Italien lebt über seine Verhältnisse

Rom setzt falsche Prioritäten

Italien plagen Haushaltsnöte. Dabei hat das Land auf anderen Gebieten großzügig hunderte von Milliarden Euro für manchmal zweifelhafte Maßnahmen ausgegeben.

Rom setzt falsche Prioritäten

Italien gibt Unsummen für zweifelhafte Projekte aus

Die Staatsausgaben sind in Rom immens – Doch das hoch verschuldete Land trägt selbst Schuld an der Misere

Von Gerhard Bläske, Mailand

Italiens Haushalt für 2026 wird auf Kante genäht. Um Steuersenkungen, familienpolitische Maßnahmen sowie höhere Ausgaben für das Gesundheitswesen finanzieren zu können, verlangt Rom von Banken und Versicherungen Sondersteuern. Dabei gäbe es genug Posten, wo viele Milliarden zu holen wären. Allein die Boni von 50% für den Kauf von Elektrogeräten oder Möbeln, ein Bonus für den Besuch von Psychologen und eine großzügige Förderung der energetischen Sanierung von 50% schlagen mit mehreren 100 Mill. Euro zu Buche.

Großzügige Hilfen

Dabei ist Italien in einer komfortablen Lage. Rom erhält 194 Mrd. Euro aus dem europäischen Wiederaufbauprogramm NextGeneration. Drei Viertel der Mittel sind ausgezahlt, aber mehr als 100 Mrd. Euro sind noch nicht ausgegeben. Und Italien hatte ein weiteres Konjunkturprogramm: 219 Mrd. Euro (!) flossen nach Angaben von Federico Freni, Unterstaatssekretär im Finanzministerium, seit 2021 in die extrem großzügigen Hilfen für die energetische Sanierung von Gebäuden, vor allem in den Superbonus 110. Europa steuerte dazu 27 Mrd. Euro aus dem NextGeneration-Programm bei.

Der Staat erstattete den Bauherren 110% der Kosten – eine weltweit wohl einzigartig hohe Förderung. Alle Parteien und drei Premierminister – Giuseppe Conte, Mario Draghi und Giorgia Meloni – unterstützten die für den Staat extrem kostspielige Maßnahme. Erst Finanzminister Giancarlo Giorgetti stoppte sie per Ende 2023. Noch immer aber übernimmt Rom 50% der Kosten.

Steigende Schulden

Ohne das Superbonus-Programm und NextGeneration wäre Italien längst in der Rezession. Der Superbonus 110 und andere Hilfen sind aber auch verantwortlich für eine Verschuldung, die bis 2026 auf 137% des Bruttoinlandsprodukts steigt.

Italiens Regierungen haben trotz hoher Schulden immer viel Geld für großzügige Hilfen ausgegeben, sehr oft etwa für extrem teure Vorruhestandsregelungen. Deren Effekte wirken nach und lassen die Rentenkosten in den nächsten Jahren von 15 auf 17% des Bruttoinlandsprodukts steigen. In dieses Bild passt auch das 2018 beschlossene bedingungslose Grundeinkommen: Die Kosten für die 2023 beendete Maßnahme addierten sich zwischen 2019 und 2023 auf fast 35 Mrd. Euro.

Milliardengrab in Taranto

Ein Milliardengrab ist das gigantische Stahlwerk im süditalienischen Taranto. Für das in den 60er-Jahren des 20. Jahrhundert errichtete Stahlwerk, das Wohlstand nach Süditalien bringen sollte, hat Rom bis dato bis zu 20 Mrd. Euro an Hilfen gezahlt. Auch in diesem Jahr wurden im Haushalt 400 Mill. Euro bereit gestellt. Das Unternehmen wurde Anfang 2024 unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt. Die geplante Privatisierung ist gescheitert. Jetzt will der Staat für die Dekarbonisierung mit europäischer Hilfe weitere 5 Mrd. Euro „investieren“. Angesichts der tiefroten Zahlen darf schon mal die Frage gestellt werden, ob eine Schließung nicht die bessere Lösung wäre. Die Produktion ist in diesem Jahr mit zwei Millionen Tonnen auf den niedrigsten Wert seit Jahrzehnten gefallen. Mehr als die Hälfte der knapp 11.000 Mitarbeiter ist in Kurzarbeit.

Teurer Irrsinn

Weitere Haushaltsmittel verschlingen die beiden Flüchtlingszentren in Albanien, in die die Regierung Asylanten aus vermeintlich sicheren Herkunftsländern zur beschleunigten Prüfung ihrer Anträge überstellen wollte. Statt monatlich 3.000 Flüchtlingen wurden seit Mai 2024 insgesamt gerade mal 70 Asylsuchende dorthin gebracht. Gerichte in Italien und in der EU stoppten weitere Überstellungen. Die Kosten für den Steuerzahler sind enorm. Allein 2024 beliefen sich die operativen Kosten etwa für Unterhalt und Verpflegung sowie Bezahlung und Versorgung des Sicherheitspersonals auf fast 170 Mill. Euro. Die Gesamtkosten (inklusive Bau) sollen sich auf 1 Mrd. Euro belaufen.

Ein extrem teurer Irrsinn ist der geplante Bau einer Autobahn- und Eisenbahnbrücke nach Sizilien. Die Regierung zog dafür ein 2012 von Premierminister Mario Monti aus haushaltspolitischen Gründen beerdigtes Projekt Silvio Berlusconis aus der Schublade. Verkehrsminister und Lega-Chef Matteo Salvini will sich damit ein Denkmal setzen. Die Arbeiten sollten im November beginnen. Doch der Rechnungshof stoppte den Bau wegen schwerer Verstöße gegen nationale und europäische Regeln.

Starke Kostensteigerungen

Nicht nur Umweltvorschriften würden sträflich umgangen. Die Regierung handle mit dem dafür verabschiedeten Dekret, das eine parlamentarische Kontrolle praktisch unmöglich mache, auch grob fahrlässig: „Es fehlt eine ökonomische Kostenanalyse“, sagt Giuseppe Busia, Präsident der Anti-Korruptionsbehörde Anac. Die 2005 kalkulierten Kosten von 3,8 Mrd. Euro wurden weit überschritten. Seit dem Amtsantritt Melonis stiegen sie um weitere 3 Mrd. Euro auf 14,6 Mrd. Euro. Busia fürchtet weitere Kostensteigerungen. Und er geht  angesichts der fehlenden Transparenz und fehlender Kontrollen etwa der beteiligten Unternehmen davon aus, dass kriminelle Organisationen wie die Mafia Zugriff auf große Teile der vorgesehenen Mittel erhalten würden.

Entscheidend ist aber, dass Rom mit dem Verzicht auf eine Neuausschreibung gegen europäische Regeln verstößt. Auch hier hat Rom viel Geld zum Fenster hinausgeschmissen. Es sind bereits Gelder in Höhe von 300 Mill. Euro durch Zahlungen vor allem an den Konzessionär für den Brückenbau geflossen.

Wahlgeschenke

Salvini hofft nun auf einen Baubeginn im Februar 2026. Doch es spricht viel dafür, dass das Vorhaben, für das Schienenanbindungen nach Norditalien und innerhalb Siziliens fehlen, eine Totgeburt bleibt. Damit würden für die Brücke vorgesehene Haushaltsmittel von 1,3 Mrd. Euro für 2026 frei.

Rom ist immer erfinderisch, wenn es um Wohltaten für die Bürger geht. Voraussichtlich im Frühjahr 2027 finden Neuwahlen statt. Erfahrungsgemäß dürfte der Haushalt für 2027 diverse Wahlgeschenke erhalten, die der aktuellen Mitte-Rechts-Regierung eine weitere Legislaturperiode sichern sollen.