Lackmustest zum Geburtstagsfest
Lackmustest zum Geburtstagsfest
25 Jahre EZB
Lackmustest zum Geburtstagsfest
Die Bilanz zu 25 Jahren EZB fällt gemischt aus. Und jetzt stellt die Inflation eine zentrale Bewährungsprobe dar. Die EZB muss klare Kante zeigen.
Von Mark Schrörs
Eins lässt sich sicher sagen, wenn die Europäische Zentralbank (EZB) nun ihr 25-jähriges Bestehen feiert: Alle Unkenrufe, der Euro und mithin die EZB würden keinen Bestand haben, haben sich als falsch erwiesen. Der Euro wirkte zwar in manchen Phasen eher als Spaltpilz denn als Einheitssymbol, aber unter dem Strich sind Nutzen und Fortbestand des Euro heute kaum umstritten. Was nun die Bilanz von 25 Jahren EZB betrifft, fällt diese gemischt aus. Und ausgerechnet zum Jubiläum steht die EZB mit der hartnäckig viel zu hohen Inflation vor ihrem wahren Lackmustest.
Das vorrangige Mandat der EZB und folglich der wichtigste Gradmesser ist Preisstabilität. Die Gesamtbilanz fällt da auf den ersten Blick gar nicht so schlecht aus. Auf 2,05% beläuft sich die durchschnittliche Inflationsrate seit Anfang 1999 – was ziemlich genau dem schon länger inoffiziellen und seit Juli 2021 auch offiziellen Ziel von 2,0% entspricht. Die Inflation liegt damit sogar niedriger als zu Zeiten von D-Mark und Bundesbank – auch wenn der Vergleich etwas hinkt. Zur ganzen Wahrheit gehört aber, dass bei dieser Betrachtung wichtige Inflationskomponenten außen vor bleiben, etwa auch die Vermögenspreisinflation. Viel wichtiger ist aber eben noch: Mit zuletzt 7,0% liegt die Inflation weiter meilenweit oberhalb des EZB-Ziels. Das bedeutet ein Versagen der EZB und birgt enorme Gefahren.
Die EZB hat die Inflationsentwicklung 2021 und 2022 komplett falsch ein- und kolossal unterschätzt. Der Ukraine-Krieg taugt dabei allenfalls zum Teil als Erklärung – schließlich lag die Inflation auch im Februar 2022 schon bei 5,9%. Auch der Hinweis, dass es anderen Zentralbanken nicht anders erging, macht die Sache kaum besser. Die EZB hat schlicht zu spät gegengesteuert. Dafür hat sie dann ein Zinserhöhungstempo vorgelegt, das ihr die Kritiker in Deutschland kaum zugetraut hätten. Entscheidend ist jetzt, dass sie diesen Kurs beherzt fortsetzt und nicht zu früh einknickt. Für die EZB geht es längst auch um ihre Glaubwürdigkeit – das höchste Gut einer Zentralbank. Dass laut Eurobarometer vom Sommer 2022 42% der Euro-Bürger sagen, dass sie der EZB „eher nicht vertrauen“, muss da alarmieren.
Erschwert wird die Lage fraglos durch die riskante Wandlung, die die EZB in den 25 Jahren vollzogen hat – weg von einer allein auf Preisstabilität ausgerichteten Zentralbank hin zu einem zentralen, wenn nicht dem zentralen Wirtschaftsakteur im Euroraum. Natürlich kann die EZB in Krisenzeiten nicht tatenlos zuschauen und es ist auch ihr Verdienst, dass weder die Weltfinanzkrise noch die Corona-Pandemie in einer wirtschaftlichen Depression wie in den 1930er Jahren geendet sind. In solchen Ausnahmesituationen sind auch breite Anleihekäufe ein legitimes Instrument. Die EZB hat sich aber auch in ruhigeren Zeiten allzu oft und teils allzu willfährig in die Rolle des Ausputzers für die Politik drängen lassen. Die Politisierung der EZB muss endlich beendet werden.
Der größte Moment der EZB bislang bedeutet dabei zugleich die größte Bürde: das Versprechen des damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi im Jahr 2012, alles Nötige zu tun („whatever it takes“), um den Euro zu beschützen. Draghi machte damit die EZB quasi zum Garant für die Unumkehrbarkeit des Euro – obwohl das eine politische Verantwortung ist. Zudem wurde die EZB damit de facto zum Kreditgeber der letzten Instanz auch für die Euro-Staaten. Für andere Zentralbanken wie die Fed ist das nichts Ungewöhnliches. Für die EZB und den Euroraum mit 19 souveränen Fiskalpolitiken und dem expliziten Verbot monetärer Staatsfinanzierung gilt das nicht. In der Folge hat auch die EZB die Grenze zwischen Geld- und Fiskalpolitik verwischt und selbst nach Aussage von EZB-Ratsmitglied Pierre Wunsch mit fiskalischer Dominanz geflirtet. Das ist eine schwere Hypothek für den Kampf gegen die Inflation.
Auch wenn es manchem gestrig anmutet: Der beste Beitrag, den eine Zentralbank zu einer gesunden Wirtschaft leisten kann, ist, für stabile Preise zu sorgen. Die EZB sollte sich deshalb zum Jubiläum wieder auf ihr Kernmandat fokussieren und Demut üben – statt nach weiteren Aufgaben (Stichwort: Klimawandel) zu streben. Die nachhaltige Rückkehr zu 2-%-Inflation wird in Zeiten von Deglobalisierung, demografischem Wandel und Dekarbonisierung schon schwierig genug.
