Pandemie

Wirtschaft kritisiert Corona-Beschlüsse

Neue Beschränkungen ab Mitte Oktober drohen die wirtschaftliche Erholung zu bremsen, befürchten Ökonomen. Positiv kommt nur die Verlängerung der Überbrückungshilfe an.

Wirtschaft kritisiert Corona-Beschlüsse

sp/Reuters Berlin

Die Corona-Beschlüsse von Bund und Ländern stoßen in der Wirtschaft auf Kritik. Die Verlängerung der Coronahilfen um weitere drei Monate bis Jahresende verbuchen die Unternehmen zwar auf der Habenseite. Die beschlossenen Einschränkungen ab Mitte Oktober könnten die Wirtschaft zum Jahresende aber wieder bremsen, befürchten auch Ökonomen. Die Videokonferenz der Spitzen von Bund und Ländern sei „angesichts der nahenden vierten Coronawelle (…) einen konkreten, einheitlichen und praxistauglichen Maßnahmenfahrplan schuldig geblieben“, monierte Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI).

„Nach unseren Schätzungen könnten die Corona-Beschränkungen das Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal um ein halbes Prozent senken“, kommentierte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer das Ende von kostenlosen Corona-Schnelltests im Oktober. Die Beschränkungen könnten ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung treffen. Von Oktober bis Dezember dürfte das Wirtschaftswachstum daher nur noch um 0,2% zulegen. Die Prognose für das Gesamtjahr hatte die Commerzbank bereits von 4,0 auf 3,3% gesenkt.

Das Ende der Gratistests werde vor allem kleine und mittlere Betriebe treffen, befürchtet der Deutsche Mittelstands-Bund (DMB). „Wenn bestimmte Gruppen erst mal für Tests bezahlen müssen, bevor sie shoppen oder etwas essen gehen dürfen, steigt die Hemmschwelle an“, sagte DMB-Vorstand Marc Tenbieg. Der Einzelhandelsverband HDE rechnet dagegen nicht mit einem spürbar negativen Effekt für den Konsum. „Zudem wird mit einem weiteren Impffortschritt die Notwendigkeit solcher Tests voraussichtlich abnehmen“, heißt es beim HDE.

Ungeimpfte müssen ab dem 11. Oktober Coronatests selbst bezahlen, um am öffentlichen Leben teilnehmen zu können. Dies beschlossen Bund und Länder am Dienstag. Vor allem in Innenräumen wird in den meisten Landkreisen eine verstärkte Testpflicht gelten, von der Genesene und Geimpfte ausgenommen sind. Wie teuer die Coronatests für Ungeimpfte sein werden, ist noch unklar. PCR-Tests würden derzeit von gesetzlichen Krankenkassen mit 43 Euro vergütet, Schnelltests mit 11 Euro, sagte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums. Der Preis werde aber auch auf dem freien Markt entstehen. Regierungssprecher Steffen Seibert ergänzte, in Unternehmen gebe es weiterhin für alle Mitarbeiter kostenlose Testmöglichkeiten. Der Arbeitgeberverband BDA kritisierte, wenn sich der Staat aus der Finanzierung der Tests zurückziehe, müsse auch das verpflichtende Testangebot der Unternehmen enden. „Der Staat darf die Kosten für Tests nicht einseitig auf die Arbeitgeber abwälzen.“ Der BDI kritisierte, die Politik lasse die Unternehmen mit Blick auf die Fortführung der Pflicht, Ungeimpften Tests anzubieten, im Dunkeln stehen. Bund und Länder stünden in der Pflicht, zügig Klarheit zu schaffen, ab wann die für die Öffentlichkeit beschlossenen Änderungen auch in den Unternehmen gelten würden.

Mit ihren jüngsten Beschlüssen zielen Bund und Länder vor allem darauf ab, die Impfquote in der Bevölkerung vor dem Start in den Herbst zu erhöhen. In Deutschland sind laut Robert-Koch-Institut knapp 63% der Bevölkerung einmal geimpft und 56% vollständig. „Die Fortschritte sind erheblich, aber es reicht noch nicht“, sagte Seibert.

Der BDI vermisst in den Beschlüssen vom Dienstag Impulse für die laufende Impfkampagne. „Impfen, impfen, impfen ist die einzige Antwort auf die wieder steigende Virusausbreitung. Echte Impulse zum Zünden des Impfturbos fehlen“, sagte Lang. Oberste Prämisse der Politik müsse sein, einen weiteren Lockdown mit hohen ökonomischen und sozialen Kosten zu verhindern.

Antwort zu Indikatoren fehlt

Der Industrieverband begrüßte, dass Bund und Länder zur Bewertung der Krisenlage neben der Sieben-Tage-Inzidenz auch die Hospitalisierung und Impfquote berücksichtigen wollen. Allerdings hätten sie nicht beantwortet, wie diese neuen Indikatoren zu einer Veränderung der Corona-Schutzmaßnahmen führen. „Das ist zu wenig.“

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