Mailand erstickt an seinem Erfolg
Mailand erstickt an seinem Erfolg
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Mailand erstickt an seinem Erfolg
Italiens Wirtschaftsmetropole boomt, doch das hat auch Schattenseiten
Von Gerhard Bläske
bl Mailand
Mailand ist Italiens einzige internationale Metropole. Nach Jahren der Krise erlebt das wirtschaftliche Zentrum des Landes seit der Weltausstellung 2015 einen Boom ohnegleichen. Davon zeugen nicht nur die vielen Luxusgeschäfte im Zentrum, sondern auch die wie Pilze aus dem Boden schießenden Wolkenkratzer im ganzen Stadtgebiet. Beschleunigt wurde die Entwicklung durch Projekte für die Olympischen Winterspiele 2026 und gesetzliche Regelungen: Die Einführung einer Flat Tax von 100.000 Euro in Italien, die inzwischen auf 300.000 Euro angehoben worden ist, hat tausende von Ultrareichen aus der ganzen Welt angelockt. Die Immobilienpreise und Mieten sind geradezu explodiert.
Die sozialen Gegensätze sind enorm gewachsen. Selbst gutbürgerliche Kreise sind aus dem Zentrum vertrieben worden. Traditionslokale wie das Boeuc oder das Pandemus konnten sich die teuren Mieten nicht mehr leisten und sperrten zu. Studenten aus dem Ausland drängen an die renommierten Universitäten wie Bocconi und verschärfen die Lage. Riesige Touristenhorden verstopfen nicht nur das Zentrum um den Dom und das schicke Brera-Viertel sondern auch frühere Arbeiterviertel um die Porta Genova. Selbst in teuren Innenstadtzonen wie am Corso Como nimmt die Gewalt gegen unbescholtene Bürger zu.
Drohender Charakterverlust Mailands
Wo viel Geld ist, ist auch viel Missbrauch. Ein gigantischer Immobilienskandal, in den Baulöwen, Architekten und die Stadtverwaltung involviert sind, erschüttert Mailand und ist Ausdruck unermesslicher Raffgier.
Ein Artikel des renommierten Journalisten Ferruccio de Bortoli vom Corriere della Sera sorgt nun für großes Aufsehen: „Ich liebe Dich Mailand, doch Du gefällst mir nicht mehr. Du bist jetzt eine Stadt der Reichen, manchmal der Superreichen“, heißt es darin. Die Stadt der Avantgarde, des Fortschritts und neuer gesellschaftlicher Tendenzen droht an Ihrem Erfolg zu ersticken und hat ihren Charakter verloren.
Unternehmen wie Pirelli, Prysmian oder Campari haben allenfalls noch ihre Verwaltungszentralen in der Stadt. Die Börse wird von der französisch dominierten Euronext kontrolliert. Immer mehr Unternehmen verlassen den Aktienmarkt. Und nun droht das Zentrum des italienischen Finanzmarktes auch noch die Entscheidungszentralen von Banken und Versicherungen zu verlieren. Der römische Bau- und Medienunternehmer Francesco Caltagirone, die Familie Del Vecchio und die von ihnen dominierte Bank Monte dei Paschi di Siena haben mit aktiver Unterstützung des Staates die alteingesessene und mächtige Investmentbank Mediobanca in Mailand übernommen. Dabei wurden womöglich Gesetze gebrochen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Ihr Hauptziel soll die Versicherung Generali sein, an der alle Beteiligte große Anteile halten. Sie hat zwar ihren Sitz in Triest. De facto ist ihr Machtzentrum aber in einem Wolkenkratzer in Mailand. Auch das könnte bald Vergangenheit sein.
