Blessing trägt Eulen nach Athen
Den Gebrauch von Anglizismen assoziiert der gemeine Deutsche mit den Attributen „fortschrittlich, dynamisch, wirtschaftsnah“ – so die Lesart des erfahrenen Marketingexperten. Darin sah Bundeskanzler Merz offenbar schon mal drei gute Gründe, den Ex-Commerzbank-Chef Martin Blessing in seiner neuen Rolle mit dem wohlklingenden Titel des Chief Investment Officers (CIO) zu schmücken. Hilfreich ist hier, dass der CIO wie so mancher englische Begriff im Deutschen keine konkrete Entsprechung hat. Der Interpretationsspielraum wird dann auch gleich ausgeschöpft, mit dem Ergebnis, dass Blessings Aufgabe als „Investitionsberater“ verstanden wird, der ausländische Kapitalgeber für Engagements in Deutschland erwärmen soll.
Geld fließt schon nach Deutschland
Während die Politik noch das Standort-Marketing verstärkt, erweckt ein Blick in die Statistik indes den Eindruck, als sollte der CIO Eulen nach Athen tragen. Die Direktinvestitionen sind laut Bundesbank in der ersten Jahreshälfte gegenüber 2024 um fast 40% angeschwollen. Für Beteiligungskapital aus dem Ausland sind deutsche Unternehmen erste Wahl, wie Private Equity nicht müde wird zu betonen. Und die Top-Adressen internationaler Assetmanager scharren mit den Hufen, um bei den Megaprojekten des deutschen Infrastrukturausbaus dabei zu sein.
Allokation ist eine Hürde
Die Mobilisierung von Kapital ist demnach weniger ein Problem, der zielgerechte Einsatz dafür umso mehr. Das zeigt sich kaum irgendwo so deutlich wie beim Ausbau der digitalen Infrastruktur. Die Verdichtung des Mobilfunknetzes stockt, denn Telekom-Unternehmen warten im Durchschnitt zwei Jahre auf die Genehmigung eines Antennenstandorts. Der Glasfaserausbau hinkt dem Rest von Europa noch immer hinterher, weil ein unausgegorenes Förderregime das Abrufen der Mittel ausbremst. Der Bau von Rechenzentren hält mit der Nachfrage an Knotenpunkten nicht Schritt, weil es an ausgewiesenen Gewerbeflächen fehlt und die Energieversorgung nicht mitgedacht wurde.
Damit eröffnet sich ein breites Feld für einen echten CIO, der Investitionsziele priorisiert, Gelder kanalisiert und dafür Sorge trägt, dass Prozesse vereinfacht und Genehmigungen beschleunigt werden. Was es in Deutschland nicht braucht, ist ein staatlich mandatierter Geldeintreiber, der mit dem Klingelbeutel umgeht. Dafür gibt es im Englischen ohnehin bereits einen anderen wohklingenden Titel: den Chief Revenue Officer.