Radsport

Auf einmal geht es ganz schnell mit Equal pay

In den vergangenen 20 Jahren hat der Radsport der Frauen wenig öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Doch inzwischen ist der kommerzielle Durchbruch da – auch bei den Preisgeldern holen die Frauen deutlich auf.

Auf einmal geht es ganz schnell mit Equal pay

Wenn am kommenden Samstag der Omloop Het Nieuwsblad startet, dann hat im Radsport die Klassikersaison begonnen. Das Rennen führt über die Pflastersteine von Ost-Flandern durch die engen Gassen der Dörfer und über die windanfälligen Felder. Für die Männer geht es in der 77. Austragung über 204 Kilometer, die Frauen bewältigen 128 Kilometer in der 17. Austragung. Damit hat sich für die Frauen bei diesem Rennen schon eine gewisse Tradition ergeben, da die Veranstalter der Flandern-Klassiker in Holland und Belgien früher als andere entschlossen waren, zusätzlichen Aufwand zu betreiben und Sponsoren zur Gegenfinanzierung zu finden, damit die Frauen die ihnen gebührende Bühne für den Wettkampf erhalten.

Über die vergangenen 20 Jahre hatte sich da leider einiges an Nachholbedarf ergeben: Es gab seit 2009 keine Tour de Frances Femmes mehr, der Giro Donne blieb wie die Klassiker ohne TV-Präsenz. Doch im vergangenen Jahr hat es gekracht in der Szene und „Women Cycling“ hat ihren strukturellen und kommerziellen Durchbruch erfahren. Die Gründe sind vielfältig: Zum einen hatte Eurosport endlich sein Programm um eine ganze Fülle an Straßen- und Cyclocrossrennen der Frauen erweitert und damit Sichtbarkeit und Reichweite für Fans und Sponsoren hergestellt. Ein solchermaßen erhöhtes Exposure hat dann Kaskadeneffekte für die ökonomische Grundlage: Die Budgets steigen mit der Aufmerksamkeit, die sich über TV-Quoten bestens belegen lässt. Das beflügelte den allgemeinen Sinneswandel, wurden doch vermehrt reine Frauen-Teams für das Pro Tour Level der UCI neu gegründet – und die arrivierten Top-Marken gründeten reihenweise Frauen-Teams, die mit TrekSegafredo an der Spitze dann kurzerhand „equal pay“ herstellten. Da ziehen jetzt eigentlich alle nach, und auch beim Preisgeld kommt „equal pay“: Die vorne platzierten Damen der diesjährigen Flandern-Rundfahrt erhalten mit 50.000 Euro einen genauso großen Preistopf wie die Herren. Dafür hatte sich die Organisation „Flanders Classics“ in Zusammenarbeit mit KPMG in der Initiative „Closing the Gap“ zusammengetan.

Ab 2023 gilt „equal pay“ dann für alle Rennen der Flandern-Serie: Neben dem Omloop sind das Gent-Wevelgem, Dwars door Vlaanderen, Scheldeprijs, und der Brabantse Pijl – alles Legenden des Radsports. Die „Flanders Classics“ wollen das Produkt Frauen-Radsport zudem stärker eigenständig herausstellen und zukünftig einen separaten Renntag einrichten. Bislang müssen die Damen Frühaufsteher sein, finden ihre Rennen doch aus Gründen der organisatorischen Effizienz vor den Männer-Rennen statt.

Für die Aufmerksamkeit muss das aber kein Hindernis sein: Den Sieg von Marianne Vos beim „Amstel Gold Race“ sahen in Holland mehr Menschen als den ihres Jumbo-Visma-Teamkameraden Wout van Aert. Nun ist Marianne Vos in ihrer holländischen Heimat ein Superstar und weltweit eine Inspiration für Frauen – aber diese Verschiebung der Kräfteverhältnisse ist schon ein Indiz dafür, dass sich hier etwas Bahn bricht, was nicht mehr aufzuhalten ist. Auch in der grade beendeten Cyclocross-Saison waren die Frauen-Rennen nicht weniger gefragt als die Herren-Rennen, mit dem Höhepunkt, dass Marianne ihren achten Weltmeistertitel in den USA holte in einem packenden Finish gegen Gesamtweltcup-Siegerin und Landsfrau Lucinda Brand. Die 34-Jährige Vos ließ gegenüber „Cycling News“ all ihre großen Titel Revue passieren und erinnerte an ihren ersten Cyclocross-WM-Titel, den sie als 18-Jährige auf den letzten Metern gegen die Deutsche Hanka Kupfernagel holte – und erzählte, dass Kupfernagel ihr Idol und Inspiration für den Radsport war. Kupfernagel hatte eine Mega-Karriere und wurde doch nur im kleinen Kreis der Radsport-Bubble bekannt – auch das ist sinnbildlich für das, was all die Jahre schief gelaufen ist und sich jetzt ändert.

Eklat um Quick-Step-Teamboss

Manche Leute haben allerdings den Schuss nicht gehört. Das symbolisiert kein anderer so gut wie der Quick-Step-Teamboss Patrick Lefevere, der sich im Vorfeld von dem erstmals für die Damen veranstalten Klassiker Paris-Roubaix im Oktober auf eine Art und Weise despektierlich über „women cycling“ äußerte, dass einem die Spucke wegbleibt. Auf die Frage, ob er sich mit seinem Team im Frauen-Radsport engagieren werde, entgegnete Lefevere, er sei doch nicht das Sozialamt und sprach den Damenrennen den sportlichen Wert ab. Nun ist der 66-Jährige hinreichend als toxische Persönlichkeit bekannt: Das öffentliche Mobbing seines Fahrers Sam Bennett gipfelte mit Bekanntmachung von dessen Rückkehr zu Bora-Hansgrohe in der Bemerkung, Bennet verhalte sich wie eine Frau, die trotz häuslicher Gewalt immer wieder zu ihrem Partner zurückkehre. Da kann man nur noch schreien oder stumm den Kopf schütteln.

Lefeveres Absage an den Frauen-Radsport parierte ex-Weltmeisterin Lizzie Deignan mit einem trockenen britischen Kommentar: „Das trifft sich gut, denn wir sind auch nicht an ihm interessiert.“ Lustigerweise war aber Lefeveres Hauptsponsor Deceuninck sehr wohl an Deignan, Vos & Co interessiert und hatte im Dialog mit dem Teamboss versucht, ihn von einem solchen Engagement zu überzeugen. Deceuninck beendete dann die Zusammenarbeit mit QuickStep und wechselte als Sponsor zu AlpecinFenix. Der Sponsor ließ es sich nicht nehmen, dann fix einen Spot für die Cyclocross-Saison abzudrehen, bei dem die Damen um Ceylin del Carmen Alvarado und Puck Pieterse gleichberechtigt neben den Männern in die Pedale treten.

Das von Lefevere angezettelte Scharmützel trug zum Spannungsaufbau der Paris-Roubaix-Premiere bei. Dieses Monument des Radsports mit seinen brutalen Pflasterstein-Passagen ist die ultimative Herausforderung für Willenskraft und Fahrtechnik. Und einige Herren waren all die Jahre der Ansicht, dass man den Damen eine solche Herausforderung nicht zumuten könne – was für ein Irrtum. Marianne Vos hatte schon immer hinter den Kulissen dafür gekämpft, dass das mit einer Vielzahl an Traditionen behaftete Paris-Roubaix endlich auch für sie und ihre Mitstreiterinnen stattfindet. Dem Sieger ist es vorbehalten, sich alleine in dem alten Duschentrakt vom Schmutz des Rennens zu befreien. Am Tag vor dem Rennen besichtigte Marianne Vos diese Duschen – und das Bild mit dieser ungeheuren Symbolkraft ging um die Welt. Das Rennen selbst fand dann angesichts des Regens vom Vortag unter schwierigen Bedingungen statt. Die nicht unbedingt zu den Favoritinnen zählende Lizzie Deignan legte bei Einfahrt in den ersten Pflasterstein-Sektor volle Pulle los und fuhr trotz mehrfacher Rutschpartien einen Vorsprung raus, sodass sie auch von der dann zweitplatzierten Marianne Vos mit ihrer späten Attacke nicht mehr einzuholen war. Lizzie Deignan fuhr mit blutigen Händen als strahlende Siegerin im Velodrom von Roubaix über die Ziellinie und schrieb damit Geschichte. Der Schriftsteller Selim Özdogan prägte mal den Spruch „Ein gutes Leben ist die beste Rache.“ Es war in diesem Sinne auch die bestmögliche Retourkutsche gegenüber Lefevere.