Die Rückkehr der Nachtzüge
Die Rückkehr der Nachtzüge
Notiert in Brüssel
Die Rückkehr der Nachtzüge
Von Stefan Reccius
Flugzeug oder Zug? Als ich kürzlich eine Verbindung suchte, um an Fronleichnam von Brüssel nach Berlin zu reisen, schien die Bahn keine Option zu sein. Dabei bin ich Vielfahrer – trotz aller Widrigkeiten mit der Deutschen Bahn. Aber den gesamten Feiertag im Zug sitzen? Das ist mir dann doch zu lang. Eine Direktverbindung mit der Bahn gibt es sowieso nicht. Dachte ich zumindest. Ich hatte ja keine Ahnung.
Das Zauberwort lautet: Nachtzüge. Quer durch Europa sprießen neue Verbindungen aus dem Boden. Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) sind mit den blauen Nightjets führend und bauen ihr Angebot gerade kräftig aus, ab München, Stuttgart und anderen deutschen Städten gen Süden und Osten. Im Norden kommen Reisende ebenfalls auf ihre Kosten, etwa von Hamburg über Kopenhagen nach Stockholm.
Und nun das: Auch zwischen Brüssel und Berlin feiert der Nachtzug ein ungeahntes Comeback. Seit der Jungfernfahrt am 25. Mai setzt sich der „European Sleeper“ stets sonntags, dienstags und donnerstags am Abend in Berlin in Bewegung. Montags, mittwochs und freitags geht es von Brüssel zurück in die Bundeshauptstadt. Ab Frühjahr 2024 sind auch Nachtzugverbindungen von Berlin über Dresden nach Prag geplant.
Hinter dem „European Sleeper“ stecken nicht etwa staatsnahe Konzerne wie Deutsche Bahn oder ÖBB, sondern eine junge Firma aus Utrecht. Größte Schwierigkeit für die Gründer Elmer van Buuren und Chris Engelsman ist nach eigener Auskunft, geeignete Waggons zu finden. Längst ausrangierte Modelle bekommen bei ihnen ein zweites Leben: Einige der Wagen kommen aus der früheren DDR. Das soll sich beizeiten ändern, die Gründer wollen in eigene Waggons investieren. Bis dahin heißt es improvisieren.
Das gilt auch für Streckenverlauf und Abfahrtszeiten. Knapp elfeinhalb Stunden sind zwischen Brüssel und Berlin vorgesehen, mit Zwischenhalten unter anderem in Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen. Wegen diverser Baustellen dauert es mitunter allerdings länger. Private Bahnfirmen sind da auf die Deutsche Bahn als Netzbetreiber angewiesen.
Mit dem Flugzeug dauert es nicht mal anderthalb Stunden. Es ist nicht zuletzt der Siegeszug der Billigflieger, der Nachtzügen den Garaus gemacht zu haben schien. Die Deutsche Bahn hat wegen der Konkurrenz in der Luft ihre Angebote an Nachtzügen vor etlichen Jahren eingestellt, die Überbleibsel an die ÖBB verscherbelt und ansonsten privaten Anbietern das Feld überlassen. Die zögerten lange – bis jetzt.
Allein über den Preis wird es diesmal nicht funktionieren. Was soll ich sagen? Für mein Flugticket an Fronleichnam von Brüssel nach Berlin habe ich bei Ryanair – bekanntlich die Billigairline schlechthin – unschlagbare 31 Euro bezahlt. Mehr als ein Rucksack im Handgepäck ist zu dem Preis nicht drin. Bei der Lufthansa-Tochter Brussels Airlines habe ich neulich 87 Euro von Brüssel nach Berlin gezahlt. Dafür durfte ich zumindest einen Koffer mitnehmen.
Was kostet eine Nacht im „European Sleeper“? Wer ohne schlechtes Klimagewissen von Berlin nach Brüssel reisen will, zahlt im Sechserabteil 69 Euro – wohlgemerkt für einen Sitzplatz. An erholsamen Schlaf wäre da kaum zu denken. Für einen Liegeplatz im Sechserabteil werden 99 Euro fällig, im Viererabteil 119 Euro. Ein Bett im Schlafwagen für bis zu drei Personen pro Abteil mit Waschbecken und Sitzecke kostet 139 Euro. Bettwäsche und Frühstück sind jeweils schon drin. Für Kurzentschlossene kann es teurer werden. Ein Privatabteil bis sechs Personen ist für Alleinreisende ab 399 Euro unerschwinglich und ohnehin viel zu groß.
Die ÖBB wirbt in ihren neuen Nightjets mit Minikabinen für Alleinreisende. Das könnte eines Tages auch ein Modell für den „European Sleeper“ sein. Fürs Erste müssen es Waggons aus der DDR tun – und ein eigenes Weizenbier aus der Dose, das es an Bord zu kaufen gibt. Offenbar lockt das neue Nachtzug-Angebot jedenfalls viele Reiselustige an: Die Schlafwagen sind in den ersten Monaten bereits ausgebucht.
