Milliardäre am Ruder

Japans alte Konzernlenker

Ein Fünftel der CEOs befindet sich in der Altersspanne zwischen 60 und 69, ein weiteres Fünftel zwischen 70 und 79. Die größte Kohorte ist 69 Jahre alt. Dabei ist aus Sicht vieler Aktionäre ein alt gewordener Dauer-CEO eher ein Risiko als ein Garant für Erfolg.

Japans alte Konzernlenker

Von Martin Fritz, Tokio

Der 77-jährige Gründer des Elektromotor-Spezialisten Nidec, Shigenobu Nagamori, führt sein Unternehmen neuerdings wieder selbst. Bereits zum zweiten Mal setzte er einen von ihm selbst ausgewählten Nachfolger ab. Der Chef des Textilriesen Fast Retailing (Marke Uniqlo), Tadashi Yanai, wollte mit 65 Jahren eigentlich aufhören, aber hält mit 73 immer noch alle Fäden in der Hand. Softbank-Gründer Masayoshi Son ist zwar erst 64, aber vergraulte ebenfalls schon zwei designierte Nach­folger.

Die drei Milliardäre, die sich altersmäßig längst zur Ruhe setzen könnten, halten sich für unersetzbar. Er kenne seine Firma eben am besten, erklärte Nagamori, der 16 Stunden täglich arbeitet. Aufhören will er erst im Jahr 2030, dann wäre er 85 Jahre alt. Ein positives Beispiel liefert der 76-jährige Keyence-Gründer Takemitsu Takizaki, der sich mit 55 in den Verwaltungsrat zurückzog. Unter drei jungen CEOs wuchs Keyence zu Japans zweitgrößtem Unternehmen heran.

Kein Erfolgsgarant

Aus Sicht vieler Aktionäre ist ein alt gewordener Dauer-CEO, der keine Macht abgeben will, eher ein Risiko als ein Garant für Erfolg, wie etwa der Fall von Carlos Ghosn zeigte, dessen 20-jährige Herrschaft über die Autokonzerne Nissan und Renault abrupt durch eine Verhaftung endete. Der Nidec-Aktienkurs stieg denn auch nicht, als Nagamori seine Rückkehr verkündete.

Getreu konfuzianischem Ideal sollen Männer in Japan die Erwerbsarbeit im Alter von 60 Jahren beenden. Auch werden sie von den Pflichten als Haushalts- und Familienvorstand befreit. Der Nachfolger – meist der älteste Sohn – übernimmt den Familienbetrieb und versorgt seine Eltern bis zum Tod. Nach 60 Jahren beginnen nämlich alle Zyklen und Zweige des chinesischen Kalenders gemeinsam von vorne.

Demografische Besonderheit

Ein Ergebnis dieser Denkweise: Das Rentenalter in fast allen Unternehmen liegt bei 60 Jahren, obwohl die staatliche Grenze auf 65 angehoben wurde. Die fünf Jahre dazwischen überbrücken viele Angestellte, indem sie sich zu einem deutlich verringerten Gehalt und unter Aufgabe ihrer Führungsverantwortung weiterbeschäftigen lassen.

Trotzdem stieg das Durchschnittsalter der Chefs aller 1,5 Millionen Unternehmen in Japan innerhalb der letzten drei Jahrzehnte von 54,0 auf 60,3 Jahre. Ein Fünftel der CEOs befindet sich in der Altersspanne zwischen 60 und 69, ein weiteres Fünftel zwischen 70 und 79. Die größte Kohorte ist 69 Jahre alt. Der weltweit älteste Firmenchef Nobutsugu Shimizu von der Supermarktkette Life war sogar 95, als er im Mai 2021 die operative Führung abgab.

Eine Ursache dieser Entwicklung ergibt sich aus der Demografie. Die Angehörigen der starken Babyboomer-Jahrgänge 1947 bis 1949 waren die Nutznießer des Wirtschaftswunders und wuchsen mit dem Ethos auf, möglichst hart und möglichst viel zu arbeiten. Nach langen Jahren an der Spitze können die Chefs dieser Generation – vor allem in den zahllosen Kleinunternehmen – nicht loslassen, obwohl sie oft schon Anfang 70 sind.

Eine zweite Ursache: Die Führer vieler Familienbetriebe werden in dieser Funktion immer älter, weil die nächste Generation ihnen das Zepter nicht abnehmen will.

In der Vergangenheit adoptierten viele Familienunternehmen einen fähigen Fremden oder einen Eingeheirateten. Aber heutzutage fehlen die Interessenten für diese Prozedur. Die Arbeit in Kleinbetrieben vom Restaurant bis zum produzierenden Gewerbe ist hart, die Kapitalkosten für eine Modernisierung sind hoch, der globale Wettbewerb drückt die Margen.

Aufgrund der demografischen Alterung – bereits über 29% der Japaner sind älter als 65 – wird der einheimische Absatzmarkt noch weiter schrumpfen, was die mittelfristigen Geschäftschancen mindert.

Zudem ist der Unternehmergeist schwach ausgeprägt und die Risikoaversion hoch. Viele Universitätsabsolventen träumen von einer Karriere als Ministerialbeamter oder von einer Anstellung auf Lebenszeit bei einem möglichst großen Unternehmen. In Japan existieren nur 10000 Start-ups – fast fünfmal weniger als in Deutschland.

Auf Konsens bedacht

Interessanterweise sehen Japans Unternehmen das hohe Durchschnittsalter der CEOs nicht als automatisches Problem. Alt verbindet man nicht gleich mit sklerotisch, jung heißt nicht unbedingt besser. Diese Sichtweise hängt mit der Firmen- und Geschäftskultur zusammen. Anders als im Westen verstehen sich viele Chefs – auch von Großunternehmen – nicht als Macher mit einer Vision. Dazu passt: Laut einer PwC-Studie haben nur 4% der CEOs in Japan einen MBA-Abschluss, weltweit sind es 35%. Vielmehr sehen japanische Chefs ihre Aufgabe darin, einen Konsens unter den Managern herzustellen und für Ausgleich zu sorgen. Immer wieder wundern sich westliche Konzernlenker bei Verhandlungen, dass der japanische Chef die Gesprächsführung einem rangniedrigeren Manager überlässt.

Große Firmentreue

In ihrer Vermittlungsaufgabe hilft den CEOs ihre Seniorität, die sich wiederum aus der Dauer der Firmenzugehörigkeit ergibt. Denn ein japanischer Chef hat in der Regel sein gesamtes Arbeitsleben im selben Unternehmen verbracht. Nur 33% der neuen CEOs haben laut der PwC-Studie Erfahrung in einem anderen Unternehmen gesammelt, weltweit beträgt diese Quote 74%.

Kaum ein japanisches Unternehmen verjüngt seine Spitze durch einen externen Manager. Dessen Nichtwissen von firmeninternen Zusammenhängen gilt als Risiko. Aus dem gleichen Grund heuern japanische Unternehmen kaum externe Berater an. Nur wenn es einem Unternehmen schlecht geht oder es internationalisiert werden soll, lässt man einen meist relativ jungen Ausländer ans Steuer, weil er mit japanischen Traditionen brechen darf.

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