spieler, wie Fintech-Unternehmen, zulassen. Er sieht darin ein mächtiges Instrument, um die globale Führung im digitalen Finanzbereich zu erringen. Wenn Sie so wollen: Europa will nur Boccia spielen, die USA pfeifen dagegen ein Rugby-Match an.
Europa will stets kanalisieren, regulieren und begrenzen, um Risiken zu minimieren.
Will Europa nicht erkennen, dass die Bankenwelt von früher keine Zukunft mehr hat? Stichworte sind etwa Krypto, KI und Quantencomputing.
Ja, wir haben eine völlig andere mentale Haltung als die USA. Europa will stets kanalisieren, regulieren und begrenzen, um Risiken zu minimieren. Doch die Fintechs dieser Welt wollen riskantes Rugby spielen und eben nicht Rentner-Boccia. Das nutzt Trump zu seinem Vorteil und geht in die Offensive. Er sieht Krypto als einen weiteren Beitrag, um im digitalen Bereich die US-Hegemonie auszubauen. Und in den Fintechs, den Digitalkonzernen insgesamt, findet er seine Unterstützer.
Warum gab Europa so ohne Druck seine Führung ab?
Wie üblich werden selbst radikale Entwicklungen schnell auf europäisches Tempo heruntergedampft. Wegen der bisherigen Beschränkungen gibt es nicht viele Euro-Coins, die im Markt sind. Woher auch? Die Banken haben wenig Interesse; und jenen, die das ankurbeln würden, macht man es schwer.
Und in den USA geht das schneller voran?
Ja, auf jeden Fall. Dort ist schon die Stimmung anders: Wir krempeln die Ärmel hoch, heißt dort die Devise.
Was hat denn Europa zu verlieren, wenn es nicht auf den radikaleren Kryptokurs einschwenkt?
Wir sind schon jetzt auf US-Zahlungsdienste angewiesen. Alle Versuche, eine europäische Alternative aufzubauen, sind immer wieder gescheitert; auch mangels Expertise, weil man sich dabei auf die etablierte Bankenwelt verlassen hat. Und es fehlte der Druck seitens der Konsumenten. Denn Paypal, Visa, Apple- oder Google-Pay funktionieren ja prima.
Die US-Zahlungsdienstleister kriegen die ganzen Gebühren – und die europäischen Banken gehen leer aus.
Und was ändert sich hier nun mit Stablecoins?
Für jeden Zahlungsvorgang müssen die Konsumenten bisher eine Bankkarte hinterlegen. Apple und Google etwa teilen sich die Gebühren dann mit den ausgebenden Banken. Mit Stablecoins klappt das aber auch ganz gut ohne Bankkarten. Folge: Die US-Zahlungsdienstleister kriegen die ganzen Gebühren – und die europäischen Banken gehen leer aus. Selbst wenn der europäische Regulator das verbieten sollte, kann er nicht verhindern, dass sich die Welt um Europa herum verändert und hiesige Anbieter sich irgendwann anpassen müssen.
Wenn sich der Bankenmarkt so ändert und Nicht-Banken in den Sektor dringen. Was sind die Folgen?
Zunächst steigert das den Wettbewerb. Und das ist gut für den Konsumenten. Es ermöglicht aber auch neue Produktangebote in vielen Sektoren. Und Europa ginge leer aus, wenn wir die Banken vor Konkurrenz durch Nicht-Banken schützen.
Wenn der Finanzsektor nicht mehr so klar abgegrenzt wird, ist das doch auch riskant.
Bisher sind die Banken eine vom Staat geschützte Spezies und müssen dafür die Fremdbestimmung durch engmaschige Regulierung akzeptieren. Während man in den USA aber nach der Bankenkrise wieder umgeschaltet hat, um den Wettbewerb besser wirken zu lassen, wird er in Europa weiter eingehegt. Stets wird darüber nachgedacht, was schiefgehen könnte – und dann reguliert man die Wirtschaft herunter. Das lähmt jede Dynamik.
Wie wirkt sich das auf die Realwirtschaft in Europa aus?
In den USA gibt es mehr Wagemut, leichtere Finanzierung von Startups und daher mehr Wachstum. Anders in Europa, wie die Debatte über die Kapitalmarktunion zeigt, die jetzt plötzlich Spar- und Investitionsunion genannt wird: Da wird viel darüber lamentiert, dass zu viel Geld in Bankeinlagen herumliegt und dem Kapitalmarkt zur Finanzierung von riskanteren Projekten entzogen ist. Es wird geklagt, dass wir so wenige „Einhörner“, also Start-ups mit Bewertungen von über einer Milliarde Dollar, haben. Aber aus Mangel an Risikokapital verlassen viele Gründer ab einer gewissen Größenordnung Europa und gehen in die USA. Das ist eine Folge der europäischen Risikoaversion, die zu wachstumsfeindlicher Regulierung führt. Wir fahren aus Angst vor Risiko mit angezogener Handbremse und kommen daher nur langsam voran. Und das spiegelt sich auch in der Defensivhaltung zu Stablecoins.
Aber in den USA schwingen ja auch noch private Interessen bei Stablecoins mit: Trumps Familie ist eng damit verwoben.
Die privaten Geschäfte von US-Präsident Trump und seiner Familie sind natürlich heikel. Aber die Interessen, die da zusammenspielen, gehen noch weiter: Die großen Technologieunternehmer, die Trump unterstützen, erhoffen vom Kryptogeld einen neuen Gold-Rausch.
Die Akteure auf dem Krypto-Markt können feiern, weil Trump ihnen den Markt weitgehend überlassen hat. Denn die Notenbank wurde per Gesetz ausgeschlossen.
Wer sind denn weitere Nutznießer?
Die Akteure auf dem Krypto-Markt können feiern, weil Trump ihnen den Markt weitgehend überlassen hat. Die Notenbank als potentieller Mitspieler wurde per Gesetz ausgeschlossen. Da locken jetzt saftige Gewinnmöglichkeiten.
Wo muss man die suchen?
Zur Deckung der Stablecoins brauchen die Emittenten hauptsächlich Treasury-Bills und Zentralbankgeld. Die Bills sind für die Nicht-Banken, das Zentralbankgeld für die Banken mit ihren hohen Überschussreserven. Daraus können die Emittenten Zinseinnahmen um die 4,25% kassieren. Da die Betriebskosten der digitalen Plattformen fix sind, können jene bei entsprechender Skalierung enorme Gewinnmargen erzielen.
Warum macht das die US-Regierung?
Weil es auch ihr nutzt. Wenn alle Welt in US-Stablecoins strebt, stärkt es den Dollar als Weltleitwährung. Länder, wo die eigene Währung unbeliebt ist, könnten sich „dollarisieren“. Davon profitieren die USA, denn die ausländischen Nutzer von Stablecoins geben ihnen einen zinslosen Kredit.
Wenn alle Welt in die US-Stablecoins strebt, stärkt es den Dollar als Weltleitwährung.
Und was hat der US-Fiskus davon?
Zum einen kann der Finanzminister Zinsausgaben sparen. Je populärer die Stablecoins werden, desto höher die Nachfrage nach T-Bills. Daher kann er die Staatsfinanzierung von höher verzinslichen Anleihen in niedriger verzinsliche T-Bills umschichten. Zum anderen kann er dem Staat eine „Fiskalwährung“ schaffen.
Mit US-Dollar-Stablecoins kann der Staat eine eigene Fiskalwährung schaffen. (...) Die Fed liefe mit ihrer Zinspolitik ins Leere.
Das müssen Sie erklären.
Er kann mit Stablecoin-Anbietern den Tausch von T-Bills in Coins absprechen und damit zusätzliche Staatsausgaben bezahlen.
Würde dann nicht die Inflation steigen und die Federal Reserve die Zinsen erhöhen?
Das könnte schon sein. Aber die Fed liefe ins Leere. Der Finanzminister könnte ja T-Bills weiter zum alten Zins gegen Coins tauschen. Höhere Leitzinsen der Fed würden nur die Kreditvergabe der Banken senken und damit deren Schaffung von Kreditgeld in Form von Bankeinlagen. Coins würden die Bankeinlagen verdrängen. Das erinnert den Ökonomen an „Gresham’s Law“: Schlechtes, also inflationäres Geld, verdrängt gutes Geld.
Das widerspricht dem Fed-Auftrag.
Ja, so wie er gegenwärtig spezifiziert ist. Aber Preisstabilität war nicht seit jeher der Auftrag der Notenbanken. Ursprünglich wurden sie aus zwei Gründen geschaffen: Als Kreditgeber der letzten Instanz für Banken, die mehr Papiergeld ausgegeben hatten als mit dem den Papiernoten unterliegenden Metallgeld gedeckt war. Und zweitens als Geldbeschaffer für Staaten. Ihre Funktion als Hüter stabilen Geldes, für deren Erfüllung man sie von politischen Weisungen unabhängig machte, ist eine späte Entwicklung. Trump könnte das zurückdrehen, so wie er es schon mit dem Freihandel gemacht hat.
Wir haben mit dem digitalen Euro die Chance, die Währungsunion zu vollenden und für stabiles Geld zu sorgen.
Wir haben einen suboptimalen Euro-Währungsraum, es fehlt eine Fiskal- und Kapitalmarktunion. Sind Stablecoins ein Weckruf für den digitalen Euro?
Wir haben mit dem digitalen Euro die Chance, die Währungsunion zu vollenden und für stabiles Geld zu sorgen. Denn um den Euro wetterfest zu machen, fehlt ja noch die Bankenunion mit der gemeinsamen Einlagensicherung. Dazu bräuchte es aber die Fiskalunion, die ohne politische Union nicht funktioniert – und die wird wohl nie kommen. Mit dem digitalen Euro könnte man den ganzen Problemknoten durchschlagen, indem man damit den Zugang zu Zentralbankgeld ermöglicht. Die Bonität des elektronisch übertragbaren digitalen Euros wäre identisch mit den Banknoten der EZB – im Gegensatz zu heute, wo die Bonität der Bankeinlagen von der Finanzkraft des jeweiligen Staates abhängt, der ihre Versicherung garantiert. Als Beigabe könnte man auch die auf der Bilanz des Eurosystems liegenden Staatsanleihen als Deckungsstock für den Digital-Euro einfrieren – und so die am Markt ausstehende Staatsschuld der Euroländer verringern. Und man wäre von US-dominierten Zahlungssystemen unabhängig.
Warum ist das so wichtig?
Trump nutzt den Dollar schon heute als politisches Instrument. Mit den Stablecoins ließe sich dieses Instrument möglicherweise noch effektiver einsetzen, da man ihre elektronische Weitergabe blockieren könnte.
Gab früher die Wall Street den Ton in der US-Politik an, ist es heute Silicon Valley. Ob das besser ist, wird sich zeigen.
Aber wird die EZB dann nicht auch zum Staatsfinanzierer, wenn sie den digitalen Euro mit Staatsanleihen unterlegt?
Leider ist sie das mit ihren Kaufprogrammen schon heute. Denn wie soll sie diese Bestände wieder loswerden, ohne die Renditen nach oben zu treiben? Aber in der Tat müsste es nach dem Einfrieren der Bestände viel strengere Regeln für weitere Käufe geben als die jetzt geltenden.
Aber die Banken werden einen digitalen Euro in dieser Form wohl nicht gutheißen.
Bestimmt nicht. Im bestehenden System ziehen Banken und Zentralbank Gewinne aus der Geldschaffung. Davon könnten in Zukunft die Bürger profitieren, wenn neu geschaffene digitale Euros direkt an sie ausgeben würden. Das wollen weder die Bürokraten in der EZB noch die Banken. Dagegen scheut Trump nicht vor dem Abriss des Bestehenden zurück. Gab früher die Wall Street den Ton in der US-Politik an, ist es heute das Silicon Valley. Ob das besser ist, wird sich zeigen.
Wie kann man den Schaden für Europa weiter begrenzen?
Die EU will ihre geoökonomische Souveränität stärken und die Wirtschaft dynamischer machen. Das geht aber nicht, wenn Europa ein „low risk, low retun-Kontinent“ bleibt, wie der belgische Ökonom André Sapir sagt. Europa muss wagemutiger werden. Aber schaffen wird das?
Das Interview führte Stephan Lorz.
Das Interview führte Stephan Lorz.