Impfen für Biden
Das japanische Fernsehen war Anfang der Woche live dabei, als Premierminister Yoshihide Suga sich gegen Corona impfen ließ. „Es tat gar nicht weh“, sagte der Politiker nach dem Stich in seinen linken Oberarm. Eigentlich war der 72-Jährige noch nicht an der Reihe. Bislang gehen die wenigen importierten Impfdosen nur an Ärzte und Krankenpfleger. Aber Suga sowie 80 bis 90 Beamte aus Kabinettsbüro und Außenministerium und einige Politiker dürfen sich vordrängeln, weil sie in der ersten Aprilhälfte nach Washington reisen werden, um den neuen US-Präsidenten Joe Biden zu treffen. Beide Seiten hatten sich darauf verständigt, das Infektionsrisiko bei dem Gipfeltreffen so niedrig wie möglich zu halten. Da Biden schon zweimal geimpft ist, musste Suga nachziehen.
Aber die japanische Presse beschäftigte sich weniger mit seiner Bevorzugung beim Impfen als mit der Tatsache, dass Suga der erste ausländische Staatschef im Weißen Haus sein wird. Die Schlussfolgerungen waren leicht zu ziehen: In der Auseinandersetzung mit China steht der indopazifische Raum auf der Prioritätenliste von Biden ganz weit oben, und Japan sieht er dort als seinen wichtigsten Partner. Dazu passend schickte Biden in dieser Woche Außenminister Antony Blinken sowie Pentagon-Chef Lloyd Austin für ihre erste Auslandsreise nach Tokio und Seoul, wo sie ihre Amtskollegen trafen. In einem vorab veröffentlichten Kommentar in der „Washington Post“ schrieben Blinken und Austin, die USA seien stärker, wenn sie gemeinsam mit ihren Verbündeten gegen „Chinas Aggression und Drohungen“ vorgehen. „Wenn wir nicht entschlossen handeln und vorangehen, wird es Peking tun“, schrieben die zwei Minister.
Japans Politik und Presse registrierten die Signale aufmerksam. Sugas Vorgänger Shinzo Abe gehörte zu den ersten Warnern vor Chinas aggressivem Machtstreben, fand damit jedoch erst bei Donald Trump Gehör. Dennoch fuhr Abe eine Doppelstrategie: Einerseits förderte er die wirtschaftliche Zusammenarbeit, da Chinas riesiger Binnenmarkt direkt vor Japans Haustür liegt. Andererseits versuchte er eine lose Koalition von jenen Staaten zu schmieden, die einen „freien und offenen Indopazifik“ verteidigen wollen. China sah Japan als mögliches Korrektiv im Handelsstreit mit Trump und akzeptierte Abes Kurs. Doch Peking könnte seine Haltung gegenüber Tokio ändern, falls Biden auf dem chinakritischen Kurs von Trump bleibt. Daher hofft man in Japan darauf, dass die USA ihre Tonlage gegenüber China entspannen.
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Bei dem Gipfel in Washington möchte Suga erfahren, wie Biden mit Chinas Präsident Xi Jinping umgehen will. Für erste Zufriedenheit sorgte, dass die USA Japans Besitzansprüche auf die Senkaku-Inseln im Ostchinesischen Meer notfalls mit Waffengewalt durchsetzen wollen. China beansprucht diese Inseln ebenfalls, die Küstenwache dringt dort seit einem Jahr fast täglich in japanische Gewässer ein. Bei dem Ministertreffen in Tokio kritisierten beide Seiten eine Gesetzesänderung in China, wonach die Küstenwache erstmals auf andere Schiffe in den Senkaku-Gewässern schießen darf.
Für Europäer sind diese Entwicklungen schwer einzuordnen. Doch in Ostasien fehlt eine regionale Sicherheitsarchitektur. Dadurch können Konflikte schnell eskalieren. Daher muss der Stand der Beziehungen häufiger offen ausgesprochen werden. Trump hatte zwiespältige Signale bezüglich des japanisch-chinesischen Inselstreites ausgesandt. Dadurch konnte China den Eindruck gewinnen, dass eine Besetzung der Senkaku-Inseln den Bündnisfall nicht eintreten lassen würde. Doch Biden hat das starke Bedürfnis in Tokio und auch in Seoul nach einer verlässlichen Partnerschaft erkannt. Seine Rückkehr zu einer konventionellen Diplomatie nach vier Trump-Jahren ist daher Balsam für die japanische Seele. Allerdings ist mit Taiwan ein neuer Brennpunkt in der Region dazugekommen. Kürzlich unterstützte Japan die Selbständigkeit seiner früheren Kolonie auf originelle Weise. Als China den Import von Ananas aus Taiwan stoppte, um wirtschaftlichen Druck auszuüben, bestellte Japan aus Solidarität die Tropenfrucht in Rekordmengen.