Frankreich

Alles offen

Im französischen Präsidentschaftswahlkampf könnten die Karten noch einmal neu gemischt werden. Eine mögliche Kandidatur des rechtsextremen Moderators Éric Zemmour droht die Themenschwerpunkte weiter nach rechts zu verschieben.

Alles offen

Im Westen nichts Neues? Seit längerem deuten alle Umfragen darauf hin, dass es bei der französischen Präsidentschaftswahl im Frühjahr in der zweiten Runde zu einer Wiederauflage des Duells von 2017 zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen kommen wird. Derzeit kann der Amtsinhaber in der ersten Runde am 10. April 2022 auf 26% der Stimmen hoffen, obwohl er eine Kandidatur für eine zweite Amtszeit offiziell noch immer nicht bekanntgegeben hat. Der Chefin des rechtsextremen Rassemblement National (RN) wiederum werden in jüngsten Umfragen rund 20% prophezeit. Etliche Mitglieder der Regierungspartei La Ré­pu­b­lique en Marche (LREM) sind deshalb fest davon überzeugt, Macron werde in der Stichwahl am 24. April auf jeden Fall wiedergewählt.

Und doch wäre es ein Fehler, zu glauben, dass es tatsächlich so kommen wird. Denn in den sechs Monaten bis zu der Wahl kann noch eine Menge passieren. Das haben nicht zuletzt frühere Wahlen gezeigt. So gelangte 2002 statt Lionel Jospin der rechtsextreme Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl, obwohl Umfragen den damaligen sozialistischen Premierminister als Wahlsieger gesehen hatten. Ex-Premierminister François Fillon von den konservativen Republikanern wiederum wurde sechs Monate vor den Wahlen 2017 als Favorit gehandelt, bevor die Justiz Ermittlungen gegen ihn und seine Frau wegen des Verdachts auf Scheinbeschäftigung Ermittlungen einleitete.

Noch ist in dem beginnenden Präsidentschaftswahlkampf also alles offen. Er wird zudem gerade durch die mögliche Kandidatur des rechtsextremen Moderators und Buchautors Éric Zemmour gründlich durcheinandergewirbelt. Der für seine rassistischen Äußerungen bekannte ehemalige Journalist rückt in Umfragen immer weiter vor, obwohl er offiziell noch gar keine Kandidatur bekannt gegeben hat. Viele Umfragen sehen ihn in der ersten Runde inzwischen fast gleichauf mit Xavier Bertrand von den konservativen Republikanern, einige sogar schon auf dem zweiten Platz vor Le Pen und damit in der zweiten Runde. Eine Fernsehdebatte mit dem Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon von La France insoumise (LFI) bescherte dem Privatsender BFMTV mit vier Millionen Zuschauern gerade einen neuen Rekord.

Mit seinen rechtspopulistischen Äußerungen zur nationalen Identität, zur Sicherheits- und Einwanderungspolitik und dem Islam jagt Zemmour jetzt nicht nur Le Pen Wähler ab, sondern trägt auch zur weiteren Fragmentierung des konservativen Lagers bei. Damit drohen die Themenschwerpunkte des Wahlkampfs immer weiter nach rechts abzudriften. Ausgerechnet Le Pen, die in den letzten Jahren versucht hat, mit einem im Vergleich zu ihrem Vater gemäßigterem Programm bürgerliche Wähler zu umgarnen, wird nun von rechts außen überholt. Zemmour polemisiert und setzt damit auf ein Rezept, das einst Donald Trump und den Brexit-Befürwortern zum Erfolg verholfen hat. Seine Popularität erklärt sich auch dadurch, dass viele französische Wähler enttäuscht sind von den traditionellen Parteien, von der politischen Elite, die über Jahrzehnte lang in Frankreich dominierte. Dies hat bereits 2017 der Wahlsieg des mit einer neuen Bewegung angetretenen Macron gezeigt.

Französische Wähler strafen zudem gerne Amtsinhaber statt. Macron ist deshalb sehr bemüht, seine wirtschaftspolitische Bilanz in den Vordergrund zu rücken. Nachdem das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2020 wegen der Coronakrise um 8% eingebrochen ist, dürfte es in diesem Jahr 6,3% zulegen und Frankreich eine der besten Wachstumsraten in Europa verbuchen. Die Arbeitslosigkeit wiederum dürfte bis Ende des Jahres auf 7,6% sinken und damit dem von Macron vor fünf Jahren verkündeten Ziel von 7% nahekommen. Neben der energiepolitischen Unabhängigkeit und Umweltthemen dürften die Kaufkraft und die Lohnentwicklung eine wichtige Rolle im Wahlkampf spielen, genau wie die wirtschaftliche Unabhängigkeit, da die Pandemie gezeigt hat, wie abhängig Frankreich in einigen Bereichen von ausländischen Zulieferern ist. Obwohl die Haushaltspolitik eines der Themen der Präsidentschaftswahlen 2017 war, hat sie im jetzt beginnenden Wahlkampf noch keine Rolle gespielt, genau wie Reformen. Vor fünf Jahren ist Macron als Reformer angetreten – und in dieser Rolle will er sich auch jetzt bei einer Kandidatur präsentieren. Er liebäugelt deshalb noch immer mit der von ihm versprochenen Rentenreform. Da Rentenreformen in Frankreich stets äußerst heikel sind, käme es allerdings einem Vabanquespiel gleich, sie vor den Wahlen in Angriff zu nehmen.