Umstrittene US-Börsen wagen Angriff auf die Wall Street
Umstrittene US-Börsen wagen Angriff auf die Wall Street
Umstrittene
US-Börsen wagen Angriff auf
die Wall Street
Die New York Stock Exchange und Nasdaq müssen sich erstmals seit Jahren wieder aufkommender Konkurrenz erwehren. Einer der potenziellen Wettbewerber sorgt allerdings mit Verbindungen zu einer Sekte für Aufsehen.
Von Alex Wehnert, New York
Die junge Geschichte der Dream Exchange weist tiefe Abgründe auf. Das Chicagoer Startup, das sich als Nasdaq-Alternative für Unternehmen mit schwarzen Gründern und Chefs und Firmen aus strukturell schwächeren Gegenden präsentiert, hat von der US-Börsenaufsicht SEC eine harte Abfuhr verhalten – wegen seiner mutmaßlich verheimlichten Verbindungen zu einer skandalumwitterten Sekte. Die Behörde verweist bei ihrer Entscheidung, dem Marktbetreiber die Zulassung als Aktienbörse zu verwehren, auf Informationen aus einer Untersuchung zu möglichen Verstößen gegen Wertpapierrecht, sowie Medienberichte, die „Fragen über einen potenziellen Missbrauch von Mitteln aufgeworfen“ hätten.
Furcht vor Mittelmissbrauch
Denn im September berichtete das „Wall Street Journal“ erstmals über die weitreichenden Verstrebungen zwischen der Dream Exchange und der Church of Scientology. Finanzdokumente zeigten, dass Gelder aus einem Konto der Dream Exchange LLC in einen Account bei der Muttergesellschaft bewegt worden seien, der auf Gründer und CEO Joseph Cecala läuft und aus dem Spenden an Organisationen geflossen seien, die mit der Sekte in Verbindung stünden. Nach entsprechenden Enthüllungen auch aus eigenen Ermittlungen stellt die SEC nun die Fähigkeit des Unternehmens infrage, seiner Verpflichtungen als Exchange-Betreiber nachzukommen – schließlich nähmen Börsen am amerikanischen Kapitalmarkt noch immer eine Schlüsselrolle ein und seien mit „großem öffentlichen Vertrauen“ ausgestattet.
Die Dream Exchange gibt indes nicht auf und nutzt ihre Möglichkeit, ihren Antrag von Neuem einzureichen. Gründer und CEO Joseph Cecala, ein weißer Anwalt und Buchhalter, der das Startup nach der bahnbrechenden „I Have a Dream“-Rede von Martin Luther King Jr. aus dem Jahr 1963 benannte, bezeichnete die Ablehnung seines Antrags auf eine Börsenlizenz in einer Pressemitteilung als „prozeduralen Rückschlag“. Er halte an seiner Mission fest, „den breitesten Marktplatz mit den größten Gelegenheiten für die meisten Menschen“ zu schaffen.
Duopol durch Übernahmen gefestigt
Die Dream Exchange verweist darauf, dass keine offiziellen öffentlichen Kommentare zu ihrem Antrag auf Börsenlizenz bei der SEC abrufbar seien, und meldet deshalb Sorgen bezüglich des Freigabeprozesses an. Zudem weist das Unternehmen die Berichterstattung des „Wall Street Journal“ als „unausgewogen“ und „voreingenommen“ zurück und prüft „rechtliche Optionen“.
Dem Traum, den die Dream Exchange mit solchem Nachdruck verfolgt, haben auch schon zahlreiche andere Börsenbetreiber nachgehangen. Auch in den vergangenen Jahren haben mehrere Firmen versucht, als Anbieter von Handelsinfrastruktur ein Stück vom Kuchen im 60 Bill. Dollar schweren US-Aktienmarkt zu ergattern. Die Intercontinental Exchange als Mutter der New York Stock Exchange (Nyse) und die Nasdaq haben ihr Duopol in diesem in den vergangenen Jahrzehnten durch die Übernahmen zahlreicher Regionalbörsen gefestigt.
Investoren drängen an liquide Handelsplätze
Der älteste Marktplatz der Vereinigten Staaten, die Philadelphia Stock Exchange, ging bereits 2007 in der Kontrolle der Nasdaq über, die sich seinerzeit auch die Boston Stock Exchange sicherte. Die Nyse sicherte sich in den Jahren 2017 und 2018 die einst in Cincinnati und später in Chicago sowie Jersey City ansässige National Stock Exchange sowie die Chicago Stock Exchange. Viele andere Regionalbörsen in Städten wie Detroit, New Orleans, Seattle und Washington, D.C. schlossen entweder im Verlauf des 20. Jahrhunderts ihre Pforten oder gingen in einer der zuvor genannten Gesellschaften auf.
Zudem untermauerte die Nyse ihre Ausnahmestellung 2006 durch die Akquisition von Archipelago Holdings. Der Anbieter für den Aktien- und Optionshandel hatte zuvor die Pacific Exchange aus San Francisco geschluckt und firmiert nun als Nyse Arca – dem Aushängeschild des Wall-Street-Dominators für ETFs. Auch Dream-Exchange-Gründer Cecala arbeitete einst für Archipelago und schöpfte nach eigenen Angaben dadurch Inspiration für den Start einer neuen Börse.
Mit dieser schlägt der mutmaßliche Scientology-Großspender in die gleiche Kerbe wie die Investors Exchange oder die als Optionsbörse bekannte CBOE Global Markets. Diese haben bei ihren Versuchen, in den Markt für Aktiennotizen vorzustoßen, bisher zwar nur bescheidene Fortschritte erzielt. Auch ist es für neue Börsen schwierig, substanzielle Trading-Volumina anzuziehen, weil globale Investoren an den geschäftigsten und damit liquidesten und effizientesten Handelsplätzen aktiv sein wollen.
Ernsthafte Konkurrenz
Doch ist mit der Texas Stock Exchange (TXSE) erstmals seit dem Launch der Investors Exchange als nationale Börse im Jahr 2016 ein neuer, ernstzunehmender Wettbewerber für die New Yorker Riesen angetreten. Der in Dallas ansässige Marktbetreiber nahm im September eine wichtige Hürde, als er die Zulassung der SEC als Börse erhielt. Ab dem kommenden Jahr will die TXSE den Handel von Aktien und ETFs sowie den Kampf um IPOs und Zweitnotizen aufnehmen – den eigentlich lukrativen Teil des Börsengeschäfts, der Nyse und Nasdaq seit Jahren konstant steigende Erlöse beschert.
Das Projekt gilt als enorm ambitioniert. Schließlich sind die Giganten von Wall Street und Times Square im Listing-Geschäft so dominant, dass sie längst auch Börsen in Übersee das Wasser abgraben. Wie Lynn Martin, Präsidentin der Nyse, unter anderem im Interview mit der Börsen-Zeitung betonte, bietet ihr Haus „den Zugang zum breitesten Investorenpool, den es gibt“. Deshalb strebten auch bereits im Ausland börsennotierte Unternehmen eine Doppelstruktur an, durch die sie weiter in ihrem Heimatmarkt präsent sein könnten und den tieferen und liquidieren US-Markt anzapfen könnten.
Anziehungskraft auf deutsche Unternehmen
„Da der amerikanische Markt in der Regel aber eine höhere Liquidität bietet, laufen die Bewertungen für die Aktien doppelt gelisteter Unternehmen häufig auseinander“, sagte Martin bereits im Dezember 2023. In der Folge wechselten Unternehmen mit ihrer Erstnotiz zunehmend in die USA, in denen sie für Investoren stärker sichtbar würden – das Beispiel von Linde, die sich 2023 ganz aus dem Dax zurückzog, ist Vertretern des Finanzplatzes Frankfurt in düsterer Erinnerung. Die Attraktivität eines Wechsel gälte „für alle ausländischen Unternehmen – Deutschland ist aber sicher ein Markt, auf den wir uns scharf fokussieren“, führte die Nyse-Chefin aus.
Dass Börsenkandidaten aus Übersee nun in größeren Scharen den Weg nach Texas finden könnten, bezweifeln Marktbeobachter zwar. Doch kann die TXSE, die unter anderem den weltgrößten Vermögensverwalter Blackrock und den Market-Maker-Riesen Citadel Securities zu ihren Geldgebern zählt und Mut zur Kontroverse mitbringt, im inneramerikanischen Wettbewerb auf ihre Stellung an einem boomenden Wirtschaftsstandort pochen.
Boomender Standort
Texas ist inzwischen Heimat von mehr Mitgliedern der Fortune 500 als jeder andere Bundesstaat und schickt sich an, als Bankenzentrum sogar New York Konkurrenz zu machen – zahlreiche führende Adressen um Goldman Sachs schaffen in Dallas ganze Büro-Campi. Zu verdanken hat das Land der Rinder und Ölbohrtürme seine Statusgewinne den niedrigen Steuern, einer unternehmensfreundlichen Rechtsprechung und einer harten und noch zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung in den USA.
Die Idee für die neue Börse kam laut ihrem Vorstandschef James Lee auf, als sich eine wachsende Zahl von Managern über zunehmend komplexere Regularien an Nyse und Nasdaq beschwerten. Diese stehen häufig im Zusammenhang mit dem einstigen Nachhaltigkeitstrend an den Kapitalmärkten, gegen den die Anti-ESG-Fraktion aus republikanisch dominierten Bundesstaaten laut S&P Global seit Jahren mit einer koordinierten Kampagne vorgeht – und dabei Erfolg hat. Die neuen Herausforderer, ob die TXSE oder die umstrittene Dream Exchange, betonen indes, „apolitisch“ oder „nicht woke“ zu sein – sie wollten einfach Gelegenheiten schaffen, Kapital in Teile des Markts zu lenken, die bisher unterrepräsentiert seien.
New York reagiert
Die New Yorker Riesen nehmen zumindest die TXSE offenbar ernst: Die Nyse verlegte ihren 143 Jahre alten Ableger in Chicago im Februar nach Dallas. Dort läuft vor allem Hochfrequenzhandel, an dem sich Hedgefonds beteiligen. Die Nasdaq kreierte 2024 die Position des Head of Listings für Texas, den US-Süden und Lateinamerika, und besetzte ihn mit der Öl- und Gasveteranin Rachel Racz.
Auf Anfrage, ob dies eine Reaktion auf die TXSE-Pläne darstelle, teilte der Marktbetreiber vom New Yorker Times Square im Spätsommer mit, es sei aufgrund der starken Kapitalformation, den vielen geschaffenen Jobs und des Wirtschaftswachstums „keine Überraschung, dass die Nasdaq auf Texas fokussiert ist“. Zudem arbeitet die Nasdaq daran, ihre Regularien für in New York notierte Unternehmen weniger komplex zu machen. Der Kampf um die Hoheit über Amerikas Aktienhandel lebt also auf.
