Big Tech in Erklärungsnot
KI-Investitionen
Big Tech in Erklärungsnot
Amerikas Technologieriesen schlagen im KI-Wettrüsten zunehmend die betriebswirtschaftliche Räson in den Wind.
Von Alex Wehnert
Amerikas Technologieriesen müssen ihren Anlegern dringend erklären, was sie mit ihren explodierenden Investitionsausgaben eigentlich erreichen wollen. Künstliche Intelligenz (KI) mag an den Finanzmärkten das am heißesten diskutierte Wachstumsthema sein – einen Grund, jede betriebswirtschaftliche Rationalität in den Wind zu schlagen, stellt die vermeintlich revolutionäre Technologie aber nicht dar. Genau das befürchten Investoren nun mit Blick auf Alphabet und Microsoft, deren zuvor steil im Aufwärtstrend liegende Aktien nach den jüngsten Zahlenvorlagen unter Druck geraten sind.
Bei der Google-Mutter schossen die Kapitalaufwendungen im zweiten Quartal um 91,4% auf 13,2 Mrd. Dollar in die Höhe und damit stärker als an der Wall Street erwartet. Beim Windows-Konzern zogen die Kosten für den Auf- und Ausbau von Rechenzentren um fast 78% auf 19 Mrd. Dollar an. Der Anteil der Glorreichen Sieben – neben Alphabet und Microsoft zählen dazu Apple, Amazon, Meta Platforms, Nvidia und Tesla – an den gesamten Investitionsausgaben im S&P 500 belief sich bereits im vergangenen Jahr auf 18%. Vor zehn Jahren lag die Quote bei 5%. Und im laufenden Jahr dürfte der Anteil noch deutlich klettern, wenn die Management-Teams ihre vorgelegten Investitionspläne in die Tat umsetzen.
Wachstumsmotoren geraten ins Stottern
Gerade für Alphabet und Microsoft ist allerdings problematisch, dass ausgerechnet zum Zeitpunkt dieses Kostenbooms die realen Wachstumsmotoren ins Stottern geraten. Bei der Google-Mutter ist die Erholung des Anzeigengeschäfts von den Verwerfungen der Corona-Pandemie vorerst abgerissen. Bei der Konkurrentin aus Redmond, Washington, die durch ihre Partnerschaft mit der Technologieschmiede OpenAI das KI-Wettrüsten der vergangenen Monate angestoßen hat, besteht sogar noch mehr Grund zur Sorge. Denn bei Microsoft schlagen sich die gewaltigen Investitionen in Rechenzentren nicht in einem schnelleren Anstieg der Cloud-Erlöse nieder.
Für Anleger stellt sich damit zunehmend die Frage, wie effizient die Tech-Riesen ihre großvolumigen Cash-Ressourcen tatsächlich einsetzen. In den vergangenen Jahren sind die Großkonzerne den Beweis schuldig geblieben, mit eigenen Innovationen noch die Fantasie der Anleger anregen zu können. Stattdessen haben sie sich zunehmend von Kooperationen mit Start-ups abhängig gemacht. Denn die Tech-Riesen sind dadurch gehemmt, dass sich Fehlschläge bei internen Projekten stark negativ auf das Markenimage auswirken können. Das hat Google zum Beispiel nach Pannen mit dem inzwischen in Gemini umbenannten Chatbot Bard erlebt. Die Start-ups profitieren von der Finanzkraft sowie von Rechenkapazitäten, die den Konzernen zur Verfügung stehen.
Konflikt mit Kartellbehörden belastet
Doch Regulatoren werfen die berechtigte Frage auf, ob es sich bei den KI-Kooperationen nicht um Scheinübernahmen handelt, sichern sich die Tech-Riesen in deren Zuge doch Rechte am intellektuellen Eigentum und Beteiligungen an künftigen Gewinnen der Chatbot-Schmieden. Damit stehen Alphabet und Konsorten noch langwierige Rechtsstreitigkeiten ins Haus, die es schwierig machen dürften, künftig ähnlich strukturierte „Partnerschaften“ umzusetzen. Derweil scheitern als Übernahmen deklarierte Transaktionen schon, bevor es zum Konflikt mit Kartellbehörden kommt. So hat sich das Cybersecurity-Start-up Wiz mit Alphabet nicht auf einen Deal einigen können, der das Cloud-Geschäft der Google-Mutter beflügeln sollte. Stattdessen peilt das junge Unternehmen einen Börsengang an.
Alphabet-Investmentchefin Ruth Porat sucht zu beruhigen und verweist auf Chancen zum organischen Wachstum und andere Investitionschancen. Dass steigende Ausgaben die Anleger nicht abschrecken müssen, hat Meta Platforms nun gezeigt. Allerdings ist die Facebook-Mutter in ihren Investitionsplänen weitaus klarer als die Konkurrenz – und kann zugleich auf ein überraschend brummendes Werbegeschäft und gesunde Margen pochen. Auch für den Rest des Tech-Sets werden die hohen Ausgaben nur dann nicht zum langfristigen Kurshemmnis, wenn sie zugleich wieder im Kerngeschäft überzeugen können.