LeitartikelÜbernahmeschlacht um die Commerzbank

Orcels doppeltes Spiel

Unicredit-Chef Andrea Orcel nutzt Machiavellis Taktik, um seinen Einfluss auf die europäische Bankenlandschaft zu erhöhen. Das muss nicht zum Schaden der Commerzbank-Aktionäre sein.

Orcels doppeltes Spiel

Commerzbank

Orcels doppeltes Spiel

Andrea Orcel hält es mit Niccolò Machiavelli. Auch wenn der Unicredit-Chef nicht mehr ganz den jungen Herrscher verkörpert, an den sich das berühmteste Werk des italienischen Renaissance-Denkers richtet, scheint er dessen Ratschläge verinnerlicht zu haben. Besonders mit Blick auf die Kommunikation. Denn hier empfiehlt der Politikberater dem unerfahrenen Fürsten, auf unkonventionelle und bei Bedarf auch trügerische Taktiken zurückzugreifen, wenn es dem Erhalt oder besser noch dem Ausbau seiner Macht dient.

Widersprüchliche Botschaften

Wie sehr Orcel dies beherzigt hat, zeigte sich erst vor wenigen Tagen. Während die Bundesregierung zunächst gegenüber den Arbeitnehmervertretern der Commerzbank und dann im Reuters-Interview ihr Petitum gegen eine Übernahme durch die Italiener bekräftigte, betrieb auch der Unicredit-Chef Öffentlichkeitsarbeit. Dabei gab er jedoch ziemlich Widersprüchliches zum Besten. Während er im CNBC-Interview den Fokus darauf legte, dass die Commerzbank inzwischen zu teuer für eine wertstiftende Übernahme sei, vermittelte er auf einer Investorenkonferenz den Eindruck, die Sache einfach aussitzen zu wollen. Um dann zuzuschlagen, wenn sich eine passende Gelegenheit ergibt.

Unicredit lässt sich nicht in die Karten schauen

Und der Aktienkurs? Reagierte erkennbar auf die Fülle gegensätzlicher Botschaften. Ob dies daran lag, dass sich die aus Sicht der Investoren positiven und negativen Impulse die Waage hielten, oder aber daran, dass die Commerzbank dank ihrer ambitionierten Kapitalrückführungspläne auch nach dem Verpuffen der Übernahmefantasie noch als attraktives Investment angesehen wird, lässt sich in Zeiten des weltumspannenden Wertpapierhandels auf elektronischen Systemen ehrlicherweise nicht abschließend beantworten. Deutlich wurde auf jeden Fall, dass Orcel sich auch weiterhin nicht in die Karten schauen lassen wird.

Historische Parallelen

Für Machiavelli, der seine von der Nachwelt bisweilen zu Unrecht verteufelte Schrift dem 20-jährigen Lorenzo di Piero de Medici widmete, war Macht nicht nur Mittel zum Zweck, sondern auch das Ziel herrscherischen Handelns. Im historischen Kontext des von kriegerischer Kleinstaaterei geprägten Norditaliens des 16. Jahrhunderts ist dies anders zu bewerten als in modernen Demokratien, deren Anspruch es ist, Konflikte durch Mehrheitsentscheidungen zu lösen. Folgt man Orcels Ausführungen hinsichtlich der Notwendigkeit, europäische Großbanken mit globaler Schlagkraft zu formen, drängt sich der Verdacht auf, dass der Unicredit-Chef Machiavellis Schrift nicht nur gelesen hat, sondern auch gewillt ist, die historische Parallele zu ziehen zwischen den zerstrittenen italienischen Klein- und Kleinstrepubliken im Zeitalter der Renaissance und dem fragmentierten Bankenmarkt der Eurozone.

Keine Fakten schaffen lassen

Der Vergleich ist gewagt – zumindest wenn man sich die Selbstdarstellung des Unicredit-Chefs als Gestalter des europäischen Bankenmarkts zu eigen macht. Denn zur historischen Einordnung der politischen Verhältnisse zu Zeiten Machiavellis gehört auch, dass zwischen seiner Schrift und der Gründung des ersten italienischen Nationalstaats unter der Herrschaft der Savoyen mehr als 350 Jahre vergehen sollten. Zweifelsohne haben sich politische Prozesse seither gewaltig beschleunigt. Gleichwohl ist es richtig, dass die Bundesregierung verhindern will, dass Unicredit durch die Übernahme der zweitgrößten privaten Bank Deutschlands Fakten schafft, bevor überhaupt ein echter Wille zur Vollendung der europäischen Bankenunion erkennbar ist. Denn täte sie es nicht, würde sich die Karte der europäischen Bankenlandschaft womöglich von den volkswirtschaftlichen Gegebenheiten entkoppeln, was nicht im Interesse der hiesigen Unternehmen sein kann.

Aus Sicht der Investoren dagegen sind die Ränkespiele des europäischen Einigungsprozesses zweitrangig. Denn bei aller Hybris, die man Orcel unterstellen mag: Ohne ihn hätte sich die Commerzbank wohl kaum innerhalb weniger Monate so radikal an den Interessen ihrer Anteilseigner orientiert. Wie immer das doppelte Spiel des Unicredit-Chefs ausgehen mag – die Aktionäre werden profitieren.

Seit dem Einstieg bei der Commerzbank irritiert Unicredit-Chef
Andrea Orcel mit widersprüchlichen Ansagen zu seinen Plänen. Das sorgt für Unruhe, was aber nicht zum Schaden der Aktionäre sein muss.

Von Anna Sleegers
BZ+
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