LeitartikelInnovative Smartphone-Hersteller

Nokia-Moment für die Autoindustrie

Der einstige Handy-Weltmarktführer Nokia wurde durch einen vermeintlichen Nischenplayer im Computermarkt entthront. Auch die Autoindustrie wird von Seiteneinsteigern bedroht.

Nokia-Moment für die Autoindustrie

Autoindustrie

Der Nokia-Moment

Von Heidi Rohde

Der einstige Handy-Weltmarktführer Nokia wurde durch einen vermeintlichen Nischenplayer im Computermarkt entthront.
Auch die Autoindustrie wird nun von
Seiteneinsteigern bedroht.

Schon als Apple und Google sich anschickten, mit ihren Navigations- und Kommunikationsprogrammen zum festen Bestandteil im Cockpit von immer mehr Automodellen zu werden, machte das Bonmot vom Smartphone auf vier Rädern die Runde. Die Idee wurde von der Autoindustrie ähnlich milde belächelt wie Apples erstes iPhone vom damaligen Handy-König Nokia. Denn die Vorstellung, dass ein branchenfremder Seiteneinsteiger einen Weltmarktführer entthronen könnte, dessen Technologie als hochklassig und dessen Marke und Kundenbindung als praktisch unangreifbar galt, erschien dem finnischen Konzern schlichtweg undenkbar.

Während es nur rund eine halbe Dekade dauerte, um Nokia in der Mobiltelefonie vom Zenit in die Bedeutungslosigkeit stürzen zu lassen, haben Apple und Google in der Autoindustrie keinen vergleichbar rasanten Umsturz ausgelöst. Obwohl es immer wieder Gerüchte gab, dass Apple mit einem eigenen E-Auto an den Start gehen könnte, ließ der iPhone-Hersteller seine Pläne vor einiger Zeit offenbar begraben. Der Computer-Ikone mangelt es jenseits eines smarten Cockpits an entscheidenden Ressourcen und Technologiekomponenten, namentlich in der Batterietechnik.

Copy-Cat-Strategie

Nicht von ungefähr kommt der Angriff auf die Automobilhersteller durch die Smartphone-Branche daher von anderer Stelle. Der weltweit hinter Samsung und Apple drittgrößte Smartphone-Bauer Xiaomi ist vor rund zwei Jahren in den E-Automarkt eingestiegen und schreibt seither eine ziemlich beeindruckende Erfolgsgeschichte. Der Konzern, der im Heimatmarkt mit einer günstigen Nachahmer-Variante des iPhones groß geworden ist, setzt auch in der E-Mobilität auf die bewährte Copy-Cat-Strategie. Das erste Serienmodell, das 2024 an den Start ging, der Sedan SU7, ist einem Porsche-Sportwagen nachempfunden, der neue YU7 kopiert den Tesla Model Y. Im laufenden Jahr dürfte das Absatzziel von 400.000 E-Autos nach Analystenschätzungen bereits deutlich übertroffen werden. Während andere Hersteller wie Nio oder Xpeng, die seit Jahren im Markt sind, noch immer Verluste schreiben, überraschte Xiaomi im dritten Quartal, keine zwei Jahre nach Markteintritt, mit dem Erreichen der Gewinnzone in der Sparte.

Läuten der Sturmglocke

Für die deutschen Hersteller, die sich über Jahre als Markt- und Technologieführer betrachtet haben, aber inzwischen in China vom Siegeszug der dortigen E-Autobauer überrollt werden, läutet nach dem ersten Weckruf nun die Sturmglocke. Denn die Zutaten für das Erfolgsrezept von Xiaomi stehen auch anderen Unternehmen aus dem Mobilfunkmarkt zur Verfügung, namentlich chinesischen: die Stärke als Consumer-Elektronik-Marke, die durch ein integriertes Ökosystem von „Phone, Home, Auto" gestützt wird. Hinzu kommt bewiesene Kompetenz in Fertigung und Skalierung und darüber hinaus vor allem Zugriff auf die von China praktisch komplett kontrollierten Lieferketten für Batterien oder Elektronikbauteile. Zusammen mit niedrigen Lohnkosten erlauben sie eine „High Tech – Low Price“-Strategie, die europäische Autohersteller nur sehr schwer kontern können.

Weitere Anwärter

Während Xiaomi als Senkrechtstarter herausragt, wächst Chinas Technologie-Ikone Huawei als weiterer potenziell ernstzunehmender Wettbewerber heran. Der von den USA im globalen Geschäft als Smartphone-Hersteller und Telekomausrüster stark eingeschränkte Konzern hat binnen kürzester Zeit in China ein neues Ökosystem aufgebaut und ist zudem Spitzenreiter in der Chip-Entwicklung. Als Zulieferer, auch für deutsche Autobauer in China hat sich Huawei bereits etabliert. Das Unternehmen nutzt aber seine Kompetenzen unter anderem in Antriebselektronik, Radartechnik, Sensorik und KI bereits für die Kooperation mit Start-ups, die Autos bauen. Aito, Luxeed und Stelato stützen sich auf Huawei-Technik. Als dritter im Bunde der Smartphone-Riesen verfügt Samsung über die technologischen Kompetenzen, um auch in der E-Mobilität Fuß zu fassen. Die deutschen Autobauer müssen die Risiken eines gänzlich veränderten Wettbewerbsumfelds ernst nehmen, sonst droht auch den Schwergewichten in der Automobil-Liga womöglich der Nokia-Moment.