Kampf um die Straße
Der Platz auf der Straße ist in Berlin hart umkämpft. Autos, Motorroller, Scooter, Radler und Fußgänger versuchen im Dschungel der Großstadt irgendwie voranzukommen. Seit dem Lockdown hat der Straßenverkehr gefühlt nachgelassen, die Hauptstadt ist aber um eine Spezies reicher geworden, die die Straße nicht sicherer macht. So mancher Berliner und Wahlberliner, der dem Virus in Bus, U- und S-Bahn entgehen will, aber das Autofahren scheut, wagt sich aufs Rad. So transportieren gesetzte Herren mit Hornbrille und dunkelblauem Mantel – auf dem Zweirad um Balance ringend – ihre Wochenendeinkäufe nach Hause. Ungeübte Damen müssen sich so auf den Tritt in die Pedale konzentrieren, dass ihnen die Kraft fehlt, in engen Straßen noch den Gegenverkehr abzuschätzen. Augen auf im Straßenverkehr ist derzeit mehr als hilfreich.
Dem rot-rot-grünen Berliner Senat aber scheint jede Begründung recht, den Autoverkehr in der Stadt auszubremsen und vermeintlich den Radverkehr zu unterstützen. Eine intelligente Aufteilung der Straße hat das nicht gebracht. Auf vielen Hauptverkehrsadern ist seit der Debatte über zu hohe Feinstaubkonzentration das Tempo gedrosselt. „Luftreinhaltung“ steht unter Geschwindigkeitsschildern mit „30“. Könnten die Autos gemächlich schleichen, wäre einiges gewonnen. Sie kommen aber nur im Stop-and-go voran, weil die Ampelschaltung noch auf Tempo 50 gepolt ist und damit auch verhindert, dass die Radfahrer die grüne Welle schaffen. Die juckt es wenig, da rote Ampeln nach einem geheimen Gesetz der meisten Berliner Radler nur für Autofahrer gelten.
Mit einer Spontanaktion hatte der Berliner Senat 2020 in der Coronakrise „aus Sicherheitsgründen“ Pop-up-Radwege auf wichtigen Verkehrsachsen mit dicken gelben Linien abgetrennt und sich dafür gefeiert. Damit die Anwohner, die für ihre Parkplaketten zahlen, zu ihrem Recht kamen, führte dies zur seltsamen Situation, dass mitten auf der Fahrbahn Autos parkten, an denen sich der vierrädrige Verkehr gerade noch vorbeiquetschen konnte. Im Eilverfahren kassierte das Berliner Verwaltungsgericht im Herbst die Pop-up-Radwege, sehr zur Freude der Berliner Wirtschaft, der plötzlich ihre Lieferzonen abhandengekommen waren. Ein neuer Kampf steht jetzt bevor: Der Berliner Senat will wildes Parken von Leihrädern und E-Tretrollern abstellen. Neben dem Ausweis von „Non-Parking-Zonen“, die verhindern, dass die Stadt komplett mit Linien vollgepinselt wird, sollen auch sichtbare Parkflächen ausgewiesen werden: natürlich auf der Fahrbahn.
Dabei haben auch Radfahrer allen Grund zur Klage, sicher durch die Stadt zu kommen. Radwege enden im Nichts oder sind erst zehn Meter vor der Ampel als solche mit einer Linie trassiert – wo sich auch kein Auto plötzlich verschlanken kann. Die Fahrbahn ist auf so mancher Route sicherer, wo die Wurzeln der Straßenbäume den Radweg zu einem Hindernisparcours machen. Wenn der Senat dort mehr Hirn und Geld investieren würde, kämen auch der gesetzte Herr und die ungeübte Dame weg von der Straße und sicherer heim.